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Hygiene
»Wie beim
›Weißen Hai‹«
Der Mikrobiologe
Markus Egert, 47, von
der Hochschule
Furtwangen über die
zunehmende Bedro-
hung von Badenden in
deutschen Gewässern
durch Bakterien, die hierzulande bisher
selten anzutreffen waren
SPIEGEL:Herr Egert, die Ostsee galt
bislang als vergleichsweise ungefährlicher
Badeort. Nun ist eine 90-jährige Frau
gestorben, weil sie sich im Wasser mit
dem Bakterium Vibrio vulnificus infiziert
hatte. Wo kommen plötzlich die Killer -
keime her?
Egert:Von wegen, plötzlich! Wir Exper-
ten wissen seit Jahrzehnten, dass sich die
für den jüngsten Unglücksfall verantwort-
lichen Mikroben in der Ostsee tummeln.
Schon 2012 hatten Kollegen im Fachmaga-
zin »Nature Climate Change« recht düster
prognostiziert, das Bakterium werde sich
aufgrund der Erderwärmung in der Ostsee
rasant vermehren. Dazu muss man wis-
sen, dass sich die Ostsee für die Ausbrei-
tung eines solchen Übelkeims besonders
gut eignet: ein relativ flaches Gewässer,
das sich rasch erwärmt und, anders als die
Nordsee, nicht zu salzhaltig ist.
SPIEGEL:Wie kommt das Bakterium in
den menschlichen Körper?
Egert:Vibrio vulnificus kann durch den
Verzehr von Austern oder Krebstieren
aufgenommen werden. Oder eben beim
Baden – etwa über Wunden. Diabetiker
haben beispielsweise häufiger offene Stel-
len an den Füßen. Die Betroffene ist
jedenfalls das klassische Opfer eines sol-
chen Keims: ein Mensch, dessen Immun-
system durch das hohe Alter vermutlich
geschwächt war.
SPIEGEL:Müssen bald ganze Strände
abgesperrt werden?
Egert:Bei aller Tragik des aktuellen
Falls: Ich musste ein wenig lachen, als ich
hörte, dass die Behörden den genauen
Unglücksort verschweigen. Das ist wie im
Film »Der weiße Hai«, als eine Stadt
wegen des Raubfischs panisch das Fern-
bleiben der Badegäste befürchtet. Um die
Frage zu beantworten: Wer gesund ist,
kann selbstverständlich ohne Bedenken
ins Wasser gehen.
SPIEGEL:Sie erwähnen den Zusammen-
hang zwischen globaler Erwärmung
DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019
»Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Ange-
nehmen so innig verbunden wie beim Fahrrad.« Der Satz wird
Adam Opel zugeschrieben und ist von ungebrochener Gültigkeit.
Ich fahre in der Stadt fast nur noch Fahrrad und gehe davon aus,
dass man in 100 Jahren Mühe haben wird, sich vorzustellen,
dass dort einmal Autos fahren durften. Der Sommer der E-Tret-
roller wiederum wird als eine Art Schrecksekunde der Mobi -
litätsgeschichte in Erinnerung bleiben. Gerade zwei Monate nach
der Zulassung in Deutschland breitet sich um das junge Kult -
mobil eine politische Katerstimmung aus.
Weltweit gab es reichlich Unfälle, einige tödlich, etliche schwer,
und unzählige Bagatellschäden. Niemanden, der auch nur ein
rudimentäres Verständnis der Physik hat, wird das überraschen.
Ein Gefährt, dessen Räder kaum den Durchmesser eines Suppen-
tellers erreichen, kann nur sturzanfällig sein – und schon gar
nicht ganzjahrestauglich. Wenn im Herbst die ersten E-Scooter
auf nassem Laub ausglitschen, werden die Betreiber den Rest ihrer
Flotten wohl zügig einsammeln. Die Bewegung stammt aus dem
Schönwetterstaat Kalifornien, wo die Innovatoren des Fahrzeug-
baus bisher weit weniger Fortune hatten als die der Internetindus-
trie. Schon fast vergessen ist der amerikanische Ex-Megatrend
Segway. Zuweilen tauchen Touristengruppen mit der klobigen
Gehhilfe in Innenstädten auf und sehen dabei selten glücklich aus.
Der E-Scooter ist nicht ganz so unpraktisch, aber doch in jeder
Hinsicht dem Fahrrad unterlegen: Das kann Gepäck und Einkäufe
transportieren, ist wesentlich leichter, sicherer und auch noch
gesund, weil es seinen Nutzer in Bewegung hält. Dass Passanten
die überall im Weg stehenden Mietroller als Ärgernis empfinden
und in Flüsse werfen (dafür sind sie gerade noch leicht genug), ist
keine vorbildliche Form des Protests, doch ein Indiz dafür, dass
etwas nicht stimmt mit diesem Transportmittel, bei dem sich das
Nutzlose mit dem Unangenehmen innig verbindet.Christian Wüst
Einwurf
Rollerkoller
Der E-Scooter ist der Sommerjux 2019 – aber kein hilfreiches Verkehrsmittel.
BRITT SCHILLING
und dem Auftauchen unliebsamer
Bewohner im Wasser. Bringen steigende
Temperaturen in dieser Hinsicht
künftig weitere böse Überraschungen
mit sich?
Egert:Gut möglich. Ich musste spontan
an das amöbenähnliche Geißeltierchen
Naegleria fowleri denken. Dieser Parasit
lauert vor allem in warmen Gewässern
wie Tümpeln und Seen. Ein übler Bur-
sche. Er gerät über die Nase in den
menschlichen Körper und arbeitet sich
von dort zum Gehirn vor, wo er eine
eitrige Hirnhautentzündung auslösen
kann. Das endet so gut wie immer töd -
lich. Bislang ist dieser Einzeller vor
allem in den heißen Regionen der USA
und in Australien aufgetaucht. Aber das
muss ja nicht zwingend so bleiben. THA
Fußnote
Wissenschaftler aus Nordkorea wur-
den von Staatsführer Kim Jong Un
mit dem »Befehl Nr. 008« belegt. Der
Diktator belobigt darin die »außer -
gewöhnliche schöpferische Kraft« der
Forscher. Ihre Namen wurden auf der
Titelseite der Parteizeitung abgedruckt.
Die Ausgezeichneten erwarben sich
ihre wissenschaftliche Exzellenz auf eine
in Nordkorea besonders geschätzte
Wei se: Sie trieben das Waffenprogramm
des kommunistischen Landes voran.
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Vibrio vulnificus
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