Handelsblatt - 28.09.2019

(Axel Boer) #1

M


an merkt es bereits im Wartezim-
mer des griechischen Finanzmi-
nisteriums: Dieses Land
schwimmt nicht im Geld. Die mit
schwarzem Kunstleder bezoge-
nen Sofas standen hier schon in den 1990er-Jah-
ren. Teile der Deckenverkleidung fehlen. Das
Plastikgehäuse eines Klimageräts liegt auf dem
Boden. Im Handelsblatt-Interview erläutert Chris-
tos Staikouras, Griechenlands Finanzminister, wo
sein Land nach zehn Krisenjahren steht, wie er
die immer noch schwächelnde Wirtschaft in
Schwung bringen, die angeschlagenen Banken sa-
nieren und die Steuern senken will, ohne die
Sparvorgaben der Gläubiger zu verletzen.

Herr Minister, mit welchen Erwartungen fahren
Sie mit Premier Kyriakos Mitsotakis nach Berlin?
Ich erwarte, dass unsere Gespräche mit Kanzlerin
Angela Merkel sowie mit Vizekanzler und Finanz-
minister Olaf Scholz das gegenseitige Vertrauen
stärken. Ich denke auch, der Besuch wird helfen,
gemeinsame Lösungen für die künftige Architektur
der Euro-Zone zu finden.

Am 1. September heben Sie die letzten Restriktio-
nen im Kapitalverkehr auf – ein Signal?
Ja. Ich erwarte davon einen weiteren, starken
Wachstumsimpuls für die griechische Wirtschaft.
Die Kapitalkontrollen wurden im Juli 2015 in der
chaotischen Situation verhängt, die die damalige
Regierung mit ihrer unverantwortlichen und aben-
teuerlichen Verhandlungsstrategie gegenüber den
Gläubigern heraufbeschworen hatte. Ihre Aufhe-
bung gehört zu den unerledigten Aufgaben, die
uns die Vorgängerregierung hinterlassen hat. Wir
beseitigen damit einen Faktor der Ungewissheit für
das griechische Bankensystem und die Wirtschaft.

Ihr Land hat das Anpassungsprogramm vor ei-
nem Jahr beendet. Ist die Krise vorbei?
Griechenland lässt eine lange Periode der wirt-
schaftlichen und politischen Unsicherheit hinter
sich. Wir müssen weiter durchhalten, und wir tun
das im vollen Bewusstsein, dass es weder magische
noch einfache Lösungen geben wird.

Als das am höchsten verschuldete Land der Euro-
Zone profitiert Griechenland von Null- oder sogar
Negativzinsen. Aber ist diese Geldpolitik der EZB
wirklich nachhaltig?
Das tatsächlich sehr tiefe Zinsniveau war für viele
Länder der Euro-Zone und auch für Griechenland
eine große Unterstützung. Aber unabhängig davon
haben die Strukturreformen, die fiskalische Konso-
lidierung und die Wachstumspolitik in unserem
Land dazu geführt, dass die Anleger wachsendes
Vertrauen in griechische Schuldpapiere setzen.

In Europa steigen die Rezessionsgefahren. Ist Grie-
chenland dafür gewappnet?
Das internationale Umfeld ist sehr unbeständig. Die
geopolitischen Konstellationen, der Protektionis-
mus, die Bewegungen an den Finanzmärkten – all
das bedeutet Unsicherheit. Die Gefahr einer Rezes-
sion ist präsent. Die Auswirkungen für Griechen-
land hängen von der Dauer einer Rezession und
der Entwicklung in den finanzstarken Ländern ab.

Sie haben eine Steuerreform angekündigt. Worum
geht es dabei?
Wir planen eine umfassende Reform des gesamten
Steuersystems, die wir innerhalb von vier Jahren
realisieren wollen. Die Kernaufgabe ist Wachstum.

Welche Erleichterungen planen Sie konkret?
Wir wollen die privaten Haushalte und die Unter-
nehmen entlasten. Bereits im Juli haben wir eine
Senkung der Immobiliensteuern beschlossen. Sie
werden um durchschnittlich 22 Prozent reduziert,
mit sofortiger Wirkung. Außerdem wollen wir im
nächsten Jahr die Körperschaftsteuer von 28 auf 24
Prozent senken. Das wird bereits die Gewinne des
Geschäftsjahres 2019 betreffen. Je nachdem, wie
groß unser fiskalischer Spielraum ist, planen wir ab
2020 die Abschaffung des in der Krise eingeführ-
ten Solidaritätszuschlags und der Geschäftsabgabe

„Wir kennen

unsere

Schwächen“

Vor seinem ersten Berlin-Besuch kündigt der neue griechische


Finanzminister weitere Reformanstrengungen an und gelobt die


Einhaltung der Sparvorgaben.


Christos Staikouras


Yorgos Karahalis/Bloomberg

Wirtschaft


& Politik


MITTWOCH, 28. AUGUST 2019, NR. 165


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