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igentlich hatte ich nicht vor, den Planeten Erde zu zer-
stören, als ich vor fünf Wochen im Flugzeug nach Co-
lorado aufbrach, um für zwei Monate bei der »Denver
Post« zu arbeiten. Jetzt führe ich, wie alle Menschen um
mich herum, ein Leben als Klimakillerin.
Das Haus brennt, sagt Greta Thunberg. Sie meint damit
die Welt, die bald untergeht. Ausgelöst durch den Klimawan-
del. Verursacht von Menschen wie mir. Aus Sicht der »Fridays
for Future«-Aktivisten bin ich das Mädchen mit den Streich-
hölzern.
Hier in Denver fahre ich jeden Tag mit dem SUV
zur Arbeit, trinke Bier aus Blechdosen und Kaffee
mit Plastikstrohhalmen aus Styroporbechern und schließe
jeden Einkauf mit mindestens fünf Plastiktüten ab.
Neulich war ich in einem Res-
taurant zum Mittagessen, das
Spaghetti und Meatballs auf
Porzellantellern servierte.
Messer und Gabel waren
aus Metall. Was der Beweis
dafür ist, dass das Restaurant
seine besten Zeiten hinter
sich hat. Es schließt nächsten
Monat.
Im Amerika des 21. Jahr-
hunderts sind Caterer unpro-
fitabel, die die Hälfte der
Küchenfläche mit einer Ge-
schirrspülmaschine vollstel-
len. Die meisten Mittags -
imbisse richten ihre Bowls,
Burritos oder Bagels auf Plas-
tikgeschirr mit Plastikbesteck
an. Selbst wenn man die
Gerichte im Laden isst. Statt
in ein Glas zapfe ich mir die
Cola stumpf in den Papp -
becher. Am Ausgang stehen
riesige Müll eimer.
Für jemanden wie mich, der eine glückliche Kindheit mit
Nutella-Verbot, Biomilch und selbst gebackenen Müsliriegeln
im grünen Tübingen verbringen durfte, ist das hart. In Boris-
Palmer-City gehören Liegefahrräder zum Stadtbild. Und Flug-
scham gab es dort schon zu Zeiten, als Deutschland noch
kein Wort dafür gekannt hat.
Und so habe ich mich anfangs noch gegen den allgegen-
wärtigen Umweltfrevel in den USA gewehrt. Und versucht,
wenigstens eine der Plastiktüten, in denen das Einpack -
personal des Supermarktes meinen Wochenendeinkauf
verstaut hatte, im Badmülleimer wiederzuverwenden. Den
Styroporbecher aus der Kaffeeküche nahm ich in der Hand-
tasche mit nach Hause, um ihn abgespült am nächsten
Tag im Kaffee becherhalter meines Autos zurück in die Re-
daktion zu fahren. Das in der Nähe gebraute Bier der Marke
»Family Vacation« im Kühlregal habe ich verschmäht, weil
es nur in Dosen zu kaufen ist.
Mittlerweile schwindet mein Glauben daran, das Über -
leben der Menschheit mit meinem importierten Jutebeutel
sichern zu können. Geradezu lächerlich kommen mir die
deutschen Maßnahmenbündel zum Klimaschutz vor, wenn
ich sie von der anderen Seite des Atlantiks aus betrachte.
Annegret Kramp-Karrenbauer fordert eine Abwrackprämie
für Ölheizungen, Markus Söder ein deutschlandweites Plas-
tiktütenverbot, und die EU sagt Wattestäbchen den Kampf
an. Schön und gut. Das sind aber noch nicht mal Tropfen
auf den heißen Stein, in den sich unsere Erde zwangsläufig
verwandeln wird.
Selbst wenn die Grünen Deutschland demnächst
zur Ökodiktatur umbauen, was sie vehement bestreiten,
wäre der Welt nicht geholfen. Jedenfalls nicht,
solange die Menschen in Ländern wie den USA einen un-
gleich größeren ökologischen Fußabdruck haben als wir
Deutschen.
Klar gibt es viele Amerikaner, die anders denken als
Donald Trump. Menschen, in deren Gehirn neben dem
Ego noch Platz für ein Ökogewissen ist. Aber auch
die müssen an der Frischetheke im Whole-Foods-Super-
markt zu überdimensionalen Kunststoffboxen greifen,
um ihre fünf Biosalatblätter darin bruchsicher nach Hause
zu fahren. Natürlich mit dem Auto. Fahrradständer
habe ich hier noch vor keinem Supermarkt gesehen.
Für jeden Bundesstaat in
Amerika, der wie Kalifornien
ein Einwegplastik tütenverbot
einführt, macht es ein an -
derer Bundesstaat gesetzlich
unmöglich, die Nutzung von
Plastikbeuteln zu untersagen.
Letztens haben Arizona,
Florida und Mississippi
präventive Regulierungsver-
bote eingeführt. Umwelt-
schutz kommt in diesem
Land in Zeitlupe voran. Wäh-
rend die Polkappen im Zeit-
raffer schmelzen.
Ich könnte mich jetzt,
angesichts der Endlichkeit
menschlicher Zivilisation,
in Greta Thunbergs glühends-
te Verehrerin verwandeln
und zu Fuß nach New York
pilgern, wo sie in den nächs-
ten Tagen mit einem Segel-
boot anlandet. Ich habe einen
anderen Weg gewählt.
Seit fünf Wochen lebe ich in den USA und sehe, wie es
mich verändert hat. Ich sage mir, dass der Klimawandel ja
wohl nicht mehr aufzuhalten ist. Ich sage mir, dass
es 99 Prozent aller Arten, die je existiert haben, nicht
mehr gibt und dass es der Menschheit eben auch so ergehen
wird.
Ich habe mich dem Fatalismus verschrieben und stelle fest,
dass man dabei Spaß haben kann, denn unglaublich viele
Amerikaner machen es mir ja vor.
Vor Kurzem fuhr ich in einem Chevrolet Equinox von
Santa Fe nach Denver. Ich saß allein in einem Auto, das sich
halb so groß anfühlte wie mein Münchner Reihenmittelhaus
und Sprit schluckte, so kam es mir jedenfalls vor, wie ein
deutscher »Leopard 2«-Panzer. Draußen die Prärie New Me-
xicos, drinnen die Klimaanlage auf Maximum. Im Geträn-
kehalter ein mit Eiswürfeln runtergekühlter Caramel
macchiato. Dar gereicht im Plastikbecher mit Plastikstroh-
halm. Im Ra dio liefen The Cure: »Friday I’m in love«. Ich
sang laut mit. Anna Clauß
Heruntergekühlt
HomestoryDosenbier, SUV, Plastikgeschirr: wie
Amerika mich zur Klimakillerin macht
THILO ROTHACKER FÜR DEN SPIEGEL