Nils Ole Oermann,
Hans-Jürgen Wolff :
Wirtschaftskriege
- Geschichte und
Gegenwart
Herder,
Freiburg 2019,
272 Seiten,
24 Euro
WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162 Literatur^55
Deutscher Wirtschaftsbuchpreis
Wirtschaft als Waffe
Ein Ethiker und ein Politikberater erklären, warum
im Wirtschaftskrieg viele Schüsse nach hinten losgehen.
D
arum geht es: „Handels-
kriege sind leicht zu gewin-
nen“, twitterte US-Präsident
Donald Trump im März vergangenen
Jahres. Ein gutes Jahr später ist aus
dem Konflikt mit China ein globaler
Wirtschaftskrieg an mehreren Fron-
ten geworden: Außer mit Strafzöllen
bekämpfen sich Amerikaner und Chi-
nesen mit Technologieverboten und
Währungsmanipulationen. „Ich habe
nie gesagt, dass es mit China einfach
wird“, muss Trump heute einräu-
men.
Für Ole Oermann und Hans-Jürgen
Wolff ist Trumps späte Erkenntnis
keine Überraschung. „Das hat schon
kriegerische Qualitäten“, urteilen die
beiden Autoren im Handelsblatt-In-
terview über den Konflikt der Groß-
mächte. „Es geht um strategische
Ziele, um Macht und Vorherrschaft.“
Oermann und Wolff haben unter
dem Titel „Wirtschaftskriege“ ein
ganzes Buch darüber geschrieben,
wie die Wirtschaft bereits früher
zum Kriegsziel und zur Waffe in geo-
politischen Machtkämpfen geworden
ist. Wer über die flüchtige Zeitungs-
lektüre hinaus wissen will, wo die
Fronten heutiger Wirtschaftskriege
verlaufen und wie man die Eskalati-
on vielleicht noch stoppen kann, der
findet bei Oermann und Wolff erste
Antworten.
Allerdings nehmen die Autoren ei-
nen sehr langen Anlauf, bis sie zu
den aktuellen Handels-, Technologie-
und Währungskriegen kommen.
Akribisch versuchen Oermann und
Wolff, zunächst für eine begriffliche
Klarheit zu sorgen, und unterschei-
den drei Arten von Wirtschaftskrie-
gen: einen militärischen Konflikt mit
wirtschaftlichen Zielen, den Kampf
gegen die Kriegswirtschaft des Geg-
ners und den Einsatz ökonomischer
Instrumente, um politische Ziele zu
erreichen. Aktuell geht es zwischen
den USA und China zum Glück bis-
lang nur um die dritte Kategorie von
Wirtschaftskriegen.
Das sind die Autoren: Oermann
und Wolff sind ein eher ungewöhnli-
ches Autorenduo. Der 46-jährige Oer-
mann lehrt Ethik an der Universität
in Lüneburg und an der Oxford Uni-
versity. In Oxford hat er auch über
Kolonialgeschichte promoviert. Von
2004 bis 2007 beriet er als persönli-
cher Referent den damaligen Bun-
despräsidenten Horst Köhler. Dort
kreuzten sich auch die Wege mit
Hans-Jürgen Wolff, der bis 2010 für
Köhler das Bundespräsidialamt leite-
te. Promoviert hat der 61-Jährige über
das Thema „Kriegserklärung und
Kriegszustand nach Klassischem Völ-
kerrecht“. Heute arbeitet der Jurist
als Politikberater in Berlin.
Das überrascht: Das politisch inte-
ressanteste Kapitel haben sich die Au-
toren bis zum Schluss aufgehoben.
Unter der Überschrift „Was tun?“ ge-
ben sie acht Empfehlungen, wie
Deutschland und Europa sich im glo-
balen Wirtschaftskrieg behaupten
können. Ganz oben auf ihrer To-do-
Liste steht die Forderung nach einer
„Renaissance der wirtschaftlichen
Staatskunst“. Was in der angelsächsi-
schen Welt unter dem Begriff „econo-
mic statescraft“ seit Jahrhunderten
zum Repertoire staatlichen Handelns
gehört, ist im Nachkriegsdeutschland
verloren gegangen. Oermann und
Wolff plädieren dafür, das globale
Wirtschaften zu einem Teil der Au-
ßen- und Sicherheitspolitik zu ma-
chen. In Ländern wie den USA ist das
längst gang und gäbe. Wirtschaftspo-
litische Erwägungen sind seit Jahren
Teil der nationalen Sicherheitsstrate-
gie Amerikas. In Deutschland tut
man sich dagegen nach wie vor
schwer, die eigene wirtschaftliche
Stärke für strategische politische Zie-
le einzusetzen.
So viel versteht man: Das Buch wen-
det sich nicht an den schnellen Leser,
was dem komplexen Thema durchaus
angemessen ist. Wer den langen An-
lauf bis zum aktuellen Wirtschafts-
krieg nicht scheut, lernt vor allem,
dass und wie die Wirtschaft schon in
früheren Konflikten immer wieder als
„Waffe“ genutzt wurde. Lobenswert
ist, dass die Autoren auch die Kollate-
ralschäden einer klammheimlichen
„Germany first“-Politik kritisch unter
die Lupe nehmen. Das Buch wurde
nicht nur für ein Fachpublikum ge-
schrieben, sondern ist auch für eine
breite, interessierte Öffentlichkeit gut
verständlich. Torsten Riecke
BrauerPhotos / J.Reetz [M]
II. Schreiben
Im Scheitern ist Thomas Middelhoff ein öf-
fentlicher Mensch. Als Autor hingegen muss
man sich ihn alleine in kleinen Räumen vor-
stellen. Erst war es eine Zelle in Essen, in der
„A 115“ – Der Sturz“ entstand, handgeschrie-
ben. Das neue Buch schrieb er am PC, in ei-
ner Schreibstube von sechs Quadratmetern ei-
ner Hamburger Wohnung. Die Wände voll mit
alten Erinnerungsstücken, Fotos, Karikaturen.
In der Mitte über dem Schreibtisch ein Kreuz,
seitlich eine Marien-Skulptur. So beschreibt es
Middelhoff. Er arbeitet von acht Uhr bis spä-
testens 19 Uhr. „Wer gescheitert ist, muss
Struktur in sein Leben bringen. Ohne das
Schreiben hätte ich auf einer Kaimauer geses-
sen und nichts mit mir anzufangen gewusst.“
Wie beschreiben Sie Ihr jetziges Leben?
Meine jetzige Welt ist definitiv die bessere. Du
brauchst kein Haus in St.-Tropez, um glück-
lich zu sein. Du brauchst keinen Fahrer, um
dich fortzubewegen. Du brauchst keine Sekre-
tärin, um eine Reise zu buchen. Diese Basics
musste ich erst zurückbekommen. Heute ent-
wickele ich Kraft daraus, Studenten zu erklä-
ren, welche Fehler sie nicht machen sollten.
Zum Beispiel, sich nicht von Medien abhän-
gig zu machen?
Das war irre bei mir. Das war die Gier nach öf-
fentlicher Anerkennung, die Angst vor dem
Journalisten, was schreibt der? Das war der
Versuch, ihm die Hand zu führen. Auch im
Dax-Bereich versuchen das viele
Manager mit allen Mitteln. Ent-
weder wird ein Teil der Abfin-
dung einem Journalistenwerk ge-
spendet, oder man duzt sich mit
Reportern. Andere haben ihren
Haus-und-Hof-Journalisten, der
das Unternehmen lange begleitet
hat. Das ist eine Fehlentwicklung
von beiden Seiten.
Nun preist der 66-Jährige die
Welt des Buches. Schwärmt, wie
er als Kind im Lieblingssessel,
grün und abgewetzt, in den Bü-
chern lebte, die er las. Mit Sieg-
fried und Gunther, mit Karl May.
Mit Heinrich Böll oder Günter
Grass konnte er als Jugendlicher
weniger anfangen. Erst im Ge-
fängnis wurde Lesen wieder zur
Manie, erzählt Middelhoff, T.C. Boyle mache
ihn süchtig. Er entdeckte: „Schreiben ist für
mich etwas Wertiges.“ Ursprünglich hatte er
Betriebswirtschaftslehre und Publizistik paral-
lel studiert. Mit dem Ziel: Wirtschaftsjourna-
list.
Das war sein Traum. Wirtschaft wurde sein
Albtraum. Wäre er nicht so vor die Wand ge-
laufen, hätte Middelhoff wohl ein Buch über
sein tolles Leben gemacht – mit Ghostwriter.
Jetzt hat sein Projekt, zwischen Selbstgeiße-
lung und Selbstfindung, auch etwas Jungen-
haft-Romantisches. Ein Krimi („Das System“)
über seinen Fall hat er auch schon fertig. Mid-
delhoff sagt, er habe „Schuldig“ für Menschen
geschrieben, „die sagen, ,ich kann nicht
mehr‘. Oder für junge Menschen, die aufpas-
sen sollen, wenn sie sich erfolgreich entwi-
ckeln. Als ich vor dem Nichts stand, habe ich
angefangen, selbstbestimmt zu leben.“
Rasch nach der Haftentlassung lud ihn die
Universität Innsbruck ein, vor Studenten zu
reden. Middelhoff akzeptierte, den Vortragsti-
tel „From Heaven to Hell“ textete er aber um:
„From Hell to Heaven“. Vom Himmel zur Höl-
le und zurück, das ist sein Leben. Seine Story.
Middelhoff spricht 40-mal im Jahr in Universi-
tätssälen, es gibt Standing Ovations. Auch
Start-up-Unternehmer fragen ihn an, er weiß
viel übers Internet. Bei jungen Leuten sei er
nicht stigmatisiert, wohl aber bei Ex-Manager-
kollegen und im gut gebildeten deutschen
Haushalt, wo man sage: „Verbrecher!“
Am meisten gefällt Middelhoff der Satz, wo-
nach er jetzt genau das bekomme, was er ver-
diene: eine zweite Chance. Seine Himmel-Höl-
le-Himmel-Fahrt schließt manches ein: vom
Wirtschaftsstar zum Wirtschaftskritiker, vom
Berstenden zum Betenden, vom Saulus zum
Paulus. Im Buch rechnet Middelhoff mit ho-
hen Pensionszahlungen für Dax-Vorstände ab
und mit der Deutschen Bank.
III. Glauben
Faszinierend findet Middelhoff das Thema
„Konservativismus in Deutschland“. Dazu ge-
höre eine Renaissance des Glaubens: „Die Ge-
sellschaft braucht Leuchttürme. Das wäre eine
Riesenchance für die Kirche. Gerade junge
Leute suchen Orientierung.“ Der einstige
Messdiener hat früher schon Geschäftspart-
ner mit dem Gebet vor dem Business-Lunch
verblüfft. Es habe sich um einen rein formal
gelebten Glauben gehandelt, so Middelhoff.
Erst im Gefängnis habe ihm der Sonntagsgot-
tesdienst wirkliche Kraft gegeben: „Das war
ein Strohhalm.“ Er las die Bibel und betete
den Rosenkranz. Gefragt, ob der Glaube auch
helfe, laufende Ermittlungen des Staatsan-
walts wegen Insolvenzvergehens zu verkraf-
ten, sagt er: „Noch vor zwei Jahren hätte ich
energisch dagegen argumentiert. Heute sage
ich: Der Staatsanwalt muss seinen Job ma-
chen. Wenn ich etwas falsch gemacht habe,
was ich nicht glaube, dann stehe ich dazu.“ Er
hat vier Jahre Bewährungsfrist, nicht zwei
oder drei Jahre, was so wirkt, als müsse er vor
sich selbst geschützt werden.
Middelhoff sagt, sein Bewäh-
rungshelfer habe Humor: „Als
ich zu ihm kam, sagte er: ,Ich be-
komme nur die prominenten Fäl-
le in Hamburg. Ich habe den
Chef der Hell‘s Angels und Sie.‘“
Für das Wiederaufstehen des
Thomas Middelhoff ist eine Per-
son besonders wichtig: Fried-
helm Loh, 72. Der Mittelständler
aus Mittelhessen, ein „Hidden
Champion“ mit seinen Schalt-
schränken, avancierte in der
evangelikalen Bewegung zur
Führungsfigur und steckt viel
Geld in die Stiftung Christliche
Medien (SCM). Zu ihr gehören
etliche Verlage, auch Adeo, in
dem „Schuldig“ erscheint. Es ge-
he darum, „unser Herzblut darin
zu haben, die Botschaft, die Gott
in der Welt haben will, unter die
Menschen zu bringen“, hat Loh öffentlich er-
klärt. So gesehen ist Middelhoff dafür Medi-
um.
Dem SCM-Vorsitzenden widmet er im Buch
eine Passage, ohne ihn beim Namen zu nen-
nen. Loh erscheint da als „erfolgreicher deut-
scher Unternehmer“, der ihn zusammen mit
seinem Sohn Anfang 2018 drei Monate nach
Haftentlassung zum Abendessen einlud. Es sei
„ein sehr unterhaltsamer Abend in eindrucks-
vollen Räumlichkeiten“ gewesen, schreibt
Middelhoff, man habe „im wahrsten Sinne
des Wortes über Gott und die Welt“ geredet.
Auf die Frage nach dem Grund der Einladung
antworte Loh: um sich ein eigenes, persönli-
ches Bild von ihm zu machen. Er traue in die-
ser Hinsicht den Medien nicht und fügte hin-
zu, Christ zu sein. Wenn jemand einen Fehler
mache und um Verzeihung bitte, sollte man
ihn auf dem weiteren Weg unterstützen. „Und
dieses Vorhaben hat er auch bis heute in die
Tat umgesetzt“, formuliert Middelhoff.
Zum Verlag Adeo habe ihn ein Scout erst im
Juni 2018 gebracht – mit der Idee, übers Schei-
tern zu schreiben. Middelhoff sagt dazu in der
„Schmökerstube“: „Erst im Nachhinein wurde
mir klar, dass es ein christlicher Verlag ist –
der übrigens früher Teil von Bertelsmann war.
Und der im Prinzip zu Friedhelm Loh gehört.“
Das ist die tiefere Wahrheit dieses Buchs:
Hier haben sich zwei gefunden, die extrem an
allen Fragen der Digitalisierung und des
christlichen Glaubens interessiert sind.
Wenn man so will: Männer mit Mission.
Thomas Middel-
hoff: Schuldig -
Vom Scheitern und
Wiederaufstehen.
Adeo Verlag,
208 Seiten,
22 Euro
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