Der Tagesspiegel - 31.08.2019

(Sean Pound) #1

ARIANE BEMMERMEINT


„Gebt mir Kissen!“


Das Standardmobiliar


in der Draußen-Gastronomie


ist die Bierbank.


Eine Bierbank


ist ein Brett mit Füßen –


und altersdiskriminierend


L


angsam gehen wir in den Sinkflug
über. Meine Tochter Wanda schaut
gähnend auf die Felder hinab, die
im Abendlicht vorübergleiten. Auch ich
bin müde, denn das Wochenende war
ebenso anstrengend wie ereignisreich.
„Papa, können wir bald mal zu Nina
nach Wien fliegen?“, hat Wanda in den
Wochen zuvor oft gedrängt. Denn seit ich
ihr meine neue Freundin vorgestellt
habe, konnten die beiden sich nur im Vi-
deo-Chat begegnen. Nachdem ich dann
Flüge gebucht hatte, war die Vorfreude
bei allen Beteiligten groß. Erst im Taxi
vom Wiener Flughafen zu Ninas Woh-
nung schien mein Kind zu begreifen, dass
die Zeit, in der sie mich ganz für sich al-
lein hat, zu Ende geht.
Seit Wandas Mutter und ich uns ge-
trennt haben, stand ich zwischen den
Fronten. Zwischen meinem Freiheits-
drang und der Verantwortung, ein guter
Vater zu sein. Zwischen meiner Sehn-
sucht nach einer neuen Partnerin und
den Bedürfnissen meines Kindes.
Es war längst überfällig, die verschiede-
nen Lebensbereiche in Einklang zu brin-
gen. Doch das ist nicht leicht. Natürlich
hat auch Nina der ersten Begegnung mit
meiner Tochter nervös entgegengeblickt.
Und als Wanda nun,
statt sie zu begrü-
ßen, ihr Gesicht an
mein Bein drückt,
wird mir klar, dass
die Fronten sich
nicht von einem Tag
auf den anderen auf-
lösen werden.
„Hallo Wanda“,
sagt Nina unbeirrt
und geht uns im Garten entgegen. „Willst
du mal meine Hunde sehen? Die warten
drin schon auf dich.“ Ein einzelnes Auge
kommt an meinem Hosenbund zum Vor-
schein, schielt neugierig in Richtung der
Wohnung. Langsam greift Wanda nach Ni-
nas Hand und folgt ihr hinein. Als die
Hunde kurz darauf ihr Gesicht abschle-
cken, lacht sie zum ersten Mal.
„Nina!“, ruft sie. „Ich hab dir was mitge-
bracht!“ Damit bringt sie ein Konvolut von
Bildern zum Vorschein, die sie in den Wo-
chen zuvor gemalt hat. Gemeinsam ma-
chen die beiden sich daran, die Kunst-
werke auf die Zimmerwände zu verteilen.
Nachdem das Eis gebrochen ist, kann ich
die beiden nicht mehr voneinander los-
kriegen. Bereits beim ersten Spaziergang
greift Wanda nach Ninas Hand, nicht
nach meiner. Und als wir am Samstag
zum Prater fahren, ist es Nina, die mit in
die Geisterbahn soll.
„Papa“, sagt Wanda im Flugzeug.
„Ich war ganz schön mutig gestern,
oder?“ – „Auf jeden Fall.“ – „Und Nina hat
bestimmt noch nie ein vier Jahre altes
Kind gesehen, das sich in die Geisterbahn
traut.“ – „Die war genauso überrascht wie
ich.“ Wanda nickt voller Stolz. Dass ihr
die Bestätigung durch meine Freundin so
wichtig ist, scheint mir ein gutes Zeichen
zu sein. Natürlich werden sich weiterhin
Schwierigkeiten ergeben. Noch haben
wir alle in einem Zimmer geschlafen,
weil ich Wanda nicht mit vollendeten Tat-
sachen überrumpeln wollte. Doch nächs-
tes Mal werde ich Nina auch für mich al-
lein haben wollen.
„Schau mal, Papa! Da ist schon Ber-
lin!“, ruft Wanda jetzt. „Ich freu mich, dass
wir wieder zu Hause sind. Kann Nina uns
hier auch bald besuchen kommen?"
„Wird sie.“
„Und was machen wir heute noch?“
„Ich weiß nicht.“
„Können wir zusammen was mit Öl-
farben malen? Ein Bild für Nina?“
Ich nicke. Wanda umarmt mich und
seufzt. Unter uns rumpelt das Fahrwerk.
Berlin hat uns wieder und mit ihm der
Alltag. Ich habe ihm schon lange nicht
mehr so zuversichtlich entgegengeblickt.
Das Leben ist noch immer tricky genug.
Aber mit diesem Kind und dieser Frau
kann ich ihm genauso mutig gegenüber-
treten wie Wanda der Geisterbahn.


CLINTzwischen den Fronten


Schon nähern sich die langen Sommer-
nächte dem Ende, ab 20 Uhr setzt die
Dämmerung ein, demnächst wird es auch
mit den Sommertemperaturen vorbei
sein – und darüber freut sich vor allem
einer: mein Hintern. Der nämlich hat
das Sundowner-Herumhocken auf Bier-
bänken satt.
Bierbänke sind Holzbretter mit Füßen.
Holzbretter sind hart. Auf ihnen sitzen
ist unangenehm. Nicht sofort, aber spä-
testens bei der Hälfte vom zweiten
Bier. Weshalb man sich dann hin- und
herwiegt, um die Belastungspunkte und
Druckstellen zu egalisieren. Bierbänke
sind zum Schnell-hin-und-wieder-weg-
Stellen. Klappmöbel für Leute, die man
nicht auf Dauer bei sich herumsitzen
haben möchte. Leider sind Bierbänke
aber auch: Standardmobiliar für Berli-
ner Draußensitzgelegenheiten.
Nun denkt vielleicht der Berlin-Knei-
pier: Die Gäste kommen ja nur einen
Abend, da können sie sich schon mal auf
ein Brett setzen. Aber er vergisst dabei,
dass sie vielleicht am nächsten oder
übernächsten Tag bei anderen Wirten
ebenfalls auf Brettern sitzen. Ja, in be-
sonders geselligen Wochen hockt so
ein Gast womöglich an vier von sieben
Abenden auf Holzbänken. Da kann ihn
bei der Aussicht auf einen so zu ver-
bringenden fünften schon das Flehen
anfallen: Bitte, können wir irgendwo
hingehen, wo sie Stühle haben?

Natürlich haben Bierbänke auch
Charme. Ihr Klappcharakter vermittelt
eine Leichtigkeit, die zur luftigen Som-
merlichkeit passt. Weil sie in der
Zwei-Meter-zwanzig-Ausgabe Men-
schen nebeneinanderzwingen, die unter
anderen Umständen nie in Kontakt ge-
kommen wären, haben sie eine sozialisti-
sche Gleichmacherattitüde, die an Aben-
den, an denen alle schwitzen und alle
durstig sind, auf alle Fälle passt. Und es
will sich ja auch niemand bei 29 Grad in
einem Polstersessel versenken. Aber wie
wäre es mit Kissen? Und sei es als gene-
röse Inklusionsgeste an diejenigen, de-

ren Sitzteil durch vieler Jahre Nutzung
etwas mitgenommen und ausgeleiert ist?
Denn, liebe Bierbankgastronomen, ein
bisschen altersdiskriminierend ist Ihre
brettharte Draußen-Einrichtung schon.
Die älteren Semester, das darf man nicht
vergessen, beschließen mit dem Bier
oder dem Wein zur Abendstunde in der
Regel ihren Tag. Die wollen dort – und
ich scheue mich nicht, dieses Wort zu be-
nutzen – gemütlich sitzen. Für gemütli-
ches Sitzen ist eine gewisse körperliche
Zufriedenheit unerlässlich.
Es ist wahrscheinlich, dass die jünge-
ren Gäste andere Anforderungen an die
Trinktreffmöblierung haben, weil sie
von dort aus noch weiterziehen, hinaus
in die Nacht. Für die fängt mit dem Ho-
cken auf der harten Bank eher etwas an,
als dass etwas zu Ende geht. Die könnten
einen schmerzenden Bierbankhintern
als Hinweis darauf nehmen, dass es Zeit
ist, aufzubrechen.
Für diese Saison ist die Bitte um Kissen
nun zu spät. Aber es kommt ein nächstes
Jahr. Vielleicht dann. Wenigstens dünne
und wenigstens für jede zweite Bank? Es
wäre ein Zeichen des Mitgefühls denen
gegenüber, die in der Härte des Holzes
die Härte des Lebens wiedererkennen.

Mehr Berlin! Mitarbeit: Torsten Hampel, Maris Hubschmid, Lars Spannagel, Sabine Wilms (Gestaltung), Fanpost: [email protected]

Mit Mut in


die Geisterbahn


KRIEGT DEN HALS
NICHT VOLL
„Hier freut sich jemand
auf Leckereien,
wie einen Apfel
oder ein Knäckebrot.“

SONNABEND, 31. AUGUST 2019|WWW.TAGESSPIEGEL.DE

STEINLAUS-PARADIES
„Noch erkennt man
zwar nicht viel.
Aber hier entstehen
gerade naturnahe
Lebensräume.“

SCHWARZ-WEISSE
HOFFNUNG
„Noch ist dieser kleine
Berliner nur wenige
Zentimeter groß.
Aber Stadtgespräch
ist er jetzt schon...“

Schrieb die Autorinvier Buchstabenzu viel?
Odersitztder Beitrag richtig? Diskutieren Sie mit!
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KONFERENZ FÜR TIERE
„Alle hören gespannt zu, was es für Neuigkeiten
gibt. Wir haben wieder viel zu berichten.“

AB DURCH MITTE
„Auf dem Weg von
der einen Naturoase
zur anderen –
alles in einer Stadt.“

SOBALD ICH


HIER RAUS BIN
Vor 20 Minuten den Arbeitsplatz verlas-
sen.Letzter Tag im Unternehmen. Blu-
menstrauß zum Abschied. Zweieinhalb
Stunden früher Feierabend und die infor-
melle Abschiedsfeier findet erst am
Abend statt. Was tun in der Zwischenzeit?
Bleiben? Wirkt, als könnte ich nicht loslas-
sen.Nach Hause? Lohnt sich nicht. Also
erst mal ziellos herumspazieren. Und
dann hinein in einen Neuköllner Spät-
kauf. Anruf bei meiner Frau. Sie will eben-
falls zur Abschiedsfeier kommen. Viel-
leicht hat auch sie früher frei? Vorsorglich
stelleich ein Bier auf den Kassentresen –
falls sie keine Zeit hat. Den Blumen-
strauß halte ich noch immer in der Hand.
„Hey, ich bin schon früher raus, wollen wir
uns treffen?“, frage ich. „Ich brauch’
noch etwa zwei Stunden“, sagt meine
Frau, „willst du vorbeikommen?“ – „Nee,
ich will dich nicht stressen.“ Der Verkäu-
fer hört meinen Worten auffällig unauffäl-
ligzu und versteht doch nur, was ich sage.
„Ich melde mich, sobald ich hier raus-
kann“, sagt meine Frau. „Ist schon gut,
mach dir keine Gedanken“, sage ich und
lege auf. Der Verkäufer schaut mich mit
festem Blick an. Entsetzen, Hohn und Mit-
leid wechseln sich darin ab. Dann blickt
er auf den Blumenstrauß, schiebt mir das
Bier rüber und sagt: „Vergiss die Frau.
Das wird nichts mehr.“ Metin Kaya

AUF STREIFE
„Gemeinsam mit
meinem Team
bin ich für den
weltweit größten
Zootierbestand
verantwortlich und
engagiere mich für
den Artenschutz.“

Andreas Knieriem,54, wurde
im US-Bundesstaat Georgia
geboren und wuchs in Duis-
burg auf, als 13-Jähriger
machte er dort ein erstes Prak-
tikum im Zoo. Später studierte
er unter anderem an der Freien
Universität Veterinärmedizin
und promovierte über Todes-
ursachen des Atlantischen
Weißseitendelfins. Nach
Stationen in Hannover und
München leitet er seit 2014
in Berlin Zoo und Tierpark.
Knieriem lebt mit Frau, Tochter
und Hund in einer Dienstwoh-
nung auf dem Gelände des Zoo-
logischen Gartens.

Clint Lukasüber sein
Doppelleben als Vater und Clubgänger

VON NAOMI FEARN


Das Fahrwerk


rumpelt,


der Alltag


hat uns


wieder


5

Fotos: Mike Wolff (2)

DAS IST


MEIN BERLIN


NOCH MEHR


MINUTENSTADT

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