Der Standard - 24.08.2019

(lily) #1

10 |SA./SO.,24./25.AUGUST2019DInternational ERSTANDARDWOCHENENDE


In Umfragenweit hinten, 17 Bewerbungen für denParteivorsitz–der Zustand der Bundes-SPD belastetdie
Wahlkämpfer an der Basis.Doch trotzdes Frustes:Aufgeben will man nicht, wie ein Besuch im Ortsverein zeigt.

Birgit Baumann aus Berlin

ansprechen.“ Weniger begeistert
sind manche in der Runde vom
Prozedere. Schon die Kandidaten-
findung dauerte sehr lange, jetzt
folgen im September und Oktober
noch 23 Regionalkonferenzen.
„Das dauert und dauert und dau-
ert –die Leute schütteln doch nur
noch den Kopf“, klagt einer. „Aber
wir sind total basisdemokratisch“,
widerspricht jemand mit Augen-
zwinkern.
Und außerdem: Wenn die SPD
dann endlich eine neue Führung

E


sschaut in der Gaststätte
Feierabend so aus, als könn-
te man hier einen gemüt-
lichenAbendverbringen.DerGar-
ten ist ruhig und sehr grün, auf
dem Griller brutzeln die Würste,
und zu trinken gibt es auch genug.
Doch im hinteren Zimmer haben
sich ein gutes Dutzend Menschen
zusammengefunden, in deren
politischem Leben es zurzeit nicht
besonders entspannt zugeht: der
SPD-Ortsverein Mitte/Branden-
burg an der Havel.
„Wenn ich auf unsere Bundes-
partei schaue, dann liegt der Grad
meiner Unzufriedenheit auf einer
Skala von eins bis zehn irgendwo
bei acht“, räumt Edward Ageev
freimütig ein. Aber es nutzt ja
nichts. Auch wenn in der Bun-
deszentrale in Berlin, also rund 80
Kilometer weiter östlich von Bran-
denburg, die Kandidatenkür für
den SPD-Vorsitz mit mittlerweile
17BewerberinnenundBewerbern
langsam, aber sicher zum skurri-
len Spektakel verkommt: In acht
Tagen wird in Brandenburg und
Sachsen gewählt, die Wahlkämp-
fer vor Ort können nicht einfach
aufhören.


Weißer Elefant am Tisch


Und daher hat Ortsgruppenchef
Ageev, ein Juso in Ausbildung
zum Industriemechatroniker, zum
allmonatlichen Treffen des Orts-
verbandes gebeten. Da geht es um
den Takt der Nachtbusse, gratis
Frühstück in Schulen und das
nächste Bürgerfest. Aber natür-
lichsitztdieBundes-SPDmitihrer
Performance immer wie der wei-
ße Elefant mit am Tisch. „An den
Infoständen werden wir sehr viel
angesprochen“, sagt Ageev, „dabei
hat das mit unserer Basisarbeit
wenig zu tun.“
Aber wer soll es denn nun ma-
chen? Und finden die Genossen
das Auswahlverfahren gut? Rent-
ner Klaus-Dieter Hartmann, der
früher in der Stadtverwaltung ge-


arbeitet hat, muss zunächst ein
bisschen überlegen, wen er in
SPD-Spitzenposition richtig gut
fand. „Willy Brandt und Helmut
Schmidt –das waren schon
Leuchttürme“, meint er. Aber was
danach kam ... Der Satz bleibt in
der Luft hängen.

Jetzt mit Doppelspitze?
Dass es die SPD jetzt erstmals
mit einer Doppelspitze versuchen
will, findet er in Ordnung: „Man
kann damit mehr Gruppierungen

hat, bedeutet das ja nicht gleich
automatisch bessere Umfragen.
Genosse Hartmann sieht folgen-
des Dilemma: „Die SPD hat durch-
ausguteArbeitinderKoalitionge-
macht. Auch in Brandenburg hat
das Wahlprogramm 70 Seiten.
Aber das sind lauter kleine Dinge,
uns fehlt ein richtig großes Pro-
jekt. Das schwächt uns im Wahl-
kampf.“
Die Grundrente für alle, steuer-
finanziert und ohne Bedürfnis-
prüfung, das wäre eine große

Sache. Doch da macht ja die CDU
nicht mit. Und es ist auch schwer
vorstellbar, dass ihr jener Ever-
green gefällt, den die kommissari-
schen Parteichefs nun auf den
Tisch legen. Sie wollen mit der
Wiedereinführung einer Vermö-
gensteuer jährlich bis zu zehn
Milliarden Euro einnehmen.
Dass die große Koalition noch
zwei Jahre–bis zum Ende der Le-
gislaturperiode–durchhält, kann
man sich hier in der Gaststätte
Feierabend nicht vorstellen. „Wir
müssen da raus“, sagt einer, „dann
sollen halt mal andere Verantwor-
tung übernehmen.“
Werner Jumpertz, aus Köln
nach Brandenburg „eingewan-
dert“, hat früher die Verkehrsbe-
triebe geleitet. Er kennt viele Leu-
te aus der Mittelschicht, und eines
„quält mich tief in meiner Seele“,
wie er sagt. Den Leuten gehe es
gut, sie hätten ein schönes Haus,
einen Job–„aber sie wählen trotz-
dem die AfD“. Die Wahlkämpfer
haben alle schon Frustrierendes
erlebt. Schöne, praktische Argu-
mentationskarten bekamen sie
von der Landespartei für den
Wahlkampf. Aber viele Menschen
würdengarnichtmehrzuhören,
wollen nur Frust ablassen.

Mit dem Parteibuch ins Grab
„Wir müssen wieder mehr die
Kümmererpartei werden“, sagt
der stellvertretende Ortsvorsit-
zende Karsten Hinz. Es kommt
die Rede auf einen Stadtteil von
Brandenburg, in dem die Funktio-
näre äußerst aktiv waren. Es gab
Bürgerfeste, Kehraktionen, immer
waren die Genossen unterwegs.
Der Lohn dafür: 46 Prozent bei der
Kommunalwahl. Für Branden-
burg sagen die Umfragen der SPD
22 Prozent voraus, in Sachsen nur
noch sieben. Denkt man da nicht
manchmal ans Aufgeben? „Nie-
mals“, antwortet Hinz „ich werde
mein Parteibuch noch mit ins
Grab nehmen.“

Eine schwere Bürde fürdie rote Basis


Neues fürs Familienalbum: Am
Freitag wurden Bilder von
Prinz WilliamundHerzogin Kate
(beide 37) publik, die zeigen,
wie sie aus einem Linienflugzeug
steigen. Wie britische Medien
berichtet hatten, reisten sie am
Donnerstag samt ihren drei Kin-
dern von Norwich ins schotti-
sche Aberdeen. Das Timing ist
perfekt:Prinz Harry(34) undHer-
zogin Meghan(38) stehen derzeit
wegen Flügen in Privatflugzeu-
gen in der Kritik. Elternsein kann
leider auch bedeuten, dass sich
die Beziehung zur nächstgelege-
nen Notaufnahme intensiviert:

Schauspielerin
Kristen Bell(39)
musste erst-
mals mit ihrer
Vierjährigen
akut ins Spi-
tal. „Eine
Knochenfissur
und ein in der Tür gequetschter
Finger, der aufging wie eine
Palatschinke“, waren lautBad
Moms-undBadMoms2-Darstel-
lerin der Grund für den Spitals-
besuch, wie sie auf Instagram
zum Foto von sich und ihrer
Tochter auf dem Krankenhaus-
bett schrieb. (red) Foto:AFP

LEUTE


London bekenntsich zu
Atomdeal mit demIran

London –Großbritannien unter-
stützt auch unter seinem neuen
Premierminister Boris Johnson
das 2015 geschlossene Atomab-
kommen mit dem Iran. „Wir sind
starke Unterstützer“ des interna-
tionalen Abkommens mit Tehe-
ran, sagte am Freitag ein britischer
Regierungsvertreter, der nicht na-
mentlich genannt werden wollte.
Die Äußerung erfolgte einen Tag
vor dem G7-Gipfel, bei dem es
auch um das Atomabkommen mit
dem Iran gehen soll. (AFP)


KURZGEMELDET


Nordkoreas Außenminister
nenntPompeo„Gift“
Pjöngjang/Washington –Nord-
koreas Außenminister Ri-yong
Ho hat seinen AmtskollegenMike
Pompeo als „hartnäckiges Gift der
US-Diplomatie“ beschimpft. Hin-
tergrund sindInterviewäußerun-
gen Pompeos, wonach die USA an
den Sanktionen gegen Nordkorea
festhalten, solange dessenkom-
munistische Führung ihr Atom-
waffenprogramm nicht aufgibt. Es
seiein„WunschtraumderUSA,zu
glauben, alles durch Sanktionen
zu gewinnen“, so Ri-yong. (dpa)

Forschertotinpolnischer
Höhlegefunden
Zakopane–Einer der seit Samstag
in einer Höhle in der polnischen
Tatra vermissten Forscher ist in
der Nacht auf Freitag tot geborgen
worden. Das berichtete der Berg-
rettungsdienst TOPR in Zakopane
nach Angaben der Agentur PAP.
Ein Wassereinbruch im Wielka
Śnieżna, dem längsten und tiefs-
ten Höhlensystem des Landes,
hatte die beiden überrascht und
ihnen den Rückweg abgeschnit-
ten. Die Suche nach dem zweiten
Vermissten läuft weiter. (dpa)

Die deutschen Sozialdemokraten sind nur noch ein Schatten ihrer selbst–dochaufgeben will niemand.

Foto:AP

/O

ddAndersen

Tokio/Seoul–Nach der südkoreanischen
Aufkündigung der militärischen Zusam-
menarbeit mit Japan hat der japanische Pre-
mier Shinzo Abe das Nachbarland aufge-
fordert, seine Verpflichtungen einzuhal-
ten. Verteidigungsminister Takeshi Iwaya
zeigte sich am Freitag vom Schritt Seouls
ebenso enttäuscht wie das Pentagon in Wa-
shington. Auf der Basis des vor drei Jahren
beschlossenen Militärpakts tauschten die
Nachbarn vor allem Informationen über
das Atomprogramm Nordkoreas aus.
Iwaya erklärte, Seoul solle „eine weise
Entscheidung treffen“. Nordkoreas Rake-
tentests seien eine Bedrohung für die Si-
cherheit; der Informationsaustausch zwi-
schen Japan, Südkorea und den USA sei


daher sehr wichtig. Die Regierung in Seoul
ließverlautbaren, dasAbkommen diene
„nichtunseren nationalen Sicherheitsinte-
ressen“. Der AusstiegSeouls ist dasjüngste
Kapitel in einem seit Anfang Julischwelen-
den Handelskonflikt. SüdkoreanischeGe-
richte hatten geurteilt, Japanmüsse Zwangs-
arbeiter aus der Zeit der brutalen Kolonia-
lisierung der Koreanischen Halbinsel zwi-
schen 1910 und1945 entschädigen.
Für Tokio ist dies jedoch längst gesche-
hen; als Reaktion verschärfte Japan die Ex-
portbestimmungen für Güter, die in der
Produktion von Halbleiterchips und Han-
dys benötigt werden. Die beiden Länder
strichen einander zuletzt gegenseitig von
der Liste bevorzugter Handelspartner. (dpa)

NachbarkonfliktamJapanischenMeer


Handelsstreit zwischenSüdkorea undJapanweiterverschärft


Rom–Nach zwei Wochen des Ausharrens
der Ocean Viking zwischen Italien und
Malta, hat Malta dem Rettungsschiff er-
laubt anzulegen. Freitagnachmittag war
noch unklar, wann es andockt. Laut den
Betreibern, Méditerranée und Ärzte ohne
Grenzen, sind 356 Gerettete, darunter 103
Minderjährige, an Bord. Regierungschef
Joseph Muscat betonte aber: „Keiner wird
in Malta bleiben.“ EU-Flüchtlingskommis-
sar Dimitris Avramopoulos lobte dennoch
Maltas Engagement für eine Lösung „im
Geist der Solidarität und Verantwortung“.
Die Geretteten werden auf Frankreich,
Deutschland, Irland, Luxemburg, Portugal
und Rumänien aufgeteilt. Allein Frank-
reich kündigte an, 150 der Migranten auf-

zunehmen. Innenminister Christophe Cas-
taner twitterte: „Zusammen haben wir eine
europäische Lösung gefunden.“
SOS Méditerranée und Ärzte ohne Gren-
zen warnten tags zuvor, dass das Essen an
Bord nur noch für fünf Tage reiche. „Wir
freuen uns ungemein für die 365 Men-
schen“, sagt Jana Ciernioch von SOS Mé-
diterranée, sie fordert aber auch ein „ver-
lässliches Ausschiffungssystem“ für künf-
tige Fälle. Florian Westphal von Ärzte ohne
Grenzen betonte, der momentane Zustand,
für jedes Rettungsschiff eine Einzellösung
finden zu müssen, sei „nicht hinnehmbar“.
Italiens Innenminister Matteo Salvini be-
grüßte, dass die Migranten nicht in seinem
Land gelandet seien. (red)

OceanViking darf inMaltaanlegen


Lösungfür356 Gerettetegefunden, siewerden auf sechsLänderverteilt

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