„Die spekulative Gier auf dem Wohnungsmarkt
muss gestoppt werden. Auf dem Weg dorthin
dürfen wir das Augenmaß aber nicht verlieren.
Nicht der radikalste Vorschlag ist der
beste, sondern der wirksamste Vorschlag.“
Andreas Geisel (SPD), Berlins Innensenator,
zur Debatte über einen Mietendeckel
Worte des Tages
Amazonasbrände
Brasilien wird
zum Paria
E
s ist erstaunlich, wie schnell
und mit welcher Wucht Bra-
siliens brennender Amazo-
nas es auf die Tagesordnung der G
schaffte. Denn die Abholzungsraten
in Brasilien nehmen bereits seit
2012 kontinuierlich zu. Waldbrände
sind in der Trockenzeit am Äquator
häufig, nicht nur in Brasilien, ge-
nauso in Afrika oder Asien.
Dass nun in Biarritz über die Dra-
matik am Amazonas diskutiert wur-
de, das liegt vor allem auch am bra-
silianischen Präsidenten Jair Bolso-
naro: Nicht nur dessen Reaktionen
auf die Kritik aus Europa an seiner
Umweltpolitik sind in den letzten
Wochen immer schriller geworden.
Der Rechtspopulist hat seit seinem
Amtsantritt im Januar alle die über
Jahre aufgebauten institutionellen
und rechtlichen Kontroll- und
Schutzmechanismen für den Re-
genwald, Indigenenreservate und
Naturschutzgebiete systematisch
zerstört.
Das ist in der Tat dramatisch.
Denn aus dem Brasilien, das 2004
noch fast 27 000 Quadratkilometer
Wald abfackelte, war ein Staat ge-
worden mit einem modernen Um-
welt- und Amazonasschutz und
wachsendem Umweltbewusstsein
in der Gesellschaft. Brasilien wurde
zu einem wichtigen Akteur beim
Klimaabkommen, weil es zusagte,
seinen Wald zu schützen.
Die Kontrolle über den Amazonas
fand demokratisch statt: Die Zivil-
bevölkerung, die Umweltgruppen,
die Financiers, die verschiedenen
politischen und staatlichen Ebenen
in Brasilien genauso wie die Soja-
und Fleischkonzerne dort und de-
ren Abnehmer bei uns waren dabei
eingebunden.
Das ist nun vorbei. Brasilien ist
wieder der weltweite Umweltparia
wie zuletzt vor zweieinhalb Deka-
den, als der erste Erdgipfel der UN
in Rio stattfand. Der wirtschaftliche
und politische Schaden für Brasi-
lien wird immens ausfallen.
Dennoch wäre es aber falsch, nun
jede Zusammenarbeit mit Brasilien
aufzukündigen. Brasilien ist nicht
Bolsonaro, die größte Volkswirt-
schaft Südamerikas immer noch un-
ser Partner. Das gilt, auch wenn der
Präsident dort ein Brandstifter ist.
Dem Amazonas hilft es nicht,
wenn wir die Zusammenarbeit
mit Brasilien beenden,
sagt Alexander Busch.
Der Autor ist Korrespondent
in Brasilien.
Sie erreichen ihn unter:
D
ie SPD leidet erkennbar an einem
Burn-out-Syndrom. Statt an wirt-
schaftspolitischer Substanz zuzule-
gen, schaltet sie mit ihren Plänen zur
Vermögensteuer vom Wahlkampf- in
den Panikmodus. Die Steuereinnahmen erreichen
Rekordhöhen, und bei den Sozialdemokraten wir-
beln nur Steuererhöhungen durch den Kopf. Eine
schnöde Geldsammelaktion soll nun angeblich hel-
fen, das Klima zu retten, Straßen zu bauen und
Schulen zu renovieren. Statt einen schwungvollen
Zukunftsplan für Deutschland in wirtschaftlich
schwächeren Zeiten zu präsentieren, plant man ei-
nen Raubzug bei den Reichen.
Damit er nicht völlig plump daherkommt, beschö-
nigt Bundesfinanzminister Olaf Scholz den Übergriff
als Modell nach Schweizer Vorbild. Schweiz: Das soll
beruhigend klingen. Das dortige Steuersystem wür-
den die deutschen Leistungsträger und Unterneh-
mer sofort übernehmen. Die Einkommen- und Ge-
winnsteuern sind im internationalen Vergleich nied-
rig. An der sogenannten Goldküste um den Kanton
Zug sitzt viel hart verdientes Geld. Es gibt aber nicht
unerhebliche, von den Sozialdemokraten verschwie-
gene Unterschiede. Die SPD will gleichzeitig den
Spitzensteuersatz erhöhen und möchte den Soli als
implizite Reichensteuer beibehalten. Ihr geht es also
nicht um die Schweiz als Vorbild. Um als vermeintli-
che Partei der Gerechtigkeit zu punkten, soll aus
dem Hochsteuerland Deutschland ein Höchststeuer-
land werden.
Thorsten Schäfer-Gümbel ist der geistige Vater des
„Vermögensteuer-Virus“. Der kommissarische SPD-
Vorsitzende will umverteilen, anstatt allen Bürgern
Möglichkeiten zur Vermögensbildung einzuräumen.
Aus dem Munde führender SPD-Funktionäre hat
man noch kein Wort zur verheerenden Niedrigzins-
politik der Europäischen Zentralbank (EZB) gehört.
Die herkömmlichen Instrumente wie Lebensversi-
cherungen, Sparbücher und Bausparverträge sind
zinstechnisch quasi entwertet. Und als Trommler für
eine breite Aktienkultur sind die Genossen auch
noch nicht aufgefallen.
Die SPD will jedes Jahr mit ihrer Vermögensteuer
zehn Milliarden Euro einnehmen. Wenn sie tatsäch-
lich diese Beträge generieren möchte, wird es nicht
bei der Besteuerung von Gemäldesammlungen und
Aktienpaketen der Unternehmer bleiben. Es geht
dann an die Substanz und damit an das Betriebsver-
mögen. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert wollte
erreichen, dass das Kollektiv über die Produktions-
mittel bestimmt. So weit geht der offizielle SPD-Vor-
schlag zur Vermögensteuer nicht. Aber was passiert
eigentlich, wenn Betriebsvermögen angesichts der
neuen steuerlichen Belastung verkauft werden muss
und sich kein privater Käufer findet? Wird dann wie
bei der Post oder der Commerzbank der Staat ein-
steigen? Das ganze Konzept wirkt gerade in Zeiten
des Abschwungs nicht durchdacht. Im Gegenteil, es
ist toxisch für die schwächelnde Konjunktur. Die
Überdehnung des Steuerstaats entspricht jedoch
dem Zeitgeist, die Pläne für einen Mietendeckel in
Berlin passen dazu.
Die deutsche Unternehmenskultur, die auf Lang-
fristigkeit und Generationen angelegt ist, wird aller-
dings nicht nur durch die SPD, sondern auch inter-
national unter Beschuss genommen. Der Internatio-
nale Währungsfonds (IWF) hatte kürzlich gegen die
großen deutschen Familienunternehmen gewettert
und sie als Ursache des Übels der ungleichen Vermö-
gensverteilung ausgemacht. Für den IWF sind nicht
Blackrock oder Goldman Sachs die verteilungspoliti-
schen Übeltäter, sondern die Hidden Champions,
die in Deutschland seit Generationen Wachstum und
Arbeitsplätze schaffen. Diese besondere Stärke
Deutschlands ist den Angelsachsen schon immer
fremd, wird aber klammheimlich von ihnen bewun-
dert. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier be-
zeichnet den Mittelstand zu Recht als Geheimwaffe
Deutschlands.
Dass die internationale Konkurrenz unseren bes-
ten Läufern eine Bleiweste anziehen will, um selbst
besser abzuschneiden, kann man noch verstehen.
Dass die Sozialdemokraten auf solche Ideen kom-
men, ist nur noch mit dem Existenzkampf einer
Volkspartei zu erklären. Das Bundesverfassungs -
gericht hat hohe Hürden für den Eingriff in das Ei-
gentum aufgestellt. Die Politik musste deshalb die
Vermögensteuer aussetzen. Die Mittelstandspolitiker
der CDU haben nachgerechnet und kamen in den
letzten Jahren auf 17 Vorstöße der SPD zur Wieder-
einführung der Steuer.
Unter den Sozialdemokraten war die Einführung
immer hochumstritten. Gerhard Schröder war
stets dagegen, Sigmar Gabriel zuerst dafür und
dann dagegen. Diese Beinfreiheit hat Olaf Scholz
als Bundesfinanzminister nicht mehr. Eigentlich
müsste er wie der frühere Finanzminister Karl
Schiller seiner Partei zurufen: „Genossen, lasst die
Tassen im Schrank.“ Aber als Kandidat für den Pos-
ten des SPD-Vorsitzenden geht das überhaupt nicht
mehr.
Leitartikel
Raubzug
bei den Reichen
Die SPD
entdeckt mit der
Vermögensteuer
plötzlich die
Schweiz als
sozialdemokra -
tisches Paradies,
meint Thomas
Sigmund.
Das ganze
Konzept wirkt
gerade in Zeiten
des Abschwungs
nicht
durchdacht.
Im Gegenteil,
es ist toxisch
für die
schwächelnde
Konjunktur.
Der Autor ist Ressortchef Politik.
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Meinung
& Analyse
DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164
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