müssten konsequent umgesetzt werden. Führungs-
kräfte, die diesen Weg nicht mitgingen, müssten
sich eine neue Heimat suchen.
Die strategische 180-Grad-Wende will der Vor-
stand mit dem Verkauf des Aufzugsgeschäfts finan-
zieren. Der Bereich gilt mit einem Umsatz von rund
7,6 Milliarden Euro als Kronjuwel im Portfolio des
Ruhrkonzerns. Der geschätzte Wert liegt bei 14 Mil-
liarden Euro und ist damit doppelt so viel wert wie
der Gesamtkonzern. Der kommt auf eine Markt -
kapitalisierung von knapp 6,6 Milliarden Euro.
Zwar würde Kerkhoff die Sparte gerne an die
Börse bringen – wohl auch, um weiter von Teilen
der zu erwartenden Dividende des Geschäfts pro-
fitieren zu können. Doch aus Sicht von Beobach-
tern ist dieser Weg angesichts der sich abschwä-
chenden Konjunktur und der Schwankungen an
den Kapitalmärkten so gut wie unmöglich. Zumin-
dest, wenn das Unternehmen einen realistischen
Wert erzielen will.
Doch Thyssen-Krupp hat Alternativen: Mit Kone,
Schindler, Otis und Hitachi haben Wettbewerber
ihr Übernahmeinteresse bekundet. Vor allem die
finnische Kone-Gruppe drängt auf einen Zusam-
menschluss. Wie auch bei der Schweizer
Schindler seien aber erhebliche Aufla-
gen durch die europäischen Wett-
bewerbsbehörden zu erwarten,
sagt eine mit den Vorgängen
vertraute Person. „Der Pro-
zess würde sich zudem er-
heblich durch eine intensi-
ve Prüfung verzögern.“
Was bleibt, sind Finanz-
investoren, von denen sich
laut Kerkhoff einige bereits
bei ihm gemeldet hätten.
Nachdem den Finanzinvesto-
ren zunächst wenig Chancen
eingeräumt worden waren, gelten
sie nun als realistische Alternative.
In einem ersten Schritt könnten ein oder
mehrere Investoren eine Minderheit überneh-
men, die diese dann bei einem Börsengang in ei-
nem besseren Wirtschaftsumfeld wieder verkaufen
könnten. Thyssen-Krupp könnte so schnell Kapital
bekommen, heißt es in Konzernkreisen.
Auf frisches Geld ist der Traditionskonzern wie
selten in seiner über 200-jährigen Geschichte ange-
wiesen. Im abgelaufenen Geschäftsjahr dümpelte
die Eigenkapitalquote bei gerade einmal zehn Pro-
zent. Kerkhoff muss die Bilanz stärken und Raum
für die geplanten Zukäufe schaffen. Der erste Deal
mit Klöckner könnte schon bald stehen.
In einer Projektgruppe arbeiten Vertreter beider
Unternehmen laut Branchenkreisen an den Details
eines Zusammenschlusses, mit dem der in Europa
und Nordamerika dominierende Werkstoffhändler
entstehen würde. Das Vorhaben sei auf einem gu-
ten Weg, heißt es.
Für die Übernahme müsste Thyssen-Krupp zu-
nächst rund 800 Millionen Euro zahlen. Ein erheb-
licher Teil des Geldes könnte durch Teilverkäufe et-
wa von Aktivitäten in den USA wieder hereingeholt
werden. Lohnen würde sich der Deal aber schon
so, da jährliche Einsparungen im niedrigen drei-
stelligen Millionenbereich möglich seien.
Für den großen Wurf müsste der deutsche
Marktführer zusätzlich mit einem direkten Wettbe-
werber zusammengehen. In den Fokus ist dabei
die Salzgitter AG gerückt, der zweitgrößte unab-
hängige Stahlkocher im Land. Dessen Chef Heinz
Jörg Fuhrmann hatte kürzlich selbst die Tür für Ge-
spräche geöffnet. Zwar habe er bisher kein Kon-
zept für eine Fusion mit einem Wettbewerber gese-
hen, der für Salzgitter „eine erkennbar vorteilhafte
Perspektive“ beinhaltet hätte, sagte er der „Frank-
furter Allgemeinen Zeitung“. „Aber ich kann und
will natürlich nicht ausschließen, dass es das
eines Tages doch noch geben könnte.“
Laut Branchenkreisen wären die
Vorteile immens. Das Einsparpo-
tenzial liege im mittleren drei-
stelligen Millionenbereich,
sagt ein Manager. Anders als
bei Tata würde eine Fusion
von Thyssen-Krupp mit
Salzgitter von den Gewerk-
schaften zudem begrüßt
werden. Zwar sei ein Jobab-
bau zu befürchten, aber die
Fertigung bliebe in heimischer
Hand, sagt ein involvierter Ver-
treter der IG Metall.
Absehbar ist, dass sich die Füh-
rung von Thyssen-Krupp mit der Idee be-
schäftigen dürfte. Käme es dazu, würde sich der
von vielen gehegte Traum einer „Deutschen Stahl-
AG“ erfüllen. Letztlich gehe daran kein Weg vorbei,
so eine hochrangige Führungskraft. „Wenn wir den
Schritt nicht endlich gehen, werden uns die Chine-
sen und Osteuropäer den Markt abnehmen und
uns letztlich schlucken.“
Bei der Neuausrichtung darf Thyssen-Krupp kei-
ne Zeit verlieren. „Wir waren in der Vergangenheit
oft zu langsam“, sagt ein Manager. „Jetzt müssen
wir schneller angreifen und Themen auch mal pa-
rallel abarbeiten.“
Stahlindustrie
Gegenwind für
Kerkhoffs Pläne
A
ls der Thyssen-Krupp-Vorstand vor eini-
gen Monaten bekannt gab, die Stahlspar-
te nach der geplatzten Fusion mit Tata
Steel Europe wieder zum neuen Kerngeschäft zu
erheben, war die Lage der Branche zwar
schlecht, aber noch nicht ernst. Das hat sich ge-
ändert: Aus einer vermeintlich vorübergehenden
Durststrecke der wichtigsten Abnehmer, der
deutschen Autoindustrie, ist eine handfeste Re-
zession in vielen Branchen geworden.
Die trifft die europäische Stahlindustrie
schwer: Nicht nur Thyssen-Krupp, auch Konkur-
renten wie Arcelor-Mittal, Salzgitter oder Tata lei-
den unter der anhaltend schwachen Nachfrage
von Autoherstellern und Maschinenbauern. So
vermeldete etwa Tata Steel Europe vor knapp
zwei Wochen, dass sich die ohnehin schon deso-
late Situation der Stahltochter in Großbritannien
weiter verschlechtert hat. Unterm Strich erzielte
Tata UK im abgelaufenen Geschäftsjahr einen
operativen Verlust von 157 Millionen Pfund – eine
Verdreifachung im Vergleich zum Vorjahr.
Längst haben die Hersteller damit begonnen,
ihre Produktion herunterzufahren. Der weltgröß-
te Hersteller Arcelor-Mittal etwa, der im Moment
mitten in der Sanierung eines neu zugekauften
Stahlwerks im italienischen Tarent steckt, schick-
te Tausende italienische Stahlkocher vorüberge-
hend in Kurzarbeit. Betroffen sind auch deutsche
Standorte in Bremen und Eisenhüttenstadt. Nach
Daten des Weltstahlverbandes fiel die Stahlpro-
duktion in Deutschland im Juni verglichen mit
dem Vorjahresmonat um fast sechs Prozent.
Umweltauflagen belasten
Doch Druck kommt nicht nur durch die schwa-
che Nachfrage. Auch die Kosten für das Vormate-
rial – bei integrierten Stahlwerken ist das vor al-
lem Eisenerz – sind seit Jahresanfang regelrecht
explodiert. Mit gut 80 Euro je Tonne ist der Preis
für den Rohstoff zwar in den vergangenen Tagen
wieder gesunken, nachdem die Erzlieferanten im
Juli zeitweise das Anderthalbfache davon ver-
langt hatten. Gegenüber dem Jahresanfang blei-
ben die Kosten allerdings hoch: Im Vergleich zum
Januar (rund 60 Euro je Tonne) beträgt die Preis-
steigerung immerhin noch mehr als 30 Prozent –
bei gleichzeitig sinkender Nachfrage durch die
Kunden der Stahlhersteller.
Hinzu kommt speziell in Europa ein weiterer
Kostenfaktor: die Belastung durch den notwendi-
gen Kauf von CO 2 -Zertifikaten im Rahmen des eu-
ropäischen Emissionsrechtehandels. Der Auf-
wand wächst stetig, die Branche selbst kann da-
ran aber nur wenig ändern. So rechnet etwa der
österreichische Hersteller Voestalpine für das
laufende Geschäftsjahr mit Ausgaben in Höhe ei-
nes dreistelligen Millionenbetrags, um den eige-
nen Bedarf an Zertifikaten zu decken. Anders als
in vielen anderen Industrien fällt es der Stahl-
branche besonders schwer, ihre Emissionen zu
verringern. Denn das CO 2 fällt hier als sogenann-
tes Prozessgas an, ist also untrennbar mit der
Produktion verbunden.
Daraus erwächst für die Hersteller das nächste
Zukunftsrisiko: Bis 2050, so will es die Europäi-
sche Union, soll der Ausstoß von CO 2 in der EU
um bis zu 95 Prozent gesenkt werden. Um das
Ziel zu erreichen, setzen viele Hersteller auf Was-
serstofftechnologien, um eines Tages den Koks
im Hochofen durch das klimaneutrale Gas zu er-
setzen.
Doch die Investitionen für den Umbau sind
hoch: Allein Salzgitter rechnet mit Ausgaben von
gut einer Milliarde Euro, um die Anlagen mit der
neuen Technologie auszurüsten. Bei Thyssen-
Krupp, dem größten deutschen Hersteller, sind
es sogar zehn Milliarden Euro. Das Problem: Die
Investitionen bringen den Unternehmen auf dem
Weltmarkt keinen Wettbewerbsvorteil. Gleichzei-
tig wächst die Konkurrenz aus dem Ausland –
auch wegen der Stahlzölle in den USA, die außer-
europäische Exporteure in die EU treiben. kekn
Schwerer Stand für Thyssen-Krupp
Aktienkurs in Euro
Größte europäische Stahlhersteller nach Stahlproduktion 2018 in Mio. Tonnen
- bis 3. Q. 2018
Umsatz Nettoergebnis
30,
189
31,
-50,1 % in Mrd. Euro in Mio. Euro
Quellen: Bloomberg, Unternehmen, World Steeal Association
Luxemburg Russland Luxemburg Deutschland Deutschland
HANDELSBLATT
1.10.2018 22.8.
Arcelor-Mittal
Rang 1
96,
Mio. t
17 ,4 15,4 12,6 7,
Rang 2 Rang 3 ... 61 ... 2
NLMK Techint Thyssen-Krupp Salzgitter
22
19
16
13
10
- bis 3. Q. 2019
Analysten-
empfehlungen
Letzte 12 Monate
KGV 12/
Börsenwert
94,
Mrd. Euro
6,
Verkaufen
Halten
Kaufen
3
7
9
Reuters
Ich kann nicht
ausschließen,
dass es eines
Tages ein für
Salzgitter
vorteilhaftes
Konzept für
eine Fusion
im Stahl gibt.
Heinz Jörg Fuhrmann
Vorstandschef
Salzgitter
Übernahme
800
MILLIONEN EURO
müsste Thyssen-Krupp für eine
Übernahme von Klöckner im
Moment aufbringen.
Quelle: Schätzungen
Deutschlands neue Stahl AG
WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162^7
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