Sandra Louven, Madrid
D
as Natursymbol der Kanaren-Insel El
Hierro ist der Phönizische Wacholder
- ein Baum, der aussieht wie ein Lang-
haarschopf im Starkwind: Die Äste
krümmen sich im 90-Grad-Winkel zu einer Seite
und lassen nur dort Zweige und Blattwerk sprie-
ßen. Der eigenartige Wuchs ist den kräftigen Pas-
satwinden geschuldet, die oft über die Vulkanin-
sel im Atlantik hinwegfegen.
Das Projekt
Diese natürliche Energie wollte sich die Inselregie-
rung zunutze machen. Die Verwaltung hält viel auf
ihre Naturnähe, die Unesco erklärte die Insel im
Jahr 2000 zum Biosphärenreservat. „Wir wollten
nicht länger von Brennstoffen für unsere Energie-
versorgung abhängig sein und haben deshalb an
einem neuen System gearbeitet“, sagt Alpidio Ar-
mas, Chef der Inselregierung im Gespräch mit
dem Handelsblatt. Abgeschnitten von den großen
Stromnetzen des Festlandes produzierte El Hierro
seine Energie zuvor allein mit Diesel-betriebenen
Generatoren. Das ist eine der umweltschädlichsten
Formen der Energieerzeugung, die aber auf den
Kanaren wie auf den meisten Inseln die Regel ist.
Um das zu ändern, baute El Hierro ein welt-
weit neuartiges System: Es kombinierte die wet-
Kanarische Insel
Das Klimawunder
von El Hierro
Die kleine Kanaren-Insel El Hierro war wie die meisten Eilande vom
klimaschädlichen Diesel für ihre Energieproduktion abhängig. Doch dann
fand sie einen Weg, die üppige Windenergie zu speichern.
HANDELSBLATT
Quellen: BP,
Ministerio para la
Transición Ecológica
Spanien
Erdöl
Erdgas
Kohle
Atomkraft
Erneuerbare
inkl. Wasserkraft
47,1 %
19,2 %
7,9 %
8,9 %
17, %
2018
2018
14 1,
332,
Primärenergieverbrauch
nach Energieträgern in Prozent
Treibhausgas-Emissionen
nach Sektoren in Prozent
27 % Transport
19 % Industrie
17 %
Strom-
erzeugung
12 % Landwirtschaft
12 % Sonstige
9 % Bau u. Gebäude
4 % Abfallwirtschaft
Gesamt
in Mio. Tonnen
Öläquivalent
Gesamt:
Bruttoemissionen
in Mio. Tonnen
CO-Äquivalent
Speichersee des
Kraftwerks: Reicht der
Wind nicht zur Strom-
erzeugung, werden die
Turbinen mit Wasser
gespeist.
terabhängiggge Windkraft mit einem Pumpspeicher-
kraftwerk. Das eigens gegründete Unternehmen
„Gorona del Viento“ installierte auf dem Bergrü-
cken der Insel fünf Windräder mit einer Kapazität
von 11,5 Megawatt. An sich reicht das für den
Strombedarf der gerade einmal 11 000 Einwohner
auf der 270 Quadratkilometer großen Insel. Das
Problem aber ist, dass der Wind eben nicht immer
bläst und es bislang keine Batterie gibt, die potent
genug wäre, die erzeugte Energie zu speichern.
Gorona del Viento baute deshalb zusätzlich ein
Pumpspeicherkraftwerk mit der gleichen Kapazi-
tät. Es besteht aus zwei Speicherseen – einer befin-
det sich auf dem Bergrücken, es ist der ehemalige
Vulkankrater, einen zweiten baute das Unterneh-
men im Tal. Reicht der Wind nicht für die benötig-
te Energie, lässt Gorona del Viento das Wasser von
oben nach unten rauschen, das dabei Turbinen an-
wirft, die Strom erzeugen.
Der Clou daran ist, dass die Energie, die zum
Hochpumpen des Wassers benötigt wird, von der
überschüssigen Windenergie stammt, die gerade
nicht für das Stromnetz benötigt wird. „Die Insel
hat so das große Problem gelöst, das erneuerbare
Energien heute noch haben: ihre fehlende Spei-
chermöglichkeit“, sagt Diego Rodríguez Rodríguez,
Wirtschaftsprofessor an der Complutense-Universi-
tät in Madrid und Mitglied der Expertenkommissi-
Serie: Klimapioniere
Der Kampf gegen die globale
Erderwärmung ist eine der
wichtigsten politischen Heraus-
forderungen geworden. Dieser
Kampf ist allerdings nur zu
gewinnen, wenn wir bereit sind,
neue Wege zu gehen, und vor
allem: wenn wir international
voneinander lernen. Das ist das
Ziel dieser Serie, in der die Kli-
mapioniere vorgestellt werden.
Im fünften Teil der Serie
„Klimapioniere“ schauen wir
nach Spanien: Die kleine kanari-
sche Insel El Hierro hat eine
Technik entwickelt, wie sie die
fast grenzenlos vorhandene
Windenergie speichern kann. Es
ist ein Projekt, das auch für
andere abgelegene Regionen
Modellcharakter hat.
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TAGE
deckte El Hierro
seinen Energiebedarf
diesen Sommer zu
100 Prozent mit
Erneuerbaren.
2018 waren es insge-
samt 56 Prozent.
Quelle: Unternehmen
Wirtschaft & Politik
DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164
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