Süddeutsche Zeitung - 29.08.2019



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enseitsdesZaunsderTrubeleines

nochjungenStrandtagesimOstsee-

badRerik:KinderspielenimSand,

Pärchensonnensich,ältereHerr-

schaftenspazierenanderWasserkanteent-

lang.BisihrWegunweigerlichamstachel-

drahtbewehrtenMetallgitterendet.Es

teiltdenStrandundragtbisweitinsWas-

ser.Neugierigeblickenhindurch,machen

Fotos–undkehrenum,eingeschüchtert

vomSchild„Betretenverboten,Lebensge-

fahr“.DahinterliegteinNaturparadies,

dasanderdeutschenOstseeküsteeinma-

ligist:Wustrow.Dasrund1000Hektargro-

ße,unzugänglicheGebietzwischenoffe-

nerSeeundSalzhaffistauchbekanntals

die„verboteneHalbinsel“.

HartmutPolzinstehtaufderanderen

SeitedesZauns.Erdarfdas,eristGe-

schäftsführerderEntwicklungs-Compa-

gnieWustrow(ECW),einesUnternehmens,

dasdieseit1994verlasseneHalbinselaus

ihremDornröschenschlafweckenwill.„Sie

könnenhierstundenlanglaufen“,sagtPol-

zin.ZehnKilometerlangistdieinMecklen-

burg-VorpommerngelegeneHalbinsel,

700HektarsindNaturschutzgebiet.Polzin

deutetzumSteilufernachWesten,dasbis

zu28Meteraufragt.Dortgebeesimmer

wiederauchsehrsteinigeAbschnitte.„Das

istganzspannendundwunderschön“,sagt

er.AberderAllgemeinheitistesebennicht

erlaubt,alldaszuerkunden,wegendes

strengenNaturschutzesundderimBoden

verborgenenMunition.

Wustrow,dasüberJahrhunderteeiner-

tragreichesLandgutwar,wurdeunterden

NationalsozialistenzurgrößtenFlakschu-

ledesDeutschenReichesundnachdem

ZweitenWeltkriegzurGarnisonsstadtder

sowjetischenArmee.MitdemEinigungs-

vertraggingWustrowinBundesvermögen

überundwurdevonderTreuhand1998an

dieFundus-GruppeumdenImmobilienin-

vestorAnnoAugustJagdfeldverkauft.Da-

nachpassiertenichtsmehr.Seitgutzwei

JahrzehntenistWustrownunschonein

BeispielfürgroßePlänenachderWende,

dieamhartenBodenlokalpolitischerBe-

findlichkeitenzerschellen.

EinKulissenbauer,derVerfallinSzene

setzenmöchte,hättehierseinenMeister

gefunden.DirekthinterdemStrandste-

henDutzendeHäuser–früherdieUnter-

künftevonOffizierenundihrenFamilien

mitungehindertemTraumblickaufs

Meer.Ungehindertauchdeshalb,weilna-

hezualleFensterzersplittertsindoder

ganzfehlen.ImInnerenstehenKachel-

öfenvorFragmentenvonverziertenTape-

ten.DieBalkontürenhängen,sofernnoch

vorhanden,schiefindenverrostetenAn-

geln,derPutzistgroßflächigabgefallen.

DieDächerhabenunterschiedlichgroße

Löcher.

„DerbaulicheZustandhatsichderma-

ßenverschlechtert,dassdawohlnicht

mehrvielSubstanzzurettenseinwird“,

sagtPolzinmitBlickaufdieinsgesamt

90Gebäudeinder100Hektargroßensoge-

nanntenGartenstadt.„DieseHäusersoll-

tenalleerhaltenbleiben“,erklärtPolzin

dieeinstigenPlänederEntwicklungs-

Compagnie.Natürlichhabemansieum-

bauenwollen,„einbisschenattraktiver

machen“,wieeresnennt,durchAnbauten

undUmbauten.ZudemwarenimÜber-

gangzumsichwestlichanschließenden

200HektargroßenLandschaftsschutzge-

biet150ReihenhäuserundVillengeplant.

EineMarinaanderOstsee,einGolfplatz

undeinReiterhofamSalzhaffsowieein

HotelergänztendiePlanungen.759Wohn-

einheitenund220Hotelbettensollten

entstehen,Investitionenvon300Millio-

nenD-Markwarendamalsvorgesehen.

DieStadtRerikfürchtetejedoch,dassder

VerkehrüberdieeinzigmöglicheZufahrt

amschmalenWustrowerHalsdenOrt

überlastenwürde.NachmehrerenJahren

Planungszeitwar2003daherimmernoch

keinBaurechtgeschaffen,dafüreinüberra-

schenderBeschlussgefasst:DieStadtun-

tersagtedenIndividualverkehrüberdieZu-

fahrtnachWustrow.„Dashatdanndazu

geführt,dassmanzunächstmalalleTüren

zugemachthat“,sagtPolzin.

UndzwarimganzpraktischenSinne:

BisdahindurchgeführteBesuchertouren

überWustrowwurdenvonderECWgestri-

chen,dasToramEndedesWustrowerHal-

sesbliebfestgeschlossen.Biszumvergan-

genenJahr.DieECWwollteihrenAngaben

zufolgemitderWiedereröffnungeinZei-

chensetzen,dassmanbereitist,neuzuver-

handeln.ObwohldieStadtdieZufahrt

nochimmeruntersagt.

„DieneuenFührungensindimmer

schnellausgebucht“,sagtKlausFeiler,ein

Historiker,deraneinemDonnerstagim

Augustdie20TeilnehmeramTorinEmp-

fangnimmt,daseinWachmanngeöffnet

hat.ZuerstlässtFeilerjedeneinenHaf-

tungsausschlussunterzeichnen.Derriesi-

ge„LostPlace“inPremiumlageziehtdie

Menschenan,nach15JahrenistWustrow

ineinemkleinenTeilundunterstrenger

Aufsichtwiederzugänglich.EdelgardFei-

ler,diemitihremMannaucheinumfang-

reichesBuchüberdieGeschichtederHalb-

inselgeschriebenhat,weistdieGäste

freundlich,aberbestimmtein:„Siedürfen

nichtindieHäuserhineingehen,diesind

alleeinsturzgefährdet.“Zudemsollenicht

insGeländeabgedriftetwerden,dortliege

Stacheldraht,Gullydeckelfehltenundim

BodenlauereeinebesondereGefahr.Die

ersten300HektarbiszurGrenzedesNa-

turschutzgebietsseienzwarmunitionsge-

räumt,abernurzu95Prozentmunitions-

frei,ergänztihrMann.„Siemerken:Restri-

sikobleibt.“

ÜberdiefrühereHindenburgstraße

gehtesindieLudendorffstraße.DieHäu-

serwurdenab1934fürdieOffiziereder

Wehrmachtgebaut,diehierSoldatenan

Flugabwehrkanonenausbildeten.Leicht

versetztangeordnet,mitgroßenGärten

undBalkonen,folgtendieBautendemIde-

alderGartenstadtarchitektur.„Siefinden

hiernochdiealtenObstsorten“,sagtEdel-

gardFeiler.InsgesamtwohnteninRerik-

West,wiedieGartenstadtoffiziellhieß,bis

zu4000Menschen,währendinRerik

selbstdamalsnur800Menschenlebten.

„JedeWohnunghattewarmesundkaltes

Wasser,BadundWC,1938wardasder

reinsteLuxus“,sagtFeilerundzeigthistori-

scheFotosausihremBuch.

EinemittlereKleinstadtwarentstan-

den,mitdemseinerzeitmodernstenHal-

lenbadDeutschlands,einemKrankenhaus

undeinemEinkaufsladen.KlausFeilerdeu-

tetaufeinlänglichesGebäude,dasgrößer

alsdieanderenist:„Wirsagen‚KaDeWe‘da-

zu,KaufhausderWehrmacht.“Unweitda-

vondiefrühereReichspost:„DieRussenha-

bennochdiesenTraktangebaut:einenKi-

nosaalmitBühne“,sagtFeilerundzeigtauf

einBackstein-ViereckohneDach.ImZu-

schauerraumwachsennunBäume.

ÜberallaufWustrowwuchertüppiges

Grün,kaumzuglauben,dassdieHalbinsel

bisnachdemZweitenWeltkrieggarnicht

undauchnachdemAbzugderRussennur

spärlichbewaldetwar.„Wennmansich

dasheuteanguckt,dannistmanschoner-

staunt,wasinwenigenJahrzehntenhier

passiertist“,sagtPolzin.MancheHäuser

sindkompletteingewachsenundimDi-

ckichtkaumauszumachen.Vorallemdie

BrombeerheckenmachtenderECWzu

schaffen.„DasistwienatürlicherStachel-

draht.“Erbetont,dassseineFirmainAb-

stimmungmitdenNaturschutzbehörden

einehalboffeneNaturlandschafterhalten

oderwiederherstellenwill,diederLebens-

raumfürDutzendegeschützteArtenist.

AuchDamwild,Rehe,Marderhunde,Füch-

se,Waschbärenfühlensichhierwohl.

WofrüherdasEingangstorzurFlak-

schulewar,endetdieTourmitdenFeilers

–fürTouristenseiesdahinterzugefähr-

lich.PolzinhingegendarfalsEigentümer

überallhin,holpertmitseinemAutoüber

vonWildschweinenaufgewühlteWege

underreichtdieerstaunlichguterhaltene

Kopfsteinpflasterstraße.Vondenmilitäri-

schenGebäudenderNazisistnichtsmehr

zusehen,siewurdengemäßdesPotsda-

merAbkommensallesamtgesprengt.

VondenSowjetsstehtnochderTower,

derwiederFlugplatznurTarnungwar.

Denndarinuntergebrachtwardiemilitäri-

scheAufklärung,diedenWestsektorab-

hörte.„Damitdassoaussah,alswennda

nachtsetwaspassiertwäre,wurdenabge-

stellteFlugzeugattrappenauchhinund

herbewegt“,sagtPolzin.VonderKanzel

desTowerserschließtsichdieGrößeder

Halbinsel.AnnoAugustJagdfeld,Polzins

Chef,hatdieEntwicklungsplänedeutlich

abgespeckt,damitsieirgendwanndoch

nochrealisiertwerdenkönnen.KeineMari-

na,keinGolfplatz,keinReiterhof.„Fürdie

möglichestädtebaulicheNutzungsind

100Hektarvorgesehen,derBereichder

Gartenstadt“,sagtPolzin.Erverspricht

einen„kleinteiligenstädtebaulichenCha-

rakter“mitmaximalzweigeschossigen

Reihenhäusern,Einfamilienhäusernund

aucheinpaarMehrfamilienhäusermitje

vierWohnungen.Diesesindteilszumdau-

erhaftenWohnen,teilszurFerienvermie-

tunggedacht.

Dochesgibtimmernochkeinvonder

StadtverwaltungakzeptiertesVerkehrs-

konzept.DieStadthatsichaufAnfrage

auchnichtzuihrenPlänenfürWustrow

geäußert.DerWiderstandgegendie

nunmehr550geplantenWohneinheiten

bleibt:AndenAusfallstraßenstehenPlaka-

temitderAufschrift„KeinzweitesHeili-

gendamminWustrow“.EineBürgerinitia-

tivefürchteteinneuesLuxusresortwieim

östlichgelegenenOstseebad.Dochwäh-

renddortöffentlicheWegezuprivaten

wurdenunddasGebietumdasGrandHo-

telabgeschottetwurde,istaufWustrowja

geradedieÖffnungnachjahrzehntelanger

Sperrunggeplant.

ErstedauerhafteBewohnergibtesbe-

reits.EssindMitarbeiterderECW,diesich

seit2018umdiePflegederHalbinselküm-

mernunddafürsorgen,dasssienichtganz

zuwuchert.„Wirhabenhier190eigene

Schafe“,sagtPolzin.StattUrlauberntum-

melnsichhieralsograsendeWolllieferan-

ten.Siestammenausdemschottischen

Hochland.UmaufWustrowdurchzuhal-

ten,müssensienuneinmalbesonderszäh

sein.GenauwiedieInvestoren.

VonRerikaus–hierderBlickvomSchmiedebergaufdenWustrowerHals–siehtmanaufdiebewaldeteHalbinsel.

DortverfallennachwievordieHäuserausderNS-Zeit.FOTOS:MAURITIUSIMAGES,SPRENGER

WährenddesKaltenKrieges

hattendieSowjetshier

Flugzeugattrappenaufgestellt

Verbotener

Strand

Die zehn Kilometer lange Halbinsel Wustrow

an der Ostsee ist seit Jahrzehnten Sperrgebiet.

Nun kann man sie wieder besichtigen

Ostsee

Mecklenburg-

Vorpommern

DEUTSCHLAND

10 km

SZ-Karte:Mainka/Maps4News

Rostock

Güstrow

Kühlungsborn

Rerik

Wismar

Wustrow

EinInvestorwolltehier

HotelsundeinenReitstallbauen.

DieStadtverwaltunglehnteab

Führungen:KlausundEdelgardFeilerbietenihre

Wustrow-Tourenmehrmalswöchentlichan(zehnEu-

roproPerson).TelefonischeAnmeldungunter

038296/75766nötig.ZusätzlichgibtesauchPlanwa-

genfahrtenüberWustrowundBootstourenentlang

derKüste,www.rerik.de/veranstaltungen.html

Übernachtung:VorallemimöstlichvonRerikgelege-

nenKühlungsbornfindetsicheinegroßeAuswahlan

HotelsundFerienwohnungen.

Essen:„Seeteufel“inKühlungsborn,gehobeneKü-

che,mansitzturigimehemaligenFischerschuppen

oderimschönenGarten;„CaptainFlint“inRerik:

FischrestaurantamSalzhaff,auchleckereKleinigkei-

ten,dekoriertmitSeemanns-Devotionalien.

DEFGH Nr. 199, Donnerstag, 29. August 2019 REISE 35

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