Laden und Verteilen verursacht hohe Kosten. Ob
Tausch-Akkus diese Kosten massiv senken werden,
bezweifeln wir, weil der logistische Aufwand nicht
weniger wird.“ Das saisonale und wetterabhängige
Geschäft floriere derzeit dank vieler Touristen. Im
Herbst und Winter werde sich zeigen, wie gut die
Anbieter vorbereitet sind, meint Brockmeyer.
Das kalifornische Start-up Bird, das sich gern als
Pionier der E-Scooter-Welle sieht und nach eigenen
Angaben weltweit in 100 Städten präsent ist, geht
den deutschen Markt mit Vorsicht an. „Wir werden
mit reduzierter Flottengröße starten“, beschreibt
Gessner den Plan. Während die anderen Anbieter
schon seit Wochen die Städte mit ihren Scootern
möblieren, startet Bird erst jetzt. Natürlich in den
Großstädten Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt und
München. Bird macht keine Angaben zur
Flottengröße. „Es geht nicht darum,
möglichst viele E-Scooter auf die
Straße zu bringen, sondern An-
gebot und Nachfrage ständig
abzugleichen“, sagt Gessner.
Die gesamte Branche
kämpft mit dem Vorwurf,
die E-Scooter würden kei-
nen Monat durchhalten
und müssten dann schon
wieder auf den Schrott. Des-
halb betont der Roller-Verlei-
her nachdrücklich, hierzulan-
de mit einem völlig neuen Mo-
dell an den Start zu gehen. Dieser
„Bird One Germany“ halte zwölf bis
18 Monate durch, der Akku schaffe 50 Ki-
lometer Strecke.
Zwar bezeichnen sich fast alle Anbieter als
Marktführer, und doch haben alle dasselbe Pro-
blem, wie eine Studie der Boston Consulting Group
(BCG) zeigt: „Anbieter können die Tatsache nicht
überwinden, dass ihre Angebote schwer voneinan-
der zu unterscheiden sind.“
Parkzonen für Roller in Berlin geplant
Fast alle nutzen dasselbe Preismodell. Beim Ent-
sperren fällt pauschal ein Euro an, danach wird per
Minutenpreis abgerechnet. Lediglich bei Voi be-
stimmen Ort, Uhrzeit und Nachfrage den Minuten-
preis flexibel. Experten rechnen damit, dass Anbie-
ter bald auf einen Mix aus dynamischen und pau-
schalen Tarifen setzen werden. „Denkbar sind
Tagespauschalen, Wochenendtarife für Touristen
oder rabattierte Abos für lokale Anwohner, wie es
Anbieter von Leihfahrrädern bereits machen“,
prognostiziert Brockmeyer.
Der Ansturm löst keineswegs nur Freude aus. Im
Gegenteil. Klagen über rasende Rollerfahrer auf
Gehwegen, herumliegende Scooter und unbrauch-
bare Fahrzeuge mangels Akkuladung begleiten die
Markteinführung.
Doch ganz so schlimm wie befürchtet ist es
nicht. Jedenfalls nicht in Deutschland. So sieht bei-
spielsweise die Hamburger Verkehrsbehörde der-
zeit keinen weitergehenden Regulierungsbedarf.
„Die Beschwerdelage ist gering. Die Anbieter halten
sich an die Vereinbarungen“, sagte eine Sprecherin
auf Anfrage. Schon vor dem Start hatte die Behör-
de mit den Betreibern eine Limitierung der Flotte
auf 1 000 Roller je Anbieter vereinbart und Sperr-
zonen etwa um die Alster festgelegt.
In Berlin hat die Senatsverwaltung mit den Be-
treibern nachgesteuert. Ziel der neuen Vereinba-
rung ist zum Beispiel, dass künftig keine Roller
mehr auf dem Gehweg abgestellt werden. Dafür
sollen bis 2020 eigene Parkzonen am Straßenrand
für Roller ausgewiesen werden. Vorbild dabei ist
Tel Aviv, wo es solche Parkplätze schon länger gibt.
Zudem werden in der Bundeshauptstadt zusätz-
liche rollerfreie Zonen per Geofencing um Sehens-
würdigkeiten wie das Brandenburger Tor und das
Holocaust-Mahnmal eingerichtet. In solchen Zonen
bremsen die Roller automatisch ab. Das Geofen-
cing ist ohnehin zwischen kommunalen Spitzen-
verbänden und Anbietern verabredet. Ziel sei es,
die Sicherheit gerade für sensible Fußgängerberei-
che zu stärken, heißt es in einer gemeinsamen Er-
klärung. Die Software kann die Geschwindigkeit
von E-Scootern automatisch drosseln, sobald die
Nutzer damit zum Beispiel in Fußgängerzonen fah-
ren.
Circ, Lime, Tier und Co. versichern ohnehin
auch ungefragt, dass sie eng mit den Kommunen
kooperieren. „Mit den Städten arbeiten wir sehr
positiv und konstruktiv zusammen und gehen mit
individuell vereinbarten Selbstverpflichtungen auf
die Wünsche und Bedürfnisse der Städte ein“, ver-
sichert ein Tier-Sprecher. „Wir stehen in ständigem
Kontakt mit den örtlichen Ansprechpart-
nern, um sicherzustellen, dass die
E-Tretroller keine Belästigung auf
den Straßen darstellen“, heißt
es bei Circ. Alle wissen, dass
die Roller-Welle auch massive
Kritik auslöst.
Laut der BCG-Studie
muss ein E-Scooter täglich
fünfmal von Kunden ge-
nutzt werden, damit er sich
nach vier Monaten für den
Anbieter rechnet. Dabei be-
trägt die durchschnittliche Le-
bensdauer eines kommerziell
genutzten E-Tretrollers laut Studie
bislang knapp drei Monate. Nach Un-
tersuchungen werden die E-Roller hierzu-
lande zwar täglich vier- bis achtmal ausgeliehen.
Ob sie aber von zahlenden Kunden gefahren oder
nur von Mitarbeitern umgestellt wurden, das lässt
sich anhand der zur Verfügung stehenden Daten
nicht sagen.
Unklar ist auch, ab wann mit dem Verleih von
Scootern Geld verdient werden kann. Trotzdem
wird der Markt nach BCG-Prognosen bis 2025 auf
ein weltweites Volumen von 40 bis 50 Milliarden
Dollar wachsen. Um für Investoren attraktiv zu
bleiben, müssten E-Scooter-Anbieter ein profitab-
leres Geschäftsmodell mit langlebigeren Rollern
entwickeln, so die BCG-Studie. Zudem müsse sich
das Angebot der Wettbewerber deutlicher unter-
scheiden, damit Nutzer nicht mehr jeden beliebi-
gen Scooter nehmen, die Farben Grün (Lime) und
Pink (Voi) reichen da nicht aus.
Nico Rosberg
„Tier hat einen
Heimvorteil“
Herr Rosberg, was hat Sie dazu bewogen,
in das E-Scooter-Start-up Tier zu inves-
tieren?
Ich interessiere mich sehr für grüne Tech-
nologien und sehe große Chancen, die
Welt damit nachhaltig zu verändern. Da-
rum habe ich unter anderem das Green-
tech Festival gegründet, das dieses Jahr
zum ersten Mal in Berlin stattgefunden
hat. Mein Ziel: Menschen aus aller Welt zu-
sammenbringen, um sie mit zukunftswei-
senden Technologien für einen nachhalti-
gen Lebensstil zu begeistern. In diesem
Zuge bin ich dann auf Tier gestoßen. Ich
habe die Gründer kontaktiert, da Tier das
am schnellsten wachsende E-Scooter-
Start-up in Deutschland ist.
Bislang verdient kein E-Scooter-Start-up
Geld, auch Tier nicht. Macht Sie das nicht
nervös?
Nein. Auch Firmen wie Lyft und Uber in-
vestieren ihre Einnahmen, um immer grö-
ßer zu werden. Und in dieser Phase befin-
den sich die E-Scooter-Verleiher.
Wann rechnen Sie dann mit Gewinnen
bei Tier?
Bei jungen Unternehmen wie Tier dauert
der Break-even einfach ein bisschen län-
ger. In der Anfangsphase geht es darum,
sich im Heimatmarkt zu positionieren und
im nächsten Schritt zum dominanten Play-
er in Europa aufzusteigen. Danach geht es
erst darum, wie man mit dem Geschäfts-
modell Geld verdienen kann.
Wie groß soll Tier werden?
Bird und Lime in Amerika – das sind
die Größenordnungen, die wir mit Tier
anpeilen.
Mischen Sie sich in die Geschäfte ein?
Auf das tägliche Geschäft habe ich keinen
Einfluss. Ich unterstütze, wo ich kann.
Zum Beispiel mit meiner Reichweite, mit
Marketing und meinem Netzwerk.
Lime ist einer der Marktführer bei
E-Scootern. Glauben Sie, dass Tier in
Deutschland dagegen bestehen kann?
Ich bin mir sicher, dass sich Tier gegen Li-
me durchsetzen kann, weil sie einen
Heimvorteil haben.
Was macht Sie da so sicher?
Für ein internationales Unternehmen ist
es schwieriger, eine Kooperation mit örtli-
chen Verkehrsbetrieben in Deutschland
zu schließen, als für ein Unternehmen wie
Tier, das vor Ort ist.
Warum sind Sie bei Tier eingestiegen und
nicht beim Konkurrenten Circ?
Ich habe mir sowohl Tier als auch Circ an-
geschaut. Letztlich habe ich mich für Tier
entschieden, da ich hier das größere
Wachstumspotenzial sehe.
Die Fragen stellten Roman Tyborski und
Julian Olk.
Der frühere Formel-1-
Weltmeister erklärt, warum er in
E-Scooter investiert.
E-Scooter
von Tier:
Eher Frei-
zeitspaß als
Beitrag zur
städtischen
Mobilität.
Kurzstrecke
1,
KILOMETER
werden im Schnitt mit E-Scootern
zurückgelegt. Pendler nutzen andere
Verkehrsmittel deutlich länger.
Quelle: Civity
Nico Rosberg:
Der Formel-1-
Champion von
2012 investiert
heute in grüne
Technologien.
dpa Dominik Butzmann für Handelsblatt
Unternehmen & Märkte
MITTWOCH, 28. AUGUST 2019, NR. 165
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