Worte des Tages
Zinspolitik
Soll man Minuszinsen verbieten?
E
in wenig schizophren ist das schon: Am
Mittwoch hat der Bund erstmals eine
30-jährige Anleihe ohne Zinsen ausgege-
ben. Finanzminister Olaf Scholz kann sich
langfristig Geld umsonst leihen. Eine gute
Nachricht für den Haushalt, eine schlechte für Sparer.
Das hielt Scholz aber nicht davon ab, fast zeitgleich ein
Verbot von Minuszinsen bei Banken ins Spiel zu brin-
gen. Das prüfe man, sagte er, nachdem CSU-Chef Mar-
kus Söder die Forderung erhoben hatte.
Dass sich Scholz und Söder einig sind, kommt selten
vor. Aber Deutschland ist ein Land der Sparer und das
Wettern gegen eine vermeintliche Enteignung maximal
populär. Und so bekommen Scholz und Söder viel Ap-
plaus, vom CDU-Wirtschaftsrat bis zur Linkspartei. Die
einen arbeiten sich am Präsidenten der Europäischen
Zentralbank (EZB), Mario Draghi, ab, weil sie dem Miss-
verständnis aufsitzen, er allein entscheide über die
Zinshöhe. Die anderen ziehen für Kleinsparer gegen die
geldgierigen Banken zu Felde. Populistischer Unsinn
bleibt es in der einen wie der anderen Ausprägung.
Die Strafzinsen für Kleinsparer, gegen die man vorge-
hen will, gibt es so noch gar nicht. Und ob sich diese so
einfach einführen ließen, ist fraglich. Derzeit wird also
eine Scheindebatte geführt. Aber selbst wenn die Straf-
zinsen kämen, würde sich die Frage stellen, warum der
Staat eingreifen soll. Preise bestimmen in Deutschland
gewöhnlich die Unternehmen, in diesem Falle die Ban-
ken. Ein Recht auf positive Rendite gibt es so wenig wie
ein Recht auf billige Immobilienkredite. Es ist erstaun-
lich, dass nun jene, die sonst die Marktwirtschaft hoch-
halten, für einen amtlich verordneten Mindestzins plä-
dieren. Dabei wäre ein solcher staatlicher Eingriff in die
Preisgestaltung nicht weniger gravierend als etwa der in
der Wohnungspolitik diskutierte Mietendeckel.
In Deutschland herrscht durch das Nebeneinander
von Privatinstituten, Volksbanken und Sparkassen ein
harter Wettbewerb. Deshalb sind Finanzdienstleitungen
hierzulande vergleichsweise günstig. Gleichzeitig kann
sich keine Bank vom Niedrigzinsumfeld, das Scholz die
kostenlose Schuldenaufnahme ermöglicht, abkoppeln.
Auch Geldinstitute haben Kosten, die sie decken müs-
sen. Wo soll der Mindestzins für Sparer herkommen?
Ein staatlicher Eingriff würde entweder die ohnehin an-
geschlagenen Banken weiter schwächen und damit kri-
senanfälliger machen. Oder – und das ist wahrscheinli-
cher – zu Ausweichreaktionen führen. Statt Minuszin-
sen müssten Sparer höhere Kontoführungsgebühren
zahlen. Geholfen wäre ihnen damit nicht.
Contra
Populismus pur
Ein amtlich
verordneter
Mindestzins passt
nicht zu einer
Marktwirtschaft und
würde den Sparern
auch nicht wirklich
helfen, meint
Jan Hildebrand.
Der Autor ist stv. Leiter des Hauptstadtbüros.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
„Haben wir einen Präsidenten in Amerika, der so
impulsiv arbeitet, dass er nicht auf seine Ratgeber hört?
Weil jeder Diplomat, jeder Ratgeber würde sagen,
„Lieber Herr Präsident, das ist eine blöde Idee“.
Aber das hört er offenbar nicht. “
Tom Høyem, früherer dänischer Grönland-Minister, im Interview der Sendung
Radiowelt auf Bayern 2, über Donald Trumps Plan, Grönland kaufen zu wollen.
B
anklobbyisten und Ökonomen sind ent-
setzt über ein Verbot von Negativzinsen
für Kleinsparer. Gerade die Volkswirte
müssten sich jedoch an ihren Gründer -
vater Adam Smith erinnern. Der bezeich-
nete Verschwender als Staatsfeinde und jeden Sparer
als öffentlichen Wohltäter. Diese Wahrheit haben diese
Ökonomen vergessen. Sie vertreten mit den Interessen-
vertretern der Geldinstitute das Gegenteil. Man kann es
auch so sagen: Die Banken wollen Kasse machen.
Dabei sollten alle an die Akzeptanz von Entscheidun-
gen in der Bevölkerung denken. Der Staat profitiert von
der Nullzinspolitik der EZB seit einem Jahrzehnt. Die
Zeche zahlen bis heute die Sparer, die kalt enteignet
werden. Jetzt wird ihnen mit den Negativzinsen endgül-
tig der Krieg erklärt. Die Geldprofis sagen schlau, die
Bürger hätten ihr Erspartes ja in Aktien investieren kön-
nen. Manchmal sind es dieselben, die vor zehn Jahren
wertlose Lehman-Zertifikate empfohlen haben. Die
deutsche Sparkultur spielt da keine Rolle mehr. Die be-
vorzugt Sparbücher, Tagesgeld und Lebensversicherun-
gen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich als
Schuljunge mein erstes Sparbuch bekommen habe. Es
war ein „Jeans-Sparbuch“ der Volksbank. Jeden Monat
ging ich auf die Bank, und der Mitarbeiter trug meine
Taschengeldbeträge feinsäuberlich mit Kugelschreiber
in das mit Jeansstoff versehene Büchlein ein. So etwas
prägt sich in die persönliche DNA ein – und viele, viele
andere dürften ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Trotzdem wollen Wissenschaftler wie der DIW-Öko-
nom Marcel Fratzscher aus dem Elfenbeinturm heraus
im Eilverfahren das Verhalten ganzer Volkswirtschaften
umkrempeln. Klar, es wäre schöner, wenn der Zinsme-
chanismus wieder greifen würde und man nicht an den
Symptomen kurieren müsste. Bis es aber so weit ist,
sollten Politiker wie Markus Söder oder Olaf Scholz sich
Gedanken darüber machen, wie sie einen Schutzschirm
für den Sparer aufspannen. Schutzschirme für Banken
gab es bereits, warum also nicht für den Steuerzahler,
der hier alles finanziert.
Die Bürger fragen sich zu Recht: „Wo bleiben wir?“
Otto Normalverbraucher versucht, alles richtig zu ma-
chen. Er legt, wie von allen Seiten eingefordert, sein
sauer verdientes Geld fürs Alter auf die hohe Kante.
Jetzt soll er dafür bestraft werden. Nebenbei gesagt: Die
Banken verdienen sich schon mit den Kontoführungsge-
bühren eine goldene Nase. Wenn die Politik auf die Ne-
gativzinsen jetzt nicht reagiert, muss sie sich nicht wun-
dern, wenn die Bürger das an der Wahlurne tun.
Pro
Krieg gegen den Sparer
Staatliche
Schutzschirme für
Banken und
Unternehmen gab es
bereits. Warum also
nicht auch für den
Steuerzahler, der nur
versucht, alles richtig
zu machen, meint
Thomas Sigmund.
Der Autor ist Ressortchef Politik.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
Der Staat
profitiert von
der Nullzins-
politik der EZB
seit einem
Jahrzehnt.
Die Zeche
zahlen
bis heute die
Sparer.
Ein Recht
auf positive
Rendite gibt
es so wenig
wie ein Recht
auf billige
Immobilien-
kredite.
Meinung
& Analyse
(^14) WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162
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