Handelsblatt - 23.08.2019

(Rick Simeone) #1
Martin Murphy, Kevin Knitterscheidt
Frankfurt, Düsseldorf

G


uido Kerkhoff ist ein Getriebener. Seit
Jahren stolpert der Thyssen-Krupp-
Konzern von einer Krise in die nächs-
te, muss Prognosen senken und Ge-
schäftsbereiche wie die Aufzugssparte
zur Disposition stellen, um die klamme Kasse not-
dürftig zu füllen. Doch der Vorstandschef will sich
mit dieser Situation nicht abfinden. Kerkhoff will
den angeschlagenen Industriekonzern zu alter Stär-
ke zurückführen. In den vergangenen Wochen hat
der 51-Jährige einen Zukunftsplan für Thyssen-
Krupp ausgearbeitet. Im Mittelpunkt steht der Zu-
kauf des Duisburger Stahlhändlers Klöckner & Co.
Nach Angaben von Branchenkreisen führen die
beiden Firmen bereits Gespräche über eine Über-
nahme von Klöckner durch Thyssen-Krupp.
Es ist für Kerkhoff die Chance, als Manager wie-
der in die Offensive zu kommen. Für den Ruhrkon-
zern wiederum wäre es die erste größere Akquisiti-
on seit der Verschmelzung von Krupp und Thyssen
vor bald 20 Jahren. Im vergangenen Jahr erzielte
Klöckner einen Umsatz von 6,8 Milliarden Euro,
Thyssen-Krupps Werkstoffhandel kam auf gut das
Doppelte. Fusioniert wären die beiden Gesellschaf-
ten der dominante Werkstoffhändler in Europa
und Nordamerika. Die Konzerne lehnten einen
Kommentar dazu ab.
Dass der Ruhrkonzern schon seit der Jahrtau-
sendwende kein größeres Unternehmen mehr
übernommen hat, lag vor allem daran, dass er in
den vergangenen zehn Jahren gegen eine selbst
verschuldete Krise ansparen musste. Größere Ak-
quisitionen konnte das Unternehmen mangels Ka-
pitals nicht stemmen. Kerkhoff will sich den finan-
ziellen Spielraum für Zukäufe mit einem radikalen
Umbau schaffen.
Nachdem die Führungsetage in den Jahren seit
2011 vor allem auf den Ausbau der Technologie-
sparten – Aufzüge, Anlagen- und Komponentenbau


  • gesetzt hatte, rückte Kerkhoff im Mai den Fokus
    auf das Werkstoffgeschäft. Die Europäische Kom-
    mission hatte zuvor die Fusion der Stahlsparte mit
    Tata Steel Europe untersagt. Zu groß wäre die
    Marktmacht des verschmolzenen Konzerns gewor-
    den, so das Urteil der Kartellhüter. Dagegen will
    sich Thyssen-Krupp nun auch gerichtlich wehren,
    wie der Konzern am Donnerstag bekanntgab.
    Für Kerkhoff war es trotzdem ein Desaster, die
    neue Strategie hatte keinen Bestand mehr. Auf die
    Schnelle mussten er und seine Leute eine neue
    Marschrichtung definieren. „Einfach weiterma-
    chen ging nicht, dafür war die Lage zu schlecht“,
    berichtet eine Führungskraft. Die Finanzdecke von
    Thyssen-Krupp ist derart schwach, dass bei einer
    Rezession ernste finanzielle Schwierigkeiten dro-
    hen würden, wie es in Konzernkreisen heißt. Nie-
    mand will wieder eine Situation wie Anfang 2011
    erleben, als die Firma am Rande der Pleite stand.
    Als Sofortmaßnahme kündigte Thyssen-Krupp
    einen Strategieschwenk Richtung Stahl und die Ab-
    spaltung der Aufzugsparte an. Es ist eine Schubum-
    kehr, mit der Kerkhoff das Unternehmen letztlich
    auf alte Pfade zurückführt. Er knüpft an der Strate-
    gie seines Vor-Vorgängers Ekkehard Schulz an, für
    den Stahl über allem gestanden hatte. Kerkhoff
    kehrt den Plan zur Seite, aus dem Industriekonglo-
    merat einen Technologiekonzern zu formen.


Aufsichtsrat fordert Details
Langfristig, so hatte Kerkhoff vor einigen Monaten
in Aussicht gestellt, könne sich der Konzern sogar
von Mehrheitsbeteiligungen in der Komponenten-
fertigung sowie im Anlagenbau trennen. Diese Be-
reiche wären im Zuge der ursprünglich avisierten
Konzernspaltung ebenso wie die Aufzüge ohnehin
von den Werkstoffsparten getrennt worden.
Der Aufsichtsrat stellte sich im Mai hinter den
eingeschlagenen Kurs. Das Votum des 20-köpfigen
Gremiums war einstimmig, aber nicht ohne Kritik.
Einzelne Kontrolleure bemängeln, dass die Strate-
gie bruchstückhaft ist. „Es fehlen Details“, klagt ein
Aufseher. Die will Kerkhoff spätestens bis zur Auf-
sichtsratssitzung im November liefern.
Zum einen will er Thyssen-Krupp auf Effizienz
trimmen. Jedes Geschäft werde auf seine Rentabili-
tät durchleuchtet, heißt es im Konzern. Es dürfe
keine faulen Kompromisse mehr geben, Umbauten

Rückkehr


zum


Kerngeschäft


Thyssen-Krupp besinnt sich auf sein altes
Stammgeschäft Stahl. Um Zukäufe etwa von Klöckner &
Co. und Salzgitter stemmen zu können, sollen weitere
Konzernbereiche verkauft werden.

REUTERS


Bloomberg, Wolfram Schroll


Arbeiter von Salzgitter
(l.) und Klöckner (r.):
Die beiden Firmen würden
gut zur neuen Strategie
des Ruhrkonzerns passen.

Stahlkocher in
Duisburg: Stahl
spielt nun die
Hauptrolle bei
Thyssen-Krupp.

Schwerpunkt


Deutschlands neue Stahl AG


(^6) WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162
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