Dieter Fockenbrock, Christoph Kapalschinski,
Matthias Rutkowski Düsseldorf, Hamburg
B
undesverkehrsminister Andreas
Scheuer war im Juni geradezu eupho-
risch. Der elektrisch angetriebene
Tretroller sei eine „echte zusätzliche
Alternative zum Auto“, sagte Scheuer
und drehte zur Gaudi der Pressefotografen und TV-
Kameraleute etwas ungelenk eine Proberunde.
Pendler, so der CSU-Minister, könnten nun die letz-
te Meile von der Bushaltestelle zum Büro oder zum
nächsten Termin umweltfreundlich zurücklegen.
Noch aufgedrehter ist die Eigenwerbung der
E-Scooter-Anbieter: Das US-Unternehmen Lime
sieht sich schon als „Teil des städtischen Lebens in
Europa. Von Paris über Wien bis nach Berlin revo-
lutionieren wir die Fortbewegung im städtischen
Verkehr“, fabulieren die Rollerverleiher.
Konkurrent Tier Mobility will den Städten im-
merhin helfen, „die überfällige Verkehrswende
endlich einzuleiten, um Staus und Luftverschmut-
zung aus den Innenstädten zu verbannen.“ Und
dem schwedischen Anbieter Voi zufolge sparen die
Scooter Platz, reduzieren Staus und am wichtigs-
ten: Sie verringern CO 2 -Emissionen.
Tatsächlich aber zeigt sich gut zwei Monate nach
dem Start der E-Tretroller in Deutschland, dass das
neue Verkehrsmittel eher ein Spiel- und Freizeit-
spaß für Erwachsene ist als ein entscheidender Bei-
trag zum Umbau innerstädtischer Mobilität. Und:
Der Hype könnte schon am Jahresende wieder vor-
bei sein. „Eine Konsolidierung wird schneller erfol-
gen, als viele denken. Die Investments sind sehr
hoch, und Ende des Jahres wird die Kasse bei vie-
len schon erschöpft sein“, sagt Bird-Deutschland-
manager Christian Gessner dem Handelsblatt. Das
US-Unternehmen ist erst am Montag in Deutsch-
land eingestiegen – und will das Geschäft bewusst
langsam aufbauen.
Die auf Mobilitätsthemen spezialisierte Hambur-
ger Beratungsfirma Civity hat von den vier schon
von Beginn an in Deutschland aktiven Anbietern
Lime, Circ, Tier und Voi die Bewegungs- und Nut-
zungsdaten ihrer E-Scooter-Flotte in der ersten Ju-
liwoche ausgewertet. Ergebnis: Elektrotretroller
sind vorerst ein Freizeitgefährt und keine Alterna-
tive zum Auto oder Nahverkehr. Legen Pendler
durchschnittlich 3,4 bis 5,4 Kilometer mit einem
Leihfahrrad, der Straßenbahn oder dem Bus zu-
rück, so fahren sie mit einem E-Tretroller nur 1,
Kilometer. Das entspricht zwar in etwa der von
Scheuer propagierten letzten Meile, doch die Stu-
die urteilt: „Gut sichtbar ist der Schwerpunkt der
Nutzung am Wochenende und in den späteren Ta-
gesstunden.“ E-Tretroller sind also bisher mehr
Vergnügen als eine wirkliche Mobilitätsergänzung.
Noch profitieren zudem alle vom Sommerwetter
und den Touristenströmen in den großen Städten.
Immerhin stimmt die Eigenwerbung der Anbie-
ter: Elektro-Tretroller sind jetzt Teil des städtischen
Lebens. Die Anbieter fluten gerade die Innenstäd-
te. Das deutsche Start-up Circ hat nach eigenen An-
gaben derzeit über 1 000 Fahrzeuge in Berlin,
mehr als 700 in Hamburg, Köln und München so-
wie über 100 in Dortmund und Herne im Einsatz.
Tier hat nach eigenem Bekunden 14 000 Roller
platziert. Die Zahl wächst täglich. Auch die der
Städte, in denen Tretroller nun angeblich den täg-
lichen Autostau auflösen werden.
Nach den Großstädten Berlin, Köln, Hamburg,
Frankfurt und München sind jetzt auch die kleine-
ren Metropolen dran. Hannover, Bochum, Dort-
mund, Essen oder Stuttgart stehen auf dem Pro-
gramm. Wie viele Roller jetzt, acht Wochen nach
dem Start, tatsächlich unterwegs sind, weiß nie-
mand. Viele der Anbieter halten sich auch bedeckt.
Aber je mehr Roller unterwegs sind, umso teurer
werde das Geschäft für die Anbieter, warnt Friede-
mann Brockmeyer von Civity. „Das Einsammeln,
Ende eines
Sommermärchens
Der E-Scooter-Hype in Deutschland könnte bald schon
wieder vorbei sein. Experten sagen fürs Jahresende
das Aus der ersten Anbieter voraus.
E-Scooter in Berlin:
Elektro-Tretroller sind
Teil des städtischen
Lebens.
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MITTWOCH, 28. AUGUST 2019, NR. 165
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