Handelsblatt - 27.08.2019

(lily) #1
cken. Aber das untere Wasserbassin des Pump-
werks musste aus geografischen Gründen kleiner
ausfallen als geplant, was die Speicherkapazität
verringerte. „Wenn der Wind länger als drei oder
vier Tage nicht bläst, ist die Energie aus dem
Pumpspeicherkraftwerk aufgebraucht und wir
müssen auf den Diesel zurückgreifen“, erklärt Ar-
mas. Er ist nicht nur Regierungschef der Insel, son-
dern auch Chef von Gorona El Viento, an dem die
Inselregierung 66 Prozent hält.
Um das Ziel von 100 Prozent Erneuerbaren zu
erreichen, will Armas das System nun erweitern.
„Wir prüfen die Installation von Photovoltaik-Anla-
gen, Energiegewinnung aus Meereswellen, aber
auch die neueste Generation Batterien“, sagt er.
Der Inselvater will zudem innerhalb der kommen-
den zwei Legislaturperioden die komplette Fahr-
zeugflotte von El Hierro auf elektrische Antriebe
umstellen. Dazu hat er sieben Ladestationen ge-
baut, wo Nutzer E-Autos gratis aufladen können.
Käufer von Elektrowagen erhalten Subventionen.
Das Geld dafür nimmt er aus den Überschüs-
sen, die Gorona del Viento bereits erwirtschaftet.
Das aber liegt nach Einschätzung von Experte
Rodríguez daran, dass der spanische Staat das In-
selprojekt „klar überbezahlt“ hat.
Der Bau der Anlage hat 81 Millionen Euro ge-
kostet. Davon finanzierte die spanische Regierung
direkt 35 Millionen, die übrigen 46 Millionen
übernahm die Inselregierung. Die Stromerzeu-
gung auf den vom großen Netz abgeschnittenen
Inseln ist per se teurer als auf dem Festland. Da
der spanische Staat die Mehrkosten nicht auf die
Verbraucher umwälzen will (in Spanien zahlen al-
le Bewohner denselben Strompreis), hilft er Un-
ternehmen wie Gorona del Viento finanziell.
Den Schlüssel für diese Entschädigung hat er
laut Rodríguez bei Gorona del Viento schlecht be-
rechnet. „Das Unternehmen ist schon vier Jahre
nach der Inbetriebnahme für die kompletten In-

vestitionskosten entschädigt worden – viel früher
als vorgesehen“, sagt er. Eine Studie der Univer-
sität von Las Palmas kritisierte die hohen Kosten
des neuen Stroms im Vergleich zum Diesel.
Nachahmern rät Rodríguez deshalb, solche Ent-
schädigungsexzesse zu vermeiden oder Mecha-
nismen zu etablieren, die eine schnelle Korrektur
ermöglichen, falls sie auftreten.

Die Erkenntnis


Zahlreiche internationale Gruppen sind bereits
nach El Hierro gekommen, um sich die Technik
anzusehen – unter anderem aus Brasilien, Japan,
den Seychellen, Dänemark und Schweden. Eine
erste Kopie gibt es bereits: Die kleine griechische
Insel Ikaria nahm im Juni ein Pumpspeicherkraft-
werk in Betrieb, das ebenfalls mit Windenergie
betrieben wird. Das Projekt namens Naeras soll
die Hälfte des Energiebedarfs der gut 8500 Insel-
bewohner abdecken.
Der spanische Netzbetreiber Red Electrica
baut in Chira Soria auf Gran Canaria ein mit er-
neuerbaren Energien betriebenes Pumpspeicher-
kraftwerk mit einer Kapazität von 200 Megawatt


  • 17 Mal größer als die von El Hierro. „Die Kombi-
    nation von Pumpenanlagen mit Windenergie hat
    ein großes Entwicklungspotenzial“, sagt Experte


Rodríguez. Die variablen Kosten des Projekts sind
gering, und die Lebensdauer eines Pumpspeicher-
kraftwerks ist nahezu unbegrenzt.
Das System lässt sich überall anwenden, wo die
natürlichen Gegebenheiten für Windturbinen und
Höhenunterschiede für Pumpspeicherkraftwerke
gegeben sind, etwa in bergigen Gebieten. Beson-
ders interessant ist es aber für Inseln, weil sie
dringender als das Festland neue Formen der
Energieerzeugung und -speicherung brauchen.
Allein die EU hat 2200 bewohnte Inseln. Ihre
weit verbreitete Abhängigkeit von fossilen Brenn-
stoffen hat für die Umwelt erhebliche Konsequen-
zen, wie das Beispiel Spanien zeigt: 15 Prozent der
spanischen Treibhausgasemissionen, die bei der
Stromproduktion anfallen, stammen allein von
den Kanaren und den Balearen – obwohl sie nur
fünf Prozent des spanischen Stroms produzieren.
Die Stromproduktion ist der drittgrößte Verursa-
cher von Treibhausgasen, hinter dem Transport
und der Industrie.
El Hierro hat seit Juli 2015 insgesamt 80 000
Tonnen Treibhausgase (vor allem CO 2 ) weniger in
die Atmosphäre geblasen als vorher und bis Ende
2018 21 000 Tonnen Diesel eingespart. Finden die
Inseln einen Weg, ihren Strom mit Erneuerbaren
zu produzieren, tragen sie deutlich zu den Klima-
schutzzielen bei, die sich Spanien gegeben hat.

Die Strategie von Spanien


Im spanischen Ministerium für ökologischen Wan-
del heißt es, die Inseln agierten seit einiger Zeit als
Art Laboratorium unter freiem Himmel, womög-
lich weil sie besonders bedroht vom Klimawandel
sind. „Die erneuerbare Zukunft unserer Inseln ist
nicht nur positiv, sondern notwendig, wenn Spa-
nien seine Verpflichtungen aus dem historischen
Pariser Abkommen zur Bekämpfung des Klima-
wandels erfüllen will“, heißt es im Ministerium.
Es arbeitet deshalb mit dem nationalen Institut
für die Diversifizierung und die Einsparung von
Energie (IDAE) an einer Strategie, um Erneuerba-
re auf den Inseln voranzutreiben. Dazu gehören
Finanzhilfen, die auch über den EU-Fonds für re-
gionale Entwicklung fließen sollen.
Die Inselstrategie ist Teil eines ambitionierten
Klimaschutzplans der sozialistischen Regierung.
Ministerpräsident Pedro Sánchez will den Anteil
der Erneuerbaren an der kompletten Energienut-
zung bis 2030 auf 42 Prozent steigern. Damit geht
er deutlich über das Ziel der EU von 32 Prozent
hinaus. Der Anteil der fossilen Energieträger auf
den spanischen Inseln soll in dem Zeitraum um
„mindestens 50 Prozent sinken“. Das Ziel ist ehr-
geizig: 2017 lag der Anteil der Erneuerbaren in
Spanien bei rund 17 Prozent – wie der EU-Durch-
schnitt.
Sánchez hat den Kampf gegen den Klimawan-
del zu einem zentralen Element seiner Politik ge-
macht, nachdem er Mitte 2018 durch ein Misstrau-
ensvotum an die Regierungsspitze kam. Er schuf
ein Ministerium für den „ökologischen Wan-
del“ und setzte mit Teresa Ribera eine anerkannte
Expertin an dessen Spitze.
Die starke Wirtschaftskrise, die in Spanien 2008
einsetzte, hatte dazu geführt, dass der Klima-
schutz eher stiefmütterlich behandelt wurde. In
der Krise kürzte die konservative Regierung die
zuvor üppige Subventionierung von Erneuerba-
ren, um ihre Staatsschulden zu verringern. Zwi-
schen 2013 und 2016 wurden deshalb kaum neue
Anlagen installiert. Zudem besteuerte sie 2015 die
Photovoltaik für den Eigengebrauch und hielt die
Spanier so davon ab, den Preisverfall bei Solarpa-
nels für die eigene Stromerzeugung zu nutzen. Ri-
bera bezeichnete die Steuer als „absurd“ und
schaffte sie im Herbst 2018 gleich wieder ab.
Inzwischen sind auch die Preise für Windturbi-
nen so weit gesunken, dass sich deren Betrieb zu-
mindest auf dem Festland auch ohne Subventio-
nen rechnet. Seit 2017 steigt die Zahl der Installa-
tionen von Erneuerbaren deutlich. Der spanische
Energieversorger Iberdrola etwa will in Extrema-
dura Europas größten Solarpark bauen. Die Nach-
richtenagentur Bloomberg bezeichnet Spanien als
„Europas heißesten Markt für Erneuerbare“. Das
Land eignet sich mit seiner Sonne und großen
freien Flächen bestens für Solar- und Windkraft.
Auch die spanischen Inseln sind reich an Wind
und Sonne. Um die zu nutzen, benötigen sie
zwar staatliche Hilfe, doch die Rendite der Um-
stellung ist wegen ihrer Abhängigkeit vom Die-
sel für das Klima auch deutlich größer.

on für Szenarien der Energiewende, die die spani-
sche Regierung 2017 eingerichtet hat.
Im Juli 2015 ging das kombinierte Wind-Pump-
speicherkraftwerk mit seiner vollen Leistungsfähig-
keit ans Netz. 2018 hat El Hierro 56 Prozent seines
Strombedarfs damit produziert. Diesen Sommer
deckte die Insel 24 Tage lang ihre Energie zu 100
Prozent ununterbrochen mit der Kraft der Passat-
winde und der Hydraulik ab – ein neuer Rekord. In
isolierten Gebieten wie Inseln ist die Nutzung von
Erneuerbaren deutlich schwieriger als auf dem
Festland, wo große Netzverbünde mehrere Siche-
rungsmechanismen für Nachfragespitzen oder den
Ausfall von Sonnen- oder Windenergie bieten.
Eine Herausforderung des neuen Systems be-
stand deshalb darin, die kräftigen Böen und plötz-
lichen Flauten der Passatwinde so abzufedern,
dass kein Loch in der Energieerzeugung entsteht.
„Das hydraulische System springt innerhalb von
Millisekunden an, wenn der Wind nachlässt, um
die Stabilität der Energieversorgung zu gewährleis-
ten“, erklärt Felix Boda, der für die Infrastruktur
von Gorona del Viento verantwortlich ist. „Die
technischen Komponenten gab es bereits, weltweit
neu aber war, dass wir Wind und Wasser kombi-
niert haben und in der Praxis nutzen.“
Ursprünglich war das Ziel, mit dem System den
kompletten Energiebedarf des Archipels abzude-

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Das Handelsblatt stellt
Klimapioniere und ihre
Projekte sowie die
Umwelt strategie ihrer
Heimatländer vor.

Kommenden
Dienstag:
Weg vom Öl, hin zur
Sonne: wie Abu Dhabi
die Energiewende
forciert.

Bisher erschienen:
Norwegen: CO 2 in
großem Stil verbuddeln
Südafrika: Die
Wiedergeburt der
alternativen Energien
Schweden: CO 2 -
Steuer und Wachstum
müssen kein Wider-
spruch sein.
Frankreich: Eine
Kleinstadt im Norden
zeigt, welche Chancen
in der Energiewende
liegen.

Windräder
am Vulkan:
Die Anlage
erzeugt Strom
für die gesam-

Gerald Haenel/laif te Insel.


privat


Die Insel


hat das


Problem von


erneuerbaren


Energien


gelöst:


ihre fehlende


Speichermög-


lichkeit.


Diego Rodríguez
Ökonom an der
Uni Complutense in
Madrid

Wirtschaft & Politik
DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164

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