Süddeutsche Zeitung - 31.08.2019

(Tuis.) #1
von marco völklein

A


uf den ersten Blick erinnert
vieles in der großen Fertigungs-
halle eher an eine Möbelfabrik
als an ein Fahrzeugwerk. In ei-
ner Ecke montieren Arbeiter
Seitenteile und Türen zu einem kleinen
Schränkchen, in einer anderen Ecke sta-
peln sich Lattenroste und Bettmatratzen.
Beim genaueren Hinsehen allerdings zei-
gen sich dann doch Unterschiede: Weiter
hinten in der Halle stehen unzählige Kis-
ten mit Rohren und Steckverbindungen,
und ganz am Ende reiht sich dann ein
Wohnmobil ans nächste.
Stück für Stück rücken die Fahrzeuge
auf dem Fertigungsband immer einen Pro-
duktionsschritt weiter. Einige Arbeiter ver-
legen den Fußboden, andere werkeln an
der Nasszelle. Das Ganze, sagt Johannes
Haidn, Leiter Aus- und Weiterbildung
beim Wohnmobil- und Caravanhersteller
Knaus Tabbert im niederbayerischen Jan-
delsbrunn, sei in etwa vergleichbar mit
einem Hausbau. „Wir haben hier auch ver-
schiedene Gewerke am Start.“ Von der Sa-
nitäreinrichtung über den Möbelbau bis
zur Elektrik und der Küchengestaltung –
am Ende fügt sich alles zu einem Wohn-
mobil oder -anhänger.


Ähnlich vielfältig ausgebildet sind die
fast 3000 Mitarbeiter, die Knaus Tabbert
an seinen europaweit vier Standorten be-
schäftigt. Schreiner sind hier in der Pro-
duktion tätig, aber auch Elektriker, Mecha-
troniker und Sanitärfachkräfte. Viele da-
von bildet Knaus Tabbert, ähnlich wie an-
dere Hersteller auch, bereits selbst aus,
die meisten zum Holzmechaniker.
„Das ist traditionell bedingt“, sagt Tim
Rüttgers vom Branchenverband CIVD.
„Früher wurde einfach viel Holz in den
Fahrzeugen verbaut“; mittlerweile hat
sich das geändert. Der Trend zum Leicht-
bau, neue Materialien – heutzutage wird
viel mehr mit Kunststoffen als mit Holz ge-
arbeitet. Lieber wäre es Ausbildungsleiter
Haidn von Knaus Tabbert daher, wenn er
künftig junge Leute in einem speziell für
die Caravanbranche entwickelten Beruf
ausbilden könnte, nämlich zur „Fachkraft
für Caravan- und Reisemobilbau“ – oder
quasi als Arbeitstitel kürzer gefasst: zum
„Caravan-Techniker“ beziehungsweise
zur „Caravan-Technikerin“.
Noch aber ist es nicht soweit. Haidn und
seine Mitstreiter, die sich in einem CIVD-
Arbeitskreis zusammengetan haben, star-
teten ihre Initiative vor eineinhalb Jahren.
Aus ihrer Sicht müssten Fachkräfte geziel-
ter auf den Bedarf hin ausgebildet wer-
den. „Wir brauchen Leute, die alle Gewer-
ke im Griff haben“, sagt Haidn. Ein Holz-
mechaniker in der Produktion müsse,
nachdem er eine Küche in ein Wohnmobil
oder einen Caravan installiert hat, diese
mit der Gasanlage verklemmen.
Der Ausbildungsplan für diesen Beruf
sehe so etwas aber nicht vor, eine Gasprü-
fung am Ende der Ausbildung erst recht
nicht, sagt Haidn. Auch spezielle Kenntnis-
se beispielsweise zu Kunststoff-Klebetech-
niken würden einem Holzmechaniker in
der Ausbildung kaum vermittelt. Solche
Arbeiten übernähmen bei Knaus in der Re-
gel Kunststofftechniker. Gäbe es hinge-
gen Leute, die all das beherrschten, wären
sie für die Firma flexibler einsetzbar.
Hinzu kommt: „Auch der Handel sucht
dringend nach Fachkräften“, sagt CIVD-
Mann Rüttgers. Caravanhändler und
-werkstätten würden derzeit oftmals
Schreiner, Elektriker oder Kfz-Mechatro-
niker einstellen und diese dann erst mal
fortbilden, beispielsweise in einer Bil-
dungsstätte in Schweinfurt. Mit einer spe-
ziell für die Branche entwickelten Berufs-
ausbildung wäre den Unternehmen in Zei-
ten des allgemeinen Fachkräftemangels


sehr geholfen, finden Haidn und Rüttgers.
Zumal die Branche seit Jahren boomt. Zu-
wachsraten im zweistelligen Prozentbe-
reich beim Absatz waren zuletzt keine Sel-
tenheit, allein der Bestand an Freizeitfahr-
zeugen sei mittlerweile auf 1,2 Millionen
gestiegen, sagt CIVD-Mann Rüttgers. „Die
müssen alle in die Wartung und den Ser-
vice“, müssten auch mal nachgerüstet wer-
den, wenn sie in die Jahren gekommen
sind. Auf dem Caravansalon in Düssel-
dorf, der Leitmesse, die an diesem Sams-
tag beginnt und eine Woche lang läuft, will
der CIVD daher um Nachwuchs werben.
Vor einem Jahr bereits hatte er im Internet
unter sonnigekarriere.de eine Kampagne
gestartet, um Fachkräfte zu gewinnen.
Ob es allerdings künftig die offizielle
Ausbildung zum Caravantechniker geben
wird, steht in den Sternen. Denn einen neu-
en Ausbildungsberuf zu etablieren, ist al-
les andere als trivial. „Wir haben da ein di-
ckes Brett zu bohren“, räumt Rüttgers ein.
So müssen sich in der Regel zunächst ein-
mal die Sozialpartner, also die Arbeitge-
ber und die für die Branche zuständigen
Gewerkschaften, darauf einigen, dass es
überhaupt einen nennenswerten Bedarf
für einen solch neuen Lehrberuf gibt.
Im Falle des Camping-Technikers re-
agiert die zuständige Gewerkschaft, die
IG Metall, bislang eher verhalten. Man ha-
be erst vor drei oder vier Jahren die Berufe
im Karosserie- und Fahrzeugbau neu ge-
ordnet, erklärt IG-Metall-Sekretär Jörg
Ferrando. „Und dabei haben wir auch an
die Caravanbranche gedacht.“ Die Sachver-
ständigen jedenfalls, die die Neuordnung
der Berufe damals begleitet hatten, seien
„der Ansicht gewesen, dass die Camping-
industrie gut abgedeckt ist“. Es sei nun an
den Vertretern der Campingbranche, sagt
Ferrando, aufzuzeigen, inwieweit die Aus-
bildungspläne beispielsweise für Berufe
wie den Kfz-Mechatroniker oder den Ka-
rosserie- und Fahrzeugmechatroniker
nicht passgenau seien für die Anforderun-
gen der Campingindustrie.
Ähnlich sehen es Christiane Reuter und
Gert Zinke vom Bundesinstitut für Berufs-
bildung (Bibb). „Die Abgrenzung zu ande-
ren, bereits bestehenden Berufen könnte
schwierig werden“, sagt Zinke, wenngleich
seine Kollegin Reuter hinzufügt, dass das
Bibb vom Wunsch der Caravanbranche
nach einem neuen Lehrberuf bislang noch
überhaupt keine Kenntnis hatte. Auch
CIVD-Mann Rüttgers sagt, man stehe
noch am Anfang und habe daher das Bibb
noch gar nicht eingebunden. Haben sich
die Sozialpartner geeinigt, werden unter
Federführung des Bonner Instituts zusam-
men mit Sachverständigen der Sozialpart-
ner die Ausbildungsordnungen erarbeitet.

Erlassen wird ein neuer Ausbildungsbe-
ruf am Ende vom zuständigen Ministeri-
um, das ist in aller Regel das Bundeswirt-
schaftsministerium. Für manche Bran-
chen ist das Gesundheits-, das Landwirt-
schafts- oder das Innenministerium zu-
ständig. Eingebunden sind zudem die Bun-
desländer, die für die Rahmenlehrpläne
und den Unterricht an den Berufsschulen
verantwortlich sind. Man sieht: Das Ganze
ist ein komplizierter Prozess.
Zumal man nicht unendlich viele neue
Berufe entwickeln sollte, warnt Bibb-Ex-
perte Zinke. So müsse beispielsweise ge-
währleistet sein, dass Absolventen nach ei-
ner Ausbildung „auch in anderen, nahen
Branchen unterkommen können“. Ist ein
Beruf zu eng auf eine zu kleine Branche zu-
geschnitten, ist das mitunter nicht mehr
möglich – und für die Beschäftigten be-
steht ein zu hohes Risiko, auf eine kleine
Branche festgelegt zu sein, findet auch Ge-
werkschafter Ferrando. Geht es dieser
mal schlecht, haben die Mitarbeiter kaum
eine Chance, anderswo unterzukommen.

Hinzu kommt die Sache mit der Berufs-
schule, ergänzt Zinke. Besteht eine Bran-
che nur aus wenigen Betrieben, wird es für
die Bundesländer schwer, ein flächende-
ckendes Berufsschulangebot aufzuziehen


  • sowohl räumlich als auch personell, weil
    unter Umständen nicht genügend speziali-
    sierte Berufsschullehrer verfügbar sind.
    „Da hängt eine ganze Kette an Fragestel-
    lungen dran“, sagt Zinke. Zumal das Bibb
    zusammen mit den Verbänden und Ge-
    werkschaften gerade dabei ist, den Beruf
    des Fahrzeuginnenausstatters neu zu ord-
    nen. Der muss nicht mehr nur – wie früher

  • Bezugsstoffe verarbeiten oder Polster in-
    standsetzen, sondern auch Aufgaben bei
    der Qualitätssicherung übernehmen, gan-
    ze Baugruppen in Fahrzeugen montieren
    oder elektrische sowie hydraulische Lei-
    tungen verlegen. Unter Umständen, sagt
    Bibb-Mitarbeiterin Christiane Reuter,
    könnte dieser Beruf nach der Neuordnung
    auch die speziellen Bedürfnisse der Cara-
    vanbranche bedienen. Nach derzeitigem
    Stand ist geplant, dass die Neuordnung
    für den Fahrzeuginnenausstatter im Som-
    mer 2021 in Kraft treten soll.
    Wichtig sei ohnehin, betonen die Bibb-
    Leute, nicht nur die gesetzgeberischen
    und organisatorischen Hürden zu neh-
    men. „Genauso wichtig ist es, dass es einer
    Branche gelingt, einen neu geschaffenen
    Ausbildungsberuf auch zu etablieren.“ Vor
    einigen Jahren hatten sich unter anderem
    die Betreiber von Eisdielen dafür stark ge-
    macht, den Beruf des Speiseeisherstellers
    neu zu schaffen, genauer: die Fachkraft
    für Speiseeis. Eckpunkte wurden festge-
    legt, eine Ausbildungsordnung erlassen,
    Berufsschulklassen eingerichtet. Am En-
    de mangelte es aber an Bewerbern und an
    Ausbildungsbetrieben. 2018 wurde der Be-
    ruf wieder außer Kraft gesetzt.


hat die deutsche Caravan-
industrie inden ersten sieben
Monaten des laufenden
Jahres abgesetzt – das waren
laut Branchenverband CIVD
13 Prozent mehr als im
Vergleichszeitraum des
Vorjahres. Die Branche boomt
schon seit einigen Jahren,
unter anderem profitiert sie
vom niedrigen Zinsniveau.
Wer kaum Zinsen für sein
Erspartes kriegt, sucht sich
teure Konsumgüter, also zum
Beispiel ein Wohnmobil, heißt
es beim CIVD. Zudem gibt es
einen Trend zum Urlaub in
Deutschland – auch davon
profitieren die Hersteller.

61000


Fahrzeuge


Kürzlich wurde der Beruf des
Speiseeisherstellers eingeführt –
und bald wieder eingestellt

Hausbau en miniature: Caravan-Fachkräfte müssen alles sein, Schreiner, Mechatroniker, Elektriker, Kunststofftechniker und Installateure. FOTO: MONTY RAKUSEN / MAURITIUS

DEFGH Nr. 201, Samstag/Sonntag, 31. August/1. September 2019 61


BERUF & KARRIERE

Der Fachkräftebedarf ist


noch kein Grund für einen


neuen Ausbildungsberuf


Profis


für die


Nische


Wohnmobile sind gefragt wie


nie zuvor. Die Hersteller würden


gerne eine Ausbildung zum


Caravan-Techniker etablieren.


Doch einen neuen Lehrberuf zu


schaffen ist kompliziert


Europas führendes ExpoEvent


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