Der Standard - 24.08.2019

(lily) #1

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SA./SO.,24./25.AUGUST2 019 17


Weniger für


mehr


O


liver Noelting
liegtimPlan,und
das ist wichtig.
Denn der Plan,
den der 30-Jähri-
ge vor drei Jahren
aufgestellt hat,
dreht sich zwar um Zahlen, um
Ausgaben, Einnahmen und Spar-
quoten–aber im Grunde geht es
um mehr. Es geht um die Art, wie
Noelting leben will.
Noelting ist der bekannteste
deutsche Vertreter eines Lebens-
stils, der Frugalismus genannt
wird. Der Begriff kommt aus dem
Englischen, „frugal“ bedeutet so
viel wie „einfach“ oder „genüg-
sam“. Der Lebensstil der Frugalis-
ten wird oft mit den Worten „Viel
sparen, damit man möglichst früh
in Pension gehen kann“ zusam-
mengefasst. Im Selbstverständnis
der Frugalisten dreht es sich aber
mehr um Begriffe wie Unabhän-
gigkeit, Glück oder Abkehr vom
Materialismus. Auffrugalisten.de,
dem größten Treffpunkt der Sze-
ne im deutschsprachigen Raum,
geht es inhaltlich um Sparsam-
keit. Das Motto ist aber „Reicher
leben“.
Noelting, der die Website be-
treibt, ist ein freundlicher Nord-
deutscher,dersichamTelefonmit
einem energischen „Moin!“ mel-
det. Spricht man mit ihm, wird


die seltsame Doppelgleisigkeit der
Bewegung deutlich: Man redet
viel über Geld, damit es im Leben
weniger um Geld gehen kann. Von
außen betrachtet assoziiert man
Frugalisten mit Einschränkung,
sie selbst betonen eher die Mög-
lichkeiten.
„Finanzielle Freiheit ist für
mich ein Mittel, ein möglichst
gutes Leben zu führen“, sagt Noel-
ting. In der westlichen Welt wür-
de Glück sehr oft mit Geldaus-
geben gleichgesetzt, Frugalismus
würde das entkoppeln: Ein glück-
liches Leben sei auch mit einfa-
chen Mitteln möglich. Es gehe um
eine Umstellung im Kopf. „Mate-
rieller Konsum macht mich nicht
glücklich“, sagt Noelting. „Glück-
lich machen mich andere Dinge:
Zeit mit Freunden und der Fami-
lie, Sport, meine Komfortzone zu
erweitern.“

Masterplan zum Ausstieg
Der Frugalismus-Trend ent-
stand vor knapp einem Jahrzehnt
in den USA, mitten in der Finanz-
krise. Aussteiger, die nach einem
einfachen, genügsamen Leben su-
chen, hat es immer gegeben. Neu
ist, dass es eine Szene gibt, die
sich im Internet mit Tipps ver-
netzt–und dass Sparen und die
GeldanlageindenPlänenderAus-
steiger eine zentrale Rolle spielen.

Oliver undJoana wollen mit 40 aussteigen. Dafür lebender Softwareentwickler
unddieGrafikdesignerinnacheinemausgetüfteltenSparplan.

Es gibt ein paar Begriffe, die in
der Szene sehr wichtig sind:
„financial independence“ zum
Beispiel, finanzielle Unabhängig-
keit, oder FIRE („financial inde-
pendence, retire early“). Eine gan-
ze Reihe von englischsprachigen
Blogs beschäftigt sich mit dem
Thema: „Mr. Money Mustache“
des Kanadiers Peter Adeney oder
„Frugalwoods“, das von einem
Ehepaar in Vermont betrieben
wird und mehr die praktische,
direkte und persönliche Seite des
Ganzenzeigt–etwawiemankeine
Lebensmittel mehr verschwendet
oder auch ohne viel Spielzeug
die Kinder bei Laune hält.

Der persönliche Lebensstil der
Mitglieder kann durchaus variie-
ren, von reiner Ausgabenkürzung
bis zu einem hohen Level an DIY-
Projekten wie der Herstellung der
eigenen Seife. Die Reichweite der
Themen in den Sparforen wirkt
auf Außenstehende bisweilen ab-
surd („Reifenwechsel selber ma-
chen“; „Gesichts- und Körper-
rasur, laufende Kosten“), aber die
Frugalisten bewerten dort gegen-
seitig auch ihre Portfolios und
sprechen über die Renditechan-
cen von Edelmetallen. Deutsch-
land ist neben den USA ein Zen-
trum der Bewegung. Im von
5500 Usern abonnierten Face-

book-Forum von Oliver Noelting
tummeln sich aber auch Österrei-
cher, genaue Zahlen gibt es nicht.
Frugalisten brauchen einen
Masterplan. Der von Oliver Noel-
ting lässt sich auf seiner Website
mit konkreten Zahlen transparent
nachvollziehen. Mit 40 Jahren
will er in Pension gehen. Dafür
gibt er aktuell nur etwa ein Drittel
seines Nettogehalts aus, etwa 800
Euro pro Monat. Den Rest inves-
tiert er. An seinem 40. Geburtstag
möchte er bei einem Vermögen
von etwas über 400.000 Euro ste-
hen.LautNoeltingsPlanmüssteer
dann nie wieder arbeiten, weil die
Zinsen seinen einfachen Lebens-
stil für den Rest seiner Zeit ab-
decken würden. In den Feinheiten
ist es ein bisschen komplizierter
(FrugalistenrechnenzumBeispiel
damit,mitjedemJahreinbisschen
mehr ausgeben zu müssen), aber
das Grundprinzip ist relativ sim-
pel. Laut seinem Plan sollte Noel-
ting mit 30 Jahren ein Vermögen
von 101.733 Euro haben, mit
101.300 Euro liegt er im Soll.
Noelting ist kein unsozialer
Weirdo, dem man auf 100 Meter
Entfernung ansieht, dass er die
Annehmlichkeiten des modernen
Lebens ablehnt. Er arbeitet aktuell
24 Stunden die Woche als Soft-
wareentwickler, hat Dinge wie
iFortsetzung auf Seite

Funktioniert dasSparmodell auch mit Familie? Ja, sagt Noelting.
Er will seiner Tochter beibringen, wie viel Glück im Einfachen liegt.

Foto: Oliver Noelting

Foto: Oliver Noelting; Zeichnungen:Armin Karner

mit reise


Frugalisten wie OliverNoelting sparen Geld, um möglichstfrüh nicht mehr arbeiten zu müssen.
Daswollen sie aber nicht als Einschränkungverstanden wissen, sondern alsWegzum guten Leben.

JonasVogt
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