Deutschland
S
chapen im südlichen Emsland ist
eine beschauliche Gemeinde, in der
es sich gut leben lässt. Das findet
jedenfalls Heinz Exler. Vor einigen Jahren
hat er am Ortsrand ein Haus gebaut. Ihm
gefällt es hier – wenn denn der Wind nicht
aus Nordosten weht. »Dann stinkt es er-
bärmlich, das ist nicht auszuhalten«, sagt
der Viehhändler. »Ich kann den Gestank
gar nicht beschreiben. Irgendwie süßlich,
auf jeden Fall ekelhaft.«
Was Exler und seine Nachbarn stört,
weht aus einem kleinen Waldstück herü-
ber. Einen halben Kilometer entfernt liegt,
hinter Bäumen und Brombeerhecken ver-
steckt, ein ehemaliges Depot der Bundes-
wehr. Das Unternehmen Biosolid verar-
beitet hier Klärschlamm: die Reste aus
Kläranlagen von nah und fern.
Über Jahre hat nie-
mand die Geschäfte bean-
standet. Der Klärschlamm
muss in den Hallen ge -
lagert, heraussickerndes
Was ser aufgefangen wer-
den. Aufnahmen einer
Drohne zeigen, dass Hun-
derte Tonnen Fäkalien -
reste das Gelände bedeck-
ten.
Nach Beschwerden
schritt das Gewerbeauf-
sichtsamt Osnabrück ein
und legte die Anlage
wegen der »ungenehmig-
ten Lagerung« von Klär-
schlamm vorübergehend
still. Biosolid räumt auf An-
frage Fehler ein und ver-
weist auf einen »Entsor-
gungsnotstand«: In »sehr
kurzer Zeit« sei sehr
viel Schlamm eingegangen,
deshalb sei er aus »logis -
tischen Gründen« im Frei-
en abgekippt worden.
Der Vorfall aus Scha-
pen deutet auf ein verbrei-
tetes Problem hin. Wohin
mit dem Klärschlamm?
Diese Frage treibt überall
im Land Bürgermeister
und Klärwerkchefs um –
und eine Antwort ist
schwer zu finden. Kommunen müssen heu-
te teilweise doppelt so viel für die Entsor-
gung zahlen wie vor vier Jahren. Die Ab-
wassergebühren sind vielerorts gestiegen.
Rund sieben Millionen Tonnen entwäs-
serter Schlamm fallen pro Jahr an, wenn
die mehr als 9000 Kläranlagen das Abwas-
ser reinigen. Doch die Hinterlassenschaft
der Bürger wird zunehmend zum Problem.
Die Entsorgung sei nicht mehr gesichert,
warnte der Gemeindetag in Bayern ebenso
wie die baden-württembergische Landes-
regierung und das Norddeutsche Netz-
werk Klärschlamm, in dem sich 170 Anla-
genbetreiber zusammengetan haben
Jahrzehntelang gab es eine einfache Lö-
sung für einen Großteil des Klärschlamms:
ab auf die Felder. Das war günstig und
nutzte den Bauern, denn die menschliche
Notdurft ist reich an Nährstoffen.
Inzwischen ist der natürliche Dünger in
Verruf geraten. Er enthält auch Mikroplas-
tik, Hormone, Arzneimittelrückstände
und womöglich gar Krankheitserreger, die
resistent gegen Antibioti-
ka sind. Zugleich gibt es
in vielen ländlichen Regio-
nen reichlich Gülle und
Gärreste aus Biogasan -
lagen. Damit düngen die
Bauern vorrangig ihre
Äcker.
Zudem wurden die Regeln verschärft.
Eine neue Verordnung begrenzt seit zwei
Jahren den Stickstoffgehalt im Acker -
boden und verlängert die Zeiträume, in
denen kein Dünger ausgebracht werden
darf. Im kommenden Jahr könnten die
Vorgaben noch strenger werden.
Welche Folgen das hat, kann Uwe Ger-
des beschreiben. Er ist Betriebsleiter im
Klärwerk von Verden an der Aller. »Wir
haben eine Ausschreibung für die Entsor-
gung gemacht und kein Angebot bekom-
men«, sagt Gerdes. Also habe der Schlamm
zwischengelagert werden müssen. Inzwi-
schen habe sich zwar eine Lösung aufge-
tan. Die aber ist, wie Gerdes es ausdrückt,
»nicht gerade regional«.
Verden lässt seinen Schlamm wie viele
andere Gemeinden nun ins Ausland schaf-
fen. Kolonnen von Muldenkippern rollen
mit deutschen Fäkalresten nach Däne-
mark, Polen und in die Niederlande. Dort
landet der Schlamm, nachdem er getrock-
net worden ist, als Brennstoff in Kohle-
kraftwerken oder Müllver-
brennungsanlagen.
Auch deutsche Verbren-
nungsanlagen verheizen
Klärschlamm. Der Kon-
zern RWE beispielsweise
hat im vergangenen Jahr
850 000 Tonnen verfeu-
ert. Das bedeutet einen
Anstieg von mehr als
13 Prozent innerhalb von
zwei Jahren.
Den Schlamm zusam-
men mit Kohle oder Müll
zu verbrennen hat aller-
dings einen großen Nach-
teil: Die Nährstoffe gehen
verloren. Um diese Ver-
schwendung zu unterbin-
den, beschloss der Bun-
destag, dass die Betreiber
größerer Kläranlagen künftig das im
Schlamm enthaltene Phosphor zurück-
gewinnen müssen.
Ökologisch ist das sinnvoll, denn
Pflanzen brauchen Phosphate für ihr
Wachstum. Bislang ist Deutschland voll-
ständig von Importen abhängig. Exper-
ten gehen davon aus, dass sich durch Re-
cycling drei Fünftel des deutschen Phos-
phorbedarfs decken lassen könnten.
Doch die Rückgewinnung ist kompli-
ziert und teuer.
Das begehrte Element ließe sich di-
rekt aus dem Abwasser oder Schlamm
in den Kläranlagen gewinnen, dazu wä-
ren allerdings erhebliche Investitionen
in die Anlagen notwendig. Für viele
Kommunen ist die zweite Methode ein-
facher: Der Schlamm wird zunächst ver-
brannt, der Phosphor später aus der
Asche gewonnen. Dafür aber sollte
die Schlammasche nicht mit anderen
46 DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019
Cola aus
Abwasser
UmweltViele Kommunen
wissen nicht mehr, was sie mit
den Resten aus den
Kläranlagen machen sollen.
LARS BERG / IMAGO STOCK
Hamburger Kläranlage: Reich an Nährstoffen
Quelle: Statistisches Bundesamt;
an 100 fehlende Prozent: sonstige
Feld oder Flamme
Entsorgung von Klärschlamm
in Deutschland
Verbrennung
2007
49 %
2017
69 %
Landwirtschaft
2007
29 %
2017