zwischenzeitliche Panik in der SPD. Plötz-
lich wirkte die Doppelspitze eher wie eine
Fessel, die den Prozess belastet.
Die SPD gab, mal wieder, ein schwa-
ches Bild ab, erst recht im Vergleich zu
den Grünen. Deren Spitzenduo Annalena
Baerbock und Robert Habeck gilt im
poli tischen Berlin derzeit als das Maß der
Dinge, was zeitgemäßes, medientaug -
liches politisches Spitzenpersonal angeht.
Seit längerer Zeit schon schauen die So-
zialdemokraten neidisch auf den Erfolg
der beiden. Was die meisten von ihnen
übersehen: Baerbock und Habeck sind
für die Grünen eine Art historischer
Glücksfall.
Die beiden harmonieren nach außen,
sie ergänzen sich sogar, es gibt keine
Berichte über Streit, Widersprüche oder
Rivalitäten. Das allerdings war in der
langen Geschichte der Grünen-Doppel-
spitzen äußerst selten einmal der Fall. Mit
Grausen erinnert man sich in der Partei
an die Vorgänger von Baerbock und
Habeck, Simone Peter und Cem Özdemir,
die sich in inniger Gegnerschaft ver -
bunden waren.
Hier bietet das Verfahren der SPD ei-
nen Vorteil: Dadurch, dass sich die Kan-
didatenpaare bereits vor der Wahl finden
und gemeinsam antreten müssen, dürfte
eine gewisse Grundharmonie garantiert
sein. Bei den Grünen hingegen treten die
Kandidaten für den Vorsitz unabhängig
voneinander an. Als Baerbock auf die
Bühne trat, stellte sie gleich mal klar, sie
wolle nicht nur »die Frau an Roberts Sei-
te« sein. Das ist ihr bislang gut gelungen.
Die Frauen in den SPD-Tandems dürften
es da schwerer haben.
Sie alle sind respektable, gestandene
Politikerinnen, doch in den Duos sind sie,
was Außenwirkung und Ranghöhe an-
geht, meist der schwächere Part. Am we-
nigsten trifft das noch auf Gesine Schwan
zu, die mit Parteivize Ralf Stegner antritt.
Die Politikwissenschaftlerin gilt zwar vie-
len Genossen als Exotin und hat mit der
alltäglichen Politik nicht viel am Hut, da-
für aber immerhin einen gewissen Be-
kanntheitsgrad. Auch Simone Lange, die
Oberbürgermeisterin von Flensburg, und
die Parteilinke Hilde Mattheis sind be-
kannter als ihre Partner.
Anders sieht es da schon bei Klara Gey-
witz aus: Die ehemalige Generalsekretä-
rin der Brandenburger SPD war selbst im
benachbarten Berlin kaum jemandem ein
Begriff, bevor sie am Mittwoch mit Vize-
kanzler und Finanzminister Olaf Scholz
vor der Hauptstadtpresse saß, um ihre
gemeinsame Kandidatur zu begründen.
Ähnlich ist es beim Duo aus Petra Köp-
ping und Boris Pistorius: Vom Amt her
befinden sich die sächsische Integrations-
ministerin und der niedersächsische
Innenminister auf Augenhöhe – doch
Pistorius hat sich als Innenpolitiker in den
vergangenen Jahren auch überregional
bekannt gemacht. Das gilt für Köpping
allenfalls in Maßen.
Die Schlagseite ist eindeutig: Die Um-
weltpolitikerin Nina Scheer kann es von
der Popularität her nicht annähernd mit
ihrem Partner aufnehmen, dem Fliegen-
träger, Gesundheitsexperten und Talk-
showbewohner Karl Lauterbach. Und die
nordrhein-westfälische Landtagsabgeord-
nete Christina Kampmann war zwar in
Düsseldorf mal knapp zwei Jahre lang
Familienministerin – doch ihr Co-Kan -
didat Michael Roth ist Staatsminister
im Auswärtigen Amt, zuständig für
Europa.
Durch dieses Ungleichgewicht wird die
vermeintliche Errungenschaft der Doppel -
spitze frauenpolitisch eher zum Rück-
schritt. Plötzlich ging es in der öffent -
lichen Wahrnehmung nicht mehr um
starke Frauen, die sich das Amt der SPD-
Vorsitzenden zutrauen – stattdessen ent-
stand das Bild starker Kandidaten, die
sich ein Anhängsel oder Feigenblatt su-
chen. Besonders ausgeprägt war dieser
Eindruck zuletzt im Fall Scholz, dessen
Kandidatur bereits tagelang feststand,
bevor er Geywitz endlich als Partnerin
präsentieren konnte.
Auf der anderen Seite wird es von An-
fang September an, wenn die Vorstel-
lungsrunden der SPD beginnen, viel zu
erfahren geben über Kampmann und
Köpping, Scheer und Geywitz. Vielleicht
wird es nach dieser Kandidatenkür auch
eine neue Riege von Genossinen geben,
die öffentlich ein Begriff geworden sind,
ein Gesicht.
Petra Köpping zum Beispiel: Die 61-
Jährige war Bürgermeisterin, Landrätin
und Außendienstmitarbeiterin einer Kran-
kenkasse. Sie hat das Ende der DDR mit-
erlebt, sie kennt die Sorgen und Nöte der
Menschen im Osten, über die sie eine
Streitschrift verfasst hat: »Integriert doch
erst mal uns!« Man muss unwillkürlich
an den früheren Parteichef Sigmar Ga-
briel und seine Empfehlung denken, die
SPD müsse »raus ins Leben«, dorthin, wo
es brodele, »wo es manchmal riecht,
gelegentlich auch stinkt«. Petra Köpping
scheint eine Vorstellung davon zu ha-
ben, wie es dort aussieht. Sie wird ihrer
Partei davon erzählen.
Christoph Hickmann, Veit Medick
32 DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019
Plötzlich entstand
das Bild starker
Kandidaten, die sich ein
Feigenblatt suchen.
IN DER SPIEGEL-APP
Und aus
Die Gefahr von Stromausfällen in
Deutschland wächst. 50 Hertz – das ist
die Frequenz, mit der Strom durch
Europas Leitungen fließt, Häuser und
Wohnungen erhellt und Fabriken laufen
lässt. Schwankt die Frequenz zu stark,
kommt es zum Blackout. In Amerika sind
es oft marode Leitungen, die zu Strom-
ausfällen führen. Hierzulande stehen
wir vor ganz anderen Problemen: Speku-
lationen am Markt für Regelenergie und
ein mangelhafter Umbau des Energie -
systems etwa. Wie ist unser Stromnetz
aufgebaut? Und wie kann sich Deutsch-
land gegen Blackouts schützen?
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