Pekinger Führung bekomme fast lücken-
losen Einblick in die Unternehmen. Sie
wisse, wer Verträge gebrochen habe, ge-
gen welche Manager Verfahren liefen und
wer technologisch kooperiere. Folgsam-
keit wird belohnt: »Je besser das Social-
Credit- Ranking, desto unbeschränkter der
Marktzugang.«
China ist eine Diktatur, zweifellos, doch
eine, mit der sich westliche Firmen seit
Jahren im Gestus des ewigen Kniefalls
arrangieren: Microsoft tilgte Begriffe wie
»Demokratie« und »Menschenrechte« aus
seinem Internetportal, die chinesische
Staatssicherheit konnte auf die Hilfe des US-
Netzwerkausrüsters Cisco zurückgreifen.
Deutsche Firmen üben sich inzwischen
ebenfalls in der Kunst des formvollendeten
Kotaus – auch wenn er allem widerspricht,
wofür sie angeblich stehen wollen. Gerade
erst haben einige westliche Vorzeigekon-
zerne, darunter Daimler, Bosch und Deut-
sche Bank, eine sogenannte Werteallianz
gegründet, mit der ihre Beiträge für Um-
welt oder Gesellschaft besser erfasst wer-
den sollen. Doch wenn es um das Verhält-
nis zum wirtschaftlich übermächtigen Chi-
na geht, sind manchen Unternehmen die
finanziellen Werte in der Bilanz offenbar
wichtiger als die Werte der Demokratie.
Beispiel Adidas: In seinen offiziellen
»Grundsätzen« behauptet der Konzern,
keine Geschäfte mit Partnern einzugehen,
die Menschenrechte verletzen. Nur: Der
Konzern macht rund ein Fünftel seines Ge-
schäfts in China. Viele Adidas-Schuhe wer-
den noch immer in der Volksrepublik zu-
sammengenäht, und so hat Konzernchef
Kasper Rorsted selbst für das umstrittene
Social-Credit-System noch freundliche
Worte übrig. Social Scoring sei »in China
erlaubt«, teilte Rorsted kürzlich der »Welt
am Sonntag« mit. »Wir sind eine globale
Firma, mit welcher Begründung sollen wir
die Meinung durchsetzen, dass das deut-
sche Recht besser ist?«
Zu Hongkong mochte sich sein Kon-
zern in den vergangenen Wochen genauso
wenig äußern wie die anderen Schwer -
gewichte der deutschen Wirtschaft. Auch
Siemens-Chef Joe Kaeser, der als Vorsit-
zender des Asien-Pazifik-Ausschusses von
Amts wegen zuständig und sonst um kei-
nen Tweet verlegen ist, wollte zunächst
nichts sagen. Erst vergangene Woche ließ
er auf SPIEGEL-Anfrage mitteilen, dass
die »Wirtschaft tief besorgt auf die Ent-
wicklung in der Sonderverwaltungszone«
blicke.
Wer mit China Streit anfängt, ist selbst
schuld. So sieht das die deutsche Wirt-
schaft. Vor allem, wenn es um die drei sen-
siblen »T« geht, bei denen Peking keinen
Spaß versteht: Taiwan, Tibet und Tianan-
men – die Inselrepublik, auf die China An-
spruch erhebt; die Himalaja-Region, die
es seit 1951 kontrolliert; und der Aufstand
von 1989, der in China tabu ist.
Dass in diesen Fällen die Pekinger
Sprachregelungen strikt zu befolgen sind,
haben die deutschen Unternehmen begrif-
fen. Seit 2018 etwa ist auf den Websites
der Lufthansa nicht mehr von Verbindun-
gen nach »Taiwan« die Rede, sondern von
Flügen nach »Taiwan, China«, so halte es
auch das Auswärtige Amt.
Im selben Jahr entschuldigte sich Daim-
ler mit devoter Geste dafür, dass es mit ei-
nem Zitat des Dalai-Lama, des geistlichen
Oberhaupts der Tibeter, »die Gefühle des
chinesischen Volkes zutiefst verletzt«
habe. Im April schließlich distanzierte sich
der Kamerahersteller Leica von einem
Werbefilm, in dem das Bild eines einsa-
men Demonstranten kurz vor dem Mas-
saker auf dem Platz des Himmlischen Frie-
dens zu sehen war.
Mit einem Volumen von mehr als
200 Milliarden Euro ist China Deutsch-
lands größter Handelspartner. Dellen im
zuletzt schwächelnden Chinageschäft
schlagen sofort auf die Bilanzen deutscher
Konzerne durch, insbesondere in der
Autoindustrie, für die der Chinahandel
von zentraler Bedeutung ist. Audi und
Mercedes verkauften zuletzt ungefähr je-
des dritte Fahrzeug in der Volksrepublik.
Konflikte mit dem Regime wollen die
Autobosse daher tunlichst vermeiden, zu-
mal ein Konzern wie Daimler mittlerweile
unter dem Einfluss mächtiger chinesischer
Investoren steht. Mit knapp zehn Prozent
ist der Unternehmer Li Shufu größter Ein-
zelaktionär. Ende Juli stieg zudem der
staatlich kontrollierte Autobauer BAIC
bei den Stuttgartern ein. Zur Lage in
Hongkong heißt es bei Daimler zurück-
haltend: »Wir beobachten die Entwick -
lungen genau und hoffen auf eine baldige
Deeskalation.«
Ökonomische Nähe macht demütig, wie
auch Rivale Volkswagen weiß. Der größte
Autohersteller der Welt unterhält in Xinji-
ang im Nordwesten Chinas ein Werk, wo
sich Umerziehungslager der Regierung für
muslimische Uiguren befinden. Als ein
Reporter der BBC VW-Chef Herbert Diess
kürzlich darauf ansprach, behauptete der
Konzernchef, von den Lagern nichts zu
wissen. Es klang wie: Uiguren? Nie gehört.
Stattdessen sei er stolz darauf, in der Re -
gion Arbeitsplätze zu schaffen.
Die europäischen Regierungen haben
ebenfalls kein Interesse an einem neuen
großen Krach mit Peking. Das gilt auch
für die Kanzlerin. Wenn Angela Merkel
Anfang September mit großer Wirtschafts-
delegation nach Peking fliegt, werde eher
von strategischer Partnerschaft die Rede
sein, heißt es in der Bundesregierung. Bei
der künftigen Ordnung des Welthandels
stehen die Deutschen mitunter China
näher als den USA; zudem setzt Merkel
auf ein umfassendes Investitionsabkom-
men, das die EU bis zum kommenden
Jahr mit China aushandeln will. Positiv
wird in Berlin vermerkt, dass sich Peking
mit Gewalt in Hongkong bislang zurück-
gehalten habe.
Bisher habe der Konflikt in der Stadt
keine großen Auswirkungen gehabt, heißt
es auch bei VW. Der Verkaufsraum des
Konzerns habe lediglich für ein paar Stun-
den schließen müssen.
Tim Bartz, Dinah Deckstein,
Kristina Gnirke, Simon Hage, Nils Klawitter,
Michael Sauga, Bernhard Zand
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KAI PFAFFENBACH / REUTERS
Demonstranten in Hongkong:»Unter den Bürgern macht sich Pessimismus breit«