Die Fantasie Ludwigs kannte keine
Grenzen.Neben der künstlich angeleg-
ten Tropfsteinhöhle sollte am westli-
chen Ende des Hauptgebäudes noch ein
Ritterbad entstehen, ein mannshohes
Badebecken, wie er es auf der Wartburg
besichtigt hatte. Aber nicht mit kaltem
Wasser, sondern gemütlich warm wie ei-
ne Badewanne. Der Durchlauferhitzer –
ein riesiger Kohlenkessel – war schon
eingebaut, wurde aber nie in Betrieb ge-
nommen. Auch bei den Prunkräumen
sollte es nicht bei Sänger- und Thron-
saal bleiben. Ursprünglich war im zwei-
ten Stock des Palas noch ein „Mauri-
scher Saal“ geplant. Ein weiteres Bau-
vorhaben, das noch anstand, war der
Bergfried an der Ostseite des oberen
Hofs: ein hoher Turm und im Mittelal-
ter Kern der Verteidigung einer Burg.
Der zwei Stockwerke hohe Thronsaal ist
Sinnbild für Ludwigs Sehnsucht nach
dem Alleinsein. In den ersten Bauplä-
nen waren statt des Prunksaals noch
Fremdenzimmer und ein Speisesaal ge-
plant, später wurden sie gestrichen. Als
Ludwig das Schloss bewohnte, hatte er
15 Bedienstete, darunter Köche, einfa-
che Diener und den Kammerdiener.
Aber auch gegenüber seiner rechten
Hand galt er als streng und anspruchs-
voll. Vier bis fünf Wachen reichten, um
das Schloss zu sichern. Den fertigen Bau
bekamen nur wenige Vertraute zu Ge-
sicht. Darunter seine Mutter, Königin
Marie, die in Hohenschwangau residier-
te, und sein Vetter Karl Theodor. Auch
Elisabeth von Österreich war unter den
Auserlesenen. Sie durfte das Schloss in
seiner Abwesenheit besichtigen.
Genau zum Jubiläum ist jetzt der Grund-
stein entdeckt worden, ein Sprengkom-
mando des Landeskriminalamtes hatte
mit einem elektromagnetischen Minen-
suchgerät danach geforscht. Gefunden
wurde er in einer Wand des Ritterbads.
Dort soll er bleiben, samt der Kapsel, die
eine Urkunde, Pläne, Königsporträts
und eine Marienfigur enthalten soll.
Die Erdgasheizung hat zuletzt gerade
einmal 18 000 Euro Kosten im Jahr ver-
ursacht. Der Unterhalt ist dennoch im-
mens teuer, gerade restauriert der Frei-
staat wieder für 20 Millionen Euro: Da-
bei werden unter anderem 93 Räume,
65 Gemälde, 355 Möbel, 228 Textilien,
322 kunsthandwerkliche Objekte und
315 Holzbauteile aufgeschönt.
Unvollendetes
Die heutigen Besucherströme – bis zu
1,5 Millionen Menschen pro Jahr – ste-
hen in maximalem Kontrast zum men-
schenscheuen König. Kein Fremder soll-
te sein Schloss betreten, ihm allein soll-
te es ein privates Refugium sein. Heute
werden – abgesehen von vier Tagen im
Jahr – täglich 4000 bis 8000 Menschen
durch seine Gemächer geschleust. Wer
sich ausmalt, dabei ausgiebig in den
goldglänzenden Sälen zu flanieren, der
irrt. Jede Führung dauert 35 Minuten –
für jene, die zuvor drei Stunden ange-
standen haben, macht das nicht einmal
ein Sechstel des Schlossbesuchs aus.
Die Massen hält das nicht ab: Am 14. Au-
gust 2007 wurde der Besucherrekord
das letzte Mal gebrochen, 8332 Men-
schen, passierten das Schlosstor. Mitt-
lerweile stammen 70 Prozent der Besu-
cher aus dem Ausland. Am häufigsten
werden Führungen auf Englisch, Man-
darin und Spanisch gebucht. Deutsch-
land-Reisende wählen das Schloss auf
Platz drei der Topsehenswürdigkeiten,
so geben es zumindest 32 000 Befragte
beim Deutschen Tourismusverband an.
Unter Deutschen selbst belegte Neu-
schwanstein 2009 Platz vier, hinter
dem Kölner Dom, dem Reichstag und
der Dresdner Frauenkirche. Von Barrie-
refreiheit ist der majestätische Bau je-
doch weit entfernt – für die Besichti-
gung muss man in der Lage sein,
169 Treppen hinauf und 204 Treppen
hinunter zu steigen.
Fließendes, teils sogar warmes Wasser,
automatische Drehspieße in der Küche,
Speiseaufzug, batteriebetriebenes Licht,
Warmluftheizung: Heute würde man Lud-
wig II. als „Early Adopter“ bezeichnen,
neue Produkte wollte er sofort haben und
ausprobieren. In seinen Privaträumen
ließ er eine batteriebetriebene Klingel in-
stallieren. Drückte er das Knöpflein,
konnten die Diener von einer Signaltafel
im Vorzimmer ablesen, in welchen Raum
sie gerufen wurden. Schon als Bub war er
im benachbarten Schloss Hohenschwan-
gau in den Genuss einer Klospülung ge-
kommen. In Neuschwanstein zählte sie
zum Standard, das einfache Volk benutz-
te noch Jahrzehnte das Plumpsklo. Auch
ein Telefon gab es im Schloss – das Kabel
reichte aber zunächst nur bis Hohen-
schwangau.
Bei der Grundsteinlegung am 5. Septem-
ber 1869 war der König nicht dabei, an-
sonsten überwachte er die Bauarbeiten na-
hezu lückenlos: Rund 300 Arbeiter waren
17 Jahre lang fast ständig beschäftigt –
auch nachts, mit Hilfe von sehr hellen,
leicht explosiven Karbidlampen. Zehn-
Stunden-Schichten waren normal, dafür
gab es sogar eine Art Sozialversicherung:
Wer krank war, bekam trotzdem Geld;
Nachtschichten wurden doppelt bezahlt.
Neuschwanstein war während des Baus
der größte Wirtschaftsfaktor der Region –
und ist es heute wieder.
Obwohl reine Reminiszenz an die Sagen
von Gralsrittern und Herzoginnen ist
Neuschwanstein zum Inbegriff einer ro-
mantischen Burg des Mittelalters ge-
worden. Der Wiederaufbau alter Bur-
gen war im Historismus üblich, einzigar-
tig an Neuschwanstein ist, dass von der
mittelalterlichen Burg über der Pöllat-
schlucht nur noch Ruinen standen. Das
ermöglichte es Ludwig II. seine „Neue
Burg Hohenschwangau“ in Anlehnung
an die Eisenacher Wartburg ganz nach
seiner idealtypischen Vorstellung des
Mittelalters zu konzipieren. Genug In-
spiration hatte er in seiner Jugend bei
Mittelaltersagen und später bei Richard
Wagners Opern „Lohengrin“, „Tannhäu-
ser und „Parsifal“ gesammelt. Mit sei-
nem alles überragenden Baudenkmal
kompensierte Ludwig II. seine schwin-
dende Macht. Drei Jahre vor Baubeginn
wurde er vom preußischen Kaiser zum
rein konstitutionellen Monarchen her-
abgesetzt. Die Innenarchitektur folgt ei-
ner ausgefeilten Dramaturgie mit dem
wiederkehrenden Element des aufstei-
genden Schwans. Der steht als Symbol
der Reinheit und ist Wappentier der
Schwangauer Grafen, als deren Nach-
fahre Ludwig II. sich verstand. Das Tier
zierte Wasserhähne, Glasfenster und
das Dach der königliche Kutsche. Die In-
nenräume des Schlosses sind ein Hort
von feinstem Kunsthandwerk: Da fin-
den sich kleinteilige Schnitzereien im
Schlafzimmer, großformatige Ölgemäl-
de und kunstvolle Beschläge.
Unterhalt
Bereits in seiner Jugend plagten Lud-
wig II. Depressionen. Er ging spät zu Bett
und schlief lange. Mitte der 1870er-Jahre
stellte er seinen Rhythmus vollständig
auf die Nacht um und arbeitete bis acht
Uhr morgens. Was man heute wohl als
Borderlinestörung bezeichnen würde, dia-
gnostizierten vier Gutachter damals als
„Paranoia“ (Verrücktheit). Daraufhin wur-
de der Bausüchtige im Jahr 1886 in Neu-
schwanstein festgesetzt und im Schloss
Berg interniert. Am Pfingstsonntag 1886
ertrank Ludwig unter rätselhaften Um-
ständen mit seinem Psychiater Bernhard
von Gudden im Starnberger See.
von roman deininger
N
ew York, 30. August. Öko-Aktivist
Markus Söder, 52, ist nach seiner
fünfzehntägigen Atlantiküberque-
rung in New York eingetroffen. Hunderte
junge Leute kamen zum Hafen, um ihr
Idol im Klimakampf zu begrüßen. Als Sö-
der unter „Markus, Markus“-Rufen an
Land ging, hielt er sein berühmt geworde-
nes, handgemaltes Protestschild in der
Hand. „All das ist sehr überwältigend“,
sagte Söder mit seiner schüchtern-schel-
mischen Mimik. „Lasst uns gemeinsam
den Krieg gegen die Natur beenden.“
Noch am Freitag nahm er an einer Klima-
demonstration vor dem UN-Hauptquar-
tier teil. „Gemeinsam können wir noch
verhindern, dass unser Planet eines Ta-
ges unbewohnbar wird“, sagte Söder.
Söder besitze „trotz seines jungen Al-
ters die Fähigkeit, vorweg zu gehen“,
schwärmte Markus-Fan Claire Under-
wood, 13, aus New York. „Er ist eine Inspi-
ration. Er spricht aus, dass wir bald alle
sterben werden, wenn wir unser Leben
nicht radikal ändern.“ Söder dankte „al-
len Unterstützern, die bei meiner Segel-
reise so mitgefiebert haben“. Er sei sich
aber bewusst, neben Anhängern auch Kri-
tiker zu haben: „Einige Leute mögen
mich nicht. Und sie werden immer Grün-
de finden, mich nicht zu mögen.“
Der Kapitän derFranconia II, Florian
Herrmann, sagte dem ARD-Morgenma-
gazin, Söder habe sich auf der ganzen Rei-
se toll geschlagen: „Markus ist noch nicht
mal seekrank geworden. Tagsüber hatte
er Freude daran, einfach aufs Meer zu
schauen.“ Sogar Gymnastik habe er ge-
meinsam mit der Crew gemacht. Söder
selbst hatte nördlich der Azoren getwit-
tert: „Das Leben auf derFranconia IIist
wie Camping auf einer Achterbahn.“ Kapi-
tän Herrmann lobte, Söder habe „aber
auch nicht zu viel ins Handy gestarrt“.
Der Schauspieler und Oscar-Preisträ-
ger Javier Bardem pries den fränkischen
Aktivisten in New York als Vorbild: „Seine
Stimme ist so wichtig. Wegen seines Al-
ters, wegen seines großartigen Wissens,
wegen seiner Verpflichtung, selbst der
Wandel zu sein, über den alle sprechen.“
Um sich ganz seinem Kampf für den Kli-
maschutz zu widmen, hat Söder sich mitt-
lerweile ein Jahr Auszeit von seinem Job
in der bayerischen Staatskanzlei genom-
men. Die Rückreise von New York nach
Nürnberg will er auf dem Landweg mit ei-
nem E-Scooter bestreiten.
Einsamkeit
Oberammergau– Mit einer Reise nach
Israel starten die Hauptdarsteller der
Oberammergauer Passionsspiele in die
Vorbereitungsphase für die Premiere im
Mai 2020. Von diesem Samstag an wollen
Darsteller und Spielleiter Christian
Stückl an historischen Orten der Ge-
schichte näher kommen. „Religion ist oft
ganz weit weg“, sagt Stückl. „Wenn man
das in der Probe, im Probenraum disku-
tiert, man kommt einfach nicht vor-
wärts“, findet der 57-Jährige, der das
Schauspiel vom Leiden, Sterben und der
Auferstehung Jesus’ zum vierten Mal in-
szeniert. „Wenn man an einem Ort ist, an
dem das passiert ist, dann fängt man an
darüber zu reden, was da passiert ist. Es
entsteht eine ganz andere Diskussion.“
Bereits bei vorangegangenen Passions-
spielen hatte Stückl die Hauptdarsteller
mit einer Reise ins Heilige Land auf die
Proben eingestimmt. Geplant ist unter an-
derem ein Treffen mit einem Rabbiner,
um die jüdische Seite besser zu verste-
hen. „Was heißt das, wenn Jesus Rabbi
war?“ Ebenso sei eine Zusammenkunft
mit einem Shoa-Überlebenden geplant,
„weil wir eine Geschichte mit uns herum-
tragen, dass das Passionsspiel zeitweise
Antisemitismus mit verbreitet hat“, sagt
Stückl. Auch die Palästinenserfrage soll
betrachtet werden. Die Gruppe will Naza-
reth und den See Genezareth besuchen,
ebenso die Holocaust-Gedenkstätte Yad
Vashem und die Heiligen Stätten in Jeru-
salem wie den Tempelberg und den Fried-
hof am Ölberg. Ende November beginnen
die Proben. Bis zur Premiere im Mai 2020
haben die Hauptdarsteller ein streng ge-
taktetes Programm: Fast jeden Abend
und fast jedes Wochenende wird geprobt.
Die 42 Darsteller für die 21 doppelt besetz-
ten Hauptrollen bekommen Unterricht;
auch die 120 Chormitglieder werden
stimmlich geschult. Kurz vor der Premie-
re können erstmals Jugendliche aus
Deutschland, Österreich und der Schweiz
bei Probevorstellungen dabei sein. dpa
Roman Deininger kann sich
Greta Thunbergals Minis-
terpräsidentin vorstellen.
Massenabfertigung
TechnischeInnovation
Bauarbeiten
In jeder
Beziehung schöner
und wohnlicher
wird diese Burg
werden
als das untere
Hohenschwangau.“
Zitat Ludwig II.
im Mai 1868 in einem Brief
an Richard Wagner
Grundstein
Maßlose Kunst
Legende
Sein Traum in Weiß
Vor150 Jahren wurde der Grundstein für Neuschwanstein gelegt.
Es gibt viele Gründe dafür, warum Ludwigs Kitsch-Burg bis heute
Romantiker, Königstreue und Technikfans begeistert
von helena ott und florian fuchs
Oberammergauer
reisennach Israel
UNTER BAYERN
Mit Söder
über denAtlantik
FOTOS: MEHRDAD SAMAK-ABE/IMAGO, RAINER HERRMANN/SCHLÖSSERVERWALTUNG (2), VERLAGSANSTALT „BAYERNLAND“, ZENTRALINSTITUT FÜR KUNSTGESCHICHTE
, KARL-JOSEF HILDENBRAND/DPA
DEFGH Nr. 201, Samstag/Sonntag, 31. August/1. September 2019 – R13
BAYERN
„Eine klimatische Explosion“: Die Schäden
in den Wäldern haben ein gewaltiges
Ausmaß angenommen Seiten R14, R15
Alles hin