Kindern beim Spielen auf einer Hänge -
matte zu. Fabienne, vier Jahre alt, tollt um
ihre Schwester herum, während sie gleich-
zeitig behutsam mit den Kabeln und
Schläuchen und mit der Kanüle in Finjas
Hals umgeht.
Der erste Pflegedienst, den sie Ende
2017 beauftragt hätten, habe nach vier
Monaten wegen Personalmangel gekün-
digt, sagt die Mutter. Der zweite Dienst
habe Pflegehelfer statt examinierter Kran-
kenpfleger geschickt. Ähnlich sei es bei
Pflegedienst Nummer drei und vier gewe-
sen. Daniel Lipp, der an diesem Tag neben
der Hängematte sitzt und Finjas Geräte
im Auge behält, kommt vom fünften Pfle-
gedienst, den Christiane Büttner schließ-
lich gewinnen konnte.
»Eigentlich brauchte man für Finja vier
bis fünf Vollzeitkräfte, die die Pflege über-
nehmen«, sagt Krankenpfleger Lipp. »Mo-
mentan sind wir zwei Personen im Stamm-
team, wir haben einfach nicht genug
Personal.«
Der 32-Jährige ist nur aushilfsweise bei
den Büttners. Um die Versorgungslücken
zu schließen, schickt der Pflegedienst, bei
dem er angestellt ist, Helfer aus Nürnberg,
Bayreuth oder Leipzig in die Rhön. Trotz-
dem können nicht alle Schichten abge-
deckt werden, in diesem August ist Chris-
tiane Büttner elf Schichten, jeweils elf
Stunden lang, mit Finja allein.
Auf jede Unterstützung angewiesen,
zog Christiane Büttner Ende 2017 in ihren
Heimatort Frankenheim, wo ihre Mutter
und ihre Schwägerin leben. Von ihrem
Mann ist sie inzwischen getrennt. Die Um-
stände hätten auch die Beziehung schwer
belastet, sagt Büttner. Er wohne zwar noch
in der Nähe, die Kinder übernehme er
aber nur an zwei Abenden die Woche für
anderthalb Stunden sowie jedes zweite
Wochenende an einem Nachmittag.
Wenn der Nachtdienst spontan absagt
und Christiane Büttner mit Finja allein
ist, wird sie keinen Schlaf bekommen.
Mit dem Babyfon setzt sie sich dann ins
Wohnzimmer aufs Sofa, neben Finjas
Zimmer, und hält Wache. »Ich stelle mir
alle paar Stunden einen Wecker, falls ich
doch mal einschlafe.« Früh um vier muss
sie Finja umlagern, damit sie sich nicht
wund liegt, und den Sensor am Fuß
wechseln.
Auch wenn morgens der Tagesdienst
kommt, findet Büttner keine Ruhe: Sie
muss Fabienne in die Kita bringen. Wenn
dann kein Tagesdienst da ist, muss Fa -
bienne zu Hause bleiben. »Ich habe immer
gesagt, ich möchte meinen Kindern glei-
chermaßen gerecht werden«, sagt Büttner.
»Aber es geht einfach nicht.« Finja in ei-
nem Heim unterzubringen kommt für sie
nicht infrage. »Ich würde Finja nicht weg-
geben, selbst wenn ich sie allein pflegen
müsste«, sagt die Mutter. Sie wolle ihrer
gelten, Finja wäre also wohl erst ab ihrem
- Geburtstag davon betroffen.
Vorerst wird es dabei bleiben, dass ihre
Mutter sich zusammen mit so vielen Kräf-
ten wie eben möglich um Finja kümmert.
Sie arbeitet 7,5 Stunden pro Woche in ei-
ner Physiotherapiepraxis, um Geld zu ver-
dienen, 450 Euro im Monat. Der Chef
kennt die Situation der Familie und ermög-
licht Büttner flexible Arbeitszeiten. »Ich
plane nur noch von Woche zu Woche«,
sagt sie. »Eben um den Dienstplan der
Pflegekräfte herum.«
Dieses Schicksal teilt sie mit anderen
Familien. Christine Wagner-Behrendt und
Markus Behrendt haben zwei gesunde
Kinder – und Jascha, der sich vor 13 Jah-
ren bei einem Fahrradunfall das Genick
brach. Heute ist Jascha 18, fast vollständig
gelähmt und muss rund um die Uhr beat-
met werden.
Die Eltern gründeten gemeinsam mit
anderen den gemeinnützigen Verein
IntensivLeben, ein Netzwerk ehrenamt -
licher Fachkräfte, die betroffene Familien
beraten und unterstützen. Voriges Jahr
wurde der Verein mit dem Bambi in der
Kategorie »Stille Helden« ausgezeichnet.
»Der Fachkräftemangel gefährdet das
Überleben von Kindern und Jugendlichen
in der häuslichen Intensivpflege«, sagt
Christine Wagner-Behrendt. Der Verein
steht gemeinsam mit anderen Pflegeein-
richtungen hinter einer Petition: »Wir for-
dern den Bundestag auf, eine verlässliche
und fachgerechte ambulante Intensivpfle-
ge für Kinder, Jugendliche und junge Er-
wachsene sicherzustellen«, heißt es darin.
Auch die Personalkosten für ambulante
Pflegekräfte sollten vollständig refinan-
ziert werden, es brauche eine eigene Rah-
menvereinbarung für junge Menschen, die
intensive Pflege benötigen. Denn: »Durch
den wachsenden Mangel an Pflegefach-
kräften ist das Überleben der anhaltend
schwer erkrankten jungen Menschen zu-
nehmend gefährdet.« Bis zum Ablauf des
Gesuchs am 1. Juli hatten sich knapp
13 000 Unterstützer gefunden.
Es kann einige Monate dauern, bis der
Petitionsausschuss über den Antrag disku-
tiert. Dann könnte er entscheiden, dass
das Anliegen begründet ist und die Bun-
desregierung zum Handeln aufgefordert
werden soll.
Bis auf Weiteres müssen Familien wie
die Büttners um Pflegekräfte ringen. Chris-
tiane Büttner druckte im März Flyer, häng-
te sie in Tankstellen und Supermärkten
der umliegenden Dörfer auf und legte sie
in Arztpraxen aus. Darauf steht in roten
Buchstaben »!!! Wir suchen dringend
Pflegekräfte!!!«, drei Bilder von Finja sind
daneben zu sehen.
Gefunden hat sich bis heute niemand.
Carolina Torres
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NORA KLEIN / DER SPIEGEL
Mutter Büttner
»Ich plane von Woche zu Woche«
Offene Stellen in der Krankenpflege
Versorgungslücke
Pflegebedürftige in Deutschland 2017, in Millionen
Quellen: Statistisches Bundesamt, Bundesagentur für Arbeit
2014 2016 2018
0,8
in stationärer Pflege
2,6
in häuslicher Pflege
gesamt:
3,4
davon 0,8
durch Pflege-
dienste
davon
1,8 durch
Angehörige
13 600
15 700
9800
Tochter etwas bieten: Alltag, Ausflüge, ein
soziales Leben. Das käme, fürchtet sie, in
einem Heim zu kurz.
In den vergangenen Tagen sorgte ein
Gesetzentwurf aus dem Gesundheitsmi-
nisterium von Jens Spahn (CDU) für viel
Aufregung: Patienten, die rund um die Uhr
Intensivpflege benötigen, sollen nur noch
in Ausnahmefällen zu Hause betreut wer-
den. Die Qualität soll steigen, Missbrauch
verhindert werden, das steckt hinter dem
Entwurf. Für Kinder und Jugendliche al-
lerdings würde die neue Regelung nicht