SPIEGEL: Herr Mützenich, Sie galten jah-
relang als Mann der zweiten Reihe. Jetzt
stehen Sie als kommissarischer Fraktions-
chef in einer Reihe mit Herbert Wehner,
Peter Struck, Franz Müntefering. Wie fühlt
sich das an für Sie? Macht Ihnen das Spaß?
Mützenich: Es geht ja nicht um Spaß. Für
mich geht es um Verantwortung. Es
stimmt schon: Ich hatte es nie auf den Frak-
tionsvorsitz abgesehen. Aber im Moment
ist die Situation eben eine besondere.
Wenn es um Verantwortung geht, bin ich
nie davongelaufen. Und es gibt in dieser
Koalition noch viel Arbeit zu tun.
SPIEGEL: Sie waren immer Außenpolitiker.
Jetzt müssen Sie die SPD-Fraktion plötz-
lich in so ziemlich allen Fragen vertreten.
Wie soll das auf die Schnelle gehen?
Mützenich:Ich bin nicht nur Außenpoliti-
ker. Ich vertrete einen städtischen Wahlkreis.
Da fragen die Leute nicht so viel nach Au-
ßenpolitik. Themen sind vor allem der Woh-
nungsmangel, die hohen Mieten, Angst um
den Arbeitsplatz, auch Zuwanderung. Die
Bürgerinnen und Bürger des Kölner Nord-
westens erwarten von mir Antworten auf
die alltäg lichen Herausforderungen.
SPIEGEL: Aber Sie nehmen schon auch
mal eine Akte zur Grundrente mit nach
Hause, um sich vorzubereiten?
Mützenich: Klar, da bin ich vom alten
Schlag.
SPIEGEL: Das haben wir gemerkt. Sie sind
auch nicht bei Twitter. Warum nicht?
Mützenich: Was soll das denn bringen,
wenn ich der Welt in Echtzeit meine Ge-
danken mitteile? Ich kann mir nicht vor-
stellen, dass Menschen ständig wissen wol-
len, wie es mir geht und was ich denke.
Ich habe kein Problem mit Geschwindig-
keit in der Politik. Damit kann ich umge-
hen. Aber seit Peter Struck mir damals sag-
te: »Mütze, du gehst in den Auswärtigen
Ausschuss«, habe ich erlebt, wie gefährlich
mancher Schnellschuss sein kann, gerade
in diesem Politikfeld.
SPIEGEL: Momentan sucht Ihre Partei eine
neue Führung, das könnte sich bis zum No-
vember ziehen. Kann sich die SPD so lan-
ge ein Führungsvakuum leisten?
Mützenich: Es gibt doch gar kein Vakuum.
Wir treffen wichtige Entscheidungen in
der Regierung, nehmen Sie die Mietpreis-
bremse oder die Soli-Abschaffung. Und in
der SPD machen wir eben etwas Neues:
Unsere Mitglieder bestimmen über unsere
neue Führung. Das ist doch spannend.
SPIEGEL: Mittlerweile ist auch ein Promi
auf den Platz getreten, um für den Vorsitz
zu kandidieren: Vizekanzler Olaf Scholz.
Was bitte würde sich denn mit Scholz in
der SPD ändern? Braucht Ihre Partei nicht
mal einen echten Neustart?
Mützenich: Ich finde, man sollte Neuan-
fang nicht mit Alter gleichsetzen. Ich freue
mich über Scholz’ Bereitschaft zu kandidie-
ren. Er hat Hamburg erfolgreich regiert, ist
Finanzminister, seit Jahren Vizeparteichef.
Er bereichert ganz sicher den Prozess.
SPIEGEL: Und er steht wie niemand sonst
für die Große Koalition. Viele in Ihrer Partei
hadern mit dem Bündnis. Hat die Koalition
noch ausreichend Gemeinsamkeiten, um
weiterzuarbeiten?
Mützenich: Natürlich sind wir nicht die
populärste aller Koalitionen. Aber wir sind
viel besser als unser Ruf. Schauen Sie sich
an, was wir umgesetzt haben, in der Ren-
ten-, Mieten-, Familien- und Verbraucher-
schutzpolitik. Ob in der Digitalisierung
oder beim Klimaschutz: Es gibt heutzutage
wieder große Ansprüche und Erwartungen
an den Staat. Wir als SPD sagen: Der Markt
allein kann es nicht richten. Deshalb glaube
ich, dass es auch künftig die Sozialdemo-
kratie braucht, um gerecht zu regieren.
SPIEGEL: Laut einer Umfrage meinen fast
zwei Drittel der Menschen, die Union do-
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Deutschland
»Das ist irritierend«
BundesregierungSPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, 60, will
weiterregieren – und geht auf Konfrontation zur
neuen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU).
HERMANN BREDEHORST / DER SPIEGEL
Sozialdemokrat Mützenich: »Da bin ich vom alten Schlag«