Handelsblatt - 23.08.2019

(Rick Simeone) #1
„Der Regierungsapparat
lebt und arbeitet noch
immer mit Briefen und
Faxen als zentrale
Kommunikationsmittel.“
Katrin Suder, Vorsitzende des Digitalrats
der Bundesregierung

„Ich möchte
ein Abkommen.“
Boris Johnson, britischer
Premierminister, bei seinem
Berlin-Besuch zum drohenden
ungeregelten Brexit

Stimmen weltweit


Die Londoner „Financial Times“ kommentiert
die Aussicht auf eine italienische Regierung
unter Führung des Lega-Chefs Matteo Salvini:

A


ls Ministerpräsident wäre Matteo Salvini
gezwungen, Entscheidungen zu treffen
und dafür Verantwortung zu überneh-
men, anstatt sich hinter seinen Verbündeten zu
verstecken. Aber viele Italiener, ganz zu schwei-
gen von ihren EU-Partnern, betrachten die Aus-
sicht auf die erste Regierung unter einer extre-
men rechten Führung in Europa seit dem Zwei-
ten Weltkrieg mit Grauen. Salvinis euroskepti-
sche, einwanderungsfeindliche Rede im Senat,
die den Untergang seiner Regierung markierte,
deutet darauf hin, dass er nicht im Begriff ist,
sich in naher Zukunft zu mäßigen.
Sein Versprechen, ein Paket von Steuersen-
kungen in Höhe von 50 Milliarden Euro zur Sti-
mulierung der Wirtschaft unter Verstoß gegen
die EU-Finanzvorschriften zu verabschieden,
würde Italien auf Kollisionskurs mit Brüssel
bringen und seine Kreditkosten in die Höhe trei-
ben. Die italienische Wirtschaft braucht Auf-
trieb. Sie braucht auch einen Plan, um ihr
Wachstumspotenzial zu erhöhen. Salvini kann
beides nicht liefern.

Zur Regierungskrise in Italien schreibt die
spanische Zeitung „El País“ am Donnerstag:

D


er Rücktritt des italienischen Minister-
präsidenten Conte ist die letzte Konse-
quenz für eine vor 14 Monaten geborene
Anti-System-Regierung, die jeder Logik entbehr-
te, und die sich aus einem Bündnis der von der
nationalistischen Lega verkörperten extremen
Rechten und dem linken Populismus der Fünf-
Sterne-Bewegung (M5S) zusammensetzte. Sie
war kaum mehr als ein Jahr an der Regierung
und hat in dieser Zeit vor allem dazu beigetra-
gen, die Krise des Landes weiter zu verschärfen
und Italien – eine der Gründungsnationen des
modernen europäischen Projekts – zur Speerspit-
ze einer ungezügelten Euro-Phobie zu machen.
Die illegale Migration ist dabei zum Instrument
des Wahlkampfs geworden, mit dem Lega-Chef
FDP, dpa, AFPSalvini jetzt an den Urnen abkassieren will.

Zum Ende der populistischen Allianz in Italien
und zur schwierigen Suche nach einer neuen
Regierung schreibt die italienische Zeitung
„La Repubblica“ am Donnerstag:

E


s ist eine Krise wie ein Rummelplatz der
Sechzigerjahre. Die Jahrmarkt-Darsteller
sind gekommen. Sie fahren seit Monaten
blind, sie sind betrunken vor Müdigkeit, schmut-
zig von Staub, sie sind alle ein wenig unscharf auf
dem Bild: Es ist die Hitzewelle im August. Kom-
men Sie, die Herrschaften, kommen Sie. Es gibt
die Aufschneider, die falschen Doktoren, die
schnellsten Jongleure der Welt, die Frau mit den
Flügeln. Die Schausteller sind verkleidet als Mi-
nister, Parteichefs, aber die Masken haben alle
etwas, das nicht passt. (...)
Ausnahmsweise ist auch die Geisterbahn geöff-
net und das Kettenkarussell. Es ist eine Last-Mi-
nute-Show der Straßenjongleure. Man versteht
nicht, was sie vorhaben und warum und warum
jetzt und was sie morgen machen wollen. Sie wis-
sen es einfach nicht.

E


s ist die seit langer Zeit größte Reform des deut-
schen Wirtschaftsstrafrechts: Künftig müssen Un-
ternehmen, die von einer Straftat profitieren,
mit drastischen Sanktionen bis hin zur Betriebsauflö-
sung rechnen. Das Kalkül des Gesetzgebers: Die neuen
Unternehmenssanktionen sollen abschrecken und dazu
führen, dass Firmen Strukturen schaffen, die Wirt-
schaftskriminalität entgegenwirken.
Und tatsächlich sind drohende Bußgelder in zweistel-
liger Milliardenhöhe bei Betrug, Korruption oder Um-
weltdelikten durchaus geeignet, Unternehmen zu mehr
Verantwortung zu bewegen. Die bislang geltenden
Sanktionen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht von
bis zu zehn Millionen Euro dürften unredliche Groß-
konzerne kaum geschreckt haben. Für sie bedeutete
diese Summe wohl kaum mehr als einen Griff in die
Portokasse.
Es ist verständlich, dass die Unternehmen – vor allem
die ehrlichen – nicht begeistert sind, wenn sie sich nun
noch stärker um ihre Compliance-Maßnahmen küm-
mern müssen. Denn nur so ließe sich bei Verstößen be-

legen, dass sich eine Firma um Rechtstreue bemüht hat



  • was Sanktionen mildern oder sogar komplett verhin-
    dern könnte. Noch mehr Compliance tritt also neben
    Berichtspflichten zu Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozi-
    albelangen, die Datenschutz-Grundverordnung und vie-
    le andere Bürokratiemonster, die die Unternehmen oh-
    nehin stark belasten.
    Allerdings haben Teile der Wirtschaft selbst mitverur-
    sacht, dass die Regierung jetzt einen Gesetzentwurf
    vorlegt. Erst durch Skandale wie die Abgasmanipulatio-
    nen oder Cum-Ex-Geschäfte bekam die schon länger
    laufende Debatte über die Einführung eines Unterneh-
    mensstrafrechts wieder Auftrieb. Die Vorgängerregie-
    rung hatte ein solches Ansinnen noch einfach ins Leere
    laufen lassen – obwohl es sogar schon seinerzeit im Ko-
    alitionsvertrag stand.
    Vor allem in der Dieselaffäre drängte sich zuletzt
    mehrfach der Eindruck auf, dass die Konzerne versu-
    chen, die Schuld bei einzelnen Mitarbeitern abzuladen.
    Auch das dürfte dazu beigetragen haben, dass das Ge-
    setzesvorhaben zunächst von Bundesjustizministerin
    Katarina Barley vorangetrieben und nach ihrem Wech-
    sel ins Europäische Parlament nun von ihrer Nachfolge-
    rin Christine Lambrecht (beide SPD) auf den Weg ge-
    bracht wurde.
    Das heißt für die Zukunft aber auch, dass es die Wirt-
    schaft mit ihrem Verhalten selbst in der Hand hat, re-
    pressive Gesetzgebung zu verhindern. Das wäre auch
    im Sinne von Aktionären und Arbeitnehmern. Denn sie
    werden schnell zu Leidtragenden, wenn Unternehmen
    durch Skandale ins Trudeln geraten.


Unternehmenssanktionen


Selbst schuld!


Erst durch Skandale wie die
Abgasmanipulationen bekam die
Debatte über die Einführung eines
Unternehmensstrafrechts wieder
Auftrieb, sieht Heike Anger.

Die Autorin ist Hauptstadtkorrespondentin.
Sie erreichen sie unter:
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Wirtschaft & Politik


WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162^15


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