»GM« auf. Sie stammt aus Großbritannien,
ihr Vater war der britische Verleger und
Politiker Robert Maxwell, der Anfang der
Neunzigerjahre unter mysteriösen Um-
ständen auf seiner Jacht über Bord ging
und dabei ums Leben kam. Ghislaine Max-
well war damals 29 Jahre alt. Nach dem
Tod ihres Vaters zog sie nach New York
und begann, Kontakte in die High Society
zu knüpfen. Ein früherer Angestellter Ep-
steins sagte aus, Maxwell sei um 1992 he-
rum Epsteins »Hauptfreundin« geworden.
In einem Interview mit der Zeitschrift
»Vanity Fair« aus dem Jahr 2003 bezeichne-
te Epstein seine frühere Partnerin als seine
»beste Freundin«. Die Klägerin Virginia
Giuffre sagt, Epstein habe Maxwell einen
Job angeboten, »und dann wurde sie, vermu -
te ich, zu einer wichtigen Helferin für ihn«.
Am Mittwoch reichte eine
weitere Frau Klage gegen den
Nachlass von Epstein ein: Jen-
nifer Araoz. Sie behauptet, als
Schülerin vergewaltigt worden
zu sein, auch sie hält Ghislaine
Maxwell für zentral. Laut Araoz
soll Maxwell Termine mit mut-
maßlichen Opfern vereinbart
und »organisatorische Unter-
stützung für Epsteins Prostitu -
tionsring bereitgestellt« haben.
Glaubt man Virginia Giuffre,
Jennifer Araoz und weiteren
Frauen, waren Epstein und
Maxwell bei Weitem nicht die
einzigen Beteiligten. Ein kleines
Heer von Assistentinnen, Fah-
rern, Piloten, Putzleuten und
Rekrutiererinnen soll demnach
daran beteiligt gewesen sein,
Kontakte zu Mädchen herzu-
stellen, Treffen zu organisieren,
Geld zu bezahlen und Spuren
zu beseitigen. Wenn es stimmt,
was die New Yorker Staatsan-
waltschaft annimmt und mut-
maßliche Opfer aussagen, legte
Epstein ein gigantisches Netzwerk zwi-
schen New York, Florida und der Karibik
an, mit dem Ziel, Minderjährige auszu -
beuten.
Zeitweise besaß der Multimillionär zwei
Gulfstream-Jets und eine Boeing 727, die
den ekelhaften Spitznamen »Lolita Ex-
press« trug. Laut Flugdaten waren einer
oder beide Gulfstream-Jets zwischen Ja-
nuar 2018 und Juni 2019 im Durchschnitt
jeden dritten Tag in der Luft. Meist ver-
kehrten sie zwischen Epsteins Anwesen in
New York, Florida und der Karibik. In den
Daten finden sich auch Flüge nach Frank-
reich, in die Slowakei und nach London.
Die entscheidende Frage ist nun, ob die-
ser ganze Aufwand nur für einen einzigen
Mann mit viel Geld betrieben wurde –
oder ob Epstein und Maxwell ein Geschäft
betrieben, das viel weiter reichte.
Virginia Giuffre sagt aus, sie sei Dutzen-
de Male mit Epstein in dessen Privatjets
gereist und habe dabei Prominente ken-
nengelernt. Laut ihrer Aussage sei sie
mehrfach zum Geschlechtsverkehr mit
mächtigen Männern gezwungen worden,
»darunter zahlreiche bekannte US-Poli -
tiker, einflussreiche Geschäftsleute, aus -
ländische Präsidenten, ein bekannter
Premierminister und andere Führungsper-
sönlichkeiten«. Es ist eine wuchtige An-
schuldigung. Bislang gibt es wenig, was
diese Aussage untermauern könnte.
Die Journalistin Julie Brown, die für die
Zeitung »Miami Herald« arbeitet und Ep-
steins angebliches Netzwerk mit aufdeckte,
schätzt die Zahl der missbrauchten Frauen
auf über 80. Brown interviewte im Lauf
ihrer Recherchen auch eine frühere Mitar-
beiterin Epsteins, die behauptet, Opfer re-
krutiert zu haben. »Er wollte so viele Mäd-
chen, wie ich ihm nur beschaffen konnte«,
erzählte die Frau. »Es war nie genug.«
Es ist kein Geheimnis, dass Epstein eine
Menge Freunde in hohen Positionen hatte.
Der frühere Präsident Bill Clinton zählte
dazu genauso wie Donald Trump. Ghis -
laine Maxwell verschaffte Epstein auch
Kontakte ins britische Königshaus: Prinz
Andrew, der zweite Sohn von Königin Eli-
zabeth, verkehrte jahrelang mit dem Mil-
lionär, bis der Prinz den Kontakt abbrach.
Es gibt ein Foto von Andrew mit der Klä-
gerin Giuffre, knapp bekleidet, Andrews
Arm legt sich um ihre Hüfte. In Epsteins
Haus in New York standen auch Fotos mit
* Mit Gastgeber Donald Trump und Partnerin Melania
Knauss auf dem Anwesen Mar-a-Lago in Florida 2000.
dem Regisseur Woody Allen, gegen den
seit Jahrzehnten Vorwürfe wegen sexuel-
len Missbrauchs Minderjähriger bestehen,
und dem saudischen Kronprinzen Moham-
med bin Salman. Diese Fotos beweisen
nichts, aber für die Ermittler sind sie Spu-
ren, denen sie nachgehen.
Epstein umgab sich gern mit den Mäch-
tigen, auch nachdem er 2007 als Sexual-
straftäter verurteilt worden war. Er genoss
seine Aura des Mysteriösen. Diese Woche
veröffentlichte ein Journalist der »New
York Times« einen Artikel, in dem er ein
Gespräch mit Epstein aus dem vergange-
nen Jahr wiedergab. Es war ursprünglich
»off the record« geführt worden, aber nach
dem Tod des Geschäftsmanns fühlt sich
der Journalist nicht mehr an diese Zusage
gebunden. Epstein prahlte demnach, ihm
vertrauten viele einflussreiche
Menschen ihre Geheimnisse an,
gerade weil sie von seiner Ver-
gangenheit wüssten. Er verfüge
über Dreck über mächtige Leu-
te, kenne sexuelle Vorlieben
prominenter Figuren und wisse
von deren Drogenkonsum – al-
les potenziell rufschädigend, so
Epstein. Verglichen mit diesen
Geheimnissen seien seine eige-
nen Verfehlungen »harmlos«.
Vielleicht gibt es auch aus die-
sem Grund so viele Spekulatio-
nen, dass Epsteins Tod in Wahr-
heit gar kein Suizid war. Die
»Washington Post« berichtete,
die Autopsie habe ergeben, das
Zungenbein Epsteins sei gebro-
chen gewesen; eine Halsverlet-
zung, die deutlich öfter bei
Strangulierung als bei Erhängen
vorkomme. Das ist zwar keine
Nachricht, weil das Autopsie -
ergebnis einen Suizid nicht we-
niger wahrscheinlich macht,
aber es zeigt, wie heftig gerade
spekuliert wird.
Es gibt keinerlei Belege dafür, dass Ep-
steins prominente Freunde von dem mut-
maßlichen Mädchenring wussten oder an
sexueller Ausbeutung beteiligt waren. Bill
Clinton distanzierte sich bereits im Juli von
dem Millionär und ließ verbreiten, er habe
seit mehr als zehn Jahren nicht mit Epstein
gesprochen. Donald Trump, der einst mit
Epstein befreundet war und mindestens
einmal in einem Privatflugzeug des Mil -
lionärs reiste, rückte ebenfalls von ihm ab.
Stattdessen verbreitete er nach Epsteins
Tod einen Tweet mit einer absurden Ver-
schwörungstheorie: Am rätselhaften Ab-
leben des Multimillionärs in seiner Zelle
soll ausgerechnet die Frau beteiligt gewe-
sen sein, die noch immer Trumps Lieb-
lingsfeindin ist – Hillary Clinton.
Christoph Scheuermann
DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019 79
ARCHIVE PHOTOS / GETTY IMAGES
Partygäste Epstein, Maxwell (r.)*: »Es war nie genug«