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lles klang nach einem historischen
Moment. Zum ersten Mal machten
Europas Finanzminister Ernst da-
mit, Steueroasen öffentlich zu brandmar-
ken. Sie präsentierten eine schwarze Liste
mit den Staaten, die Unter-
nehmen mit Steuerspar -
modellen anlocken. Die ge-
nannten Länder täten nicht
genug, »um Steuerflucht
zu bekämpfen«, kritisierte
Frankreichs Finanzminister
Bruno Le Maire. Sein Lands-
mann, EU-Währungskom-
missar Pierre Moscovici, for-
derte markig Sanktionen.
Zuvor hatten die Skandale
um »Lux-Leaks« und die
»Panama Papers« offen -
gelegt, wie dreist manche
Staaten Steuerdumping
zulasten ihrer Nachbarn
betrieben. Nun erklärte
die EU, diese Länder zum
Austausch von Steuer -
daten und mehr Trans -
parenz zu zwingen.
Anderthalb Jahre ist
das her. Doch von der
einstigen Dynamik ist
nichts mehr zu spüren.
Was nicht nur daran liegt,
dass die schwarze Liste
von Anfang an einige
Konstruktionsfehler hat-
te. EU-Mitgliedsländer
beispielsweise tauchen
auf der Liste nicht auf,
obwohl unter anderem
Luxemburg, Malta oder
die Niederlande durchaus dafür kritisiert
werden, Unternehmen mit Niedrigsteuern
anzulocken.
Neuerdings scheint die EU auch dort
Beißhemmungen zu haben, wo das Steuer -
dumping nicht mehr zu übersehen ist. Pro-
minentester Fall sind die USA.
Aus internen Unterlagen der zuständi-
gen EU-Ratsarbeitsgruppe geht hervor,
dass die USA zuletzt eine bis Ende Juni
geltende Frist verstreichen ließen, um eine
Aufnahme auf die Liste zu vermeiden. Die
internen Dokumente (»EU restricted«) lie-
gen dem SPIEGELvor.
Konkret hätten die USA dazu mehrere
Möglichkeiten gehabt: Entweder hätten
sie dem Abkommen der Industrieländer-
organisation OECD zum automatischen
Informationsaustausch beitreten können.
Oder sie hätten das letzte noch ausstehen-
de bilaterale Abkommen mit einem EU-
Staat, in diesem Fall Kroatien, verabschie-
den müssen. Beides ist bislang nicht ge-
schehen.
Der US-Unterhändler teilte seinen EU-
Kollegen in einer Telefonkonferenz am
- Juli stattdessen mit, dass es »politische
Vorbehalte« im Kongress gebe – vor allem
beim automatischen Informationsaus-
tausch über Finanzkonten nach OECD-
Standards. Tatsächlich verschafft es den
USA einen Wettbewerbsvorteil, wenn sie
sich nicht den strengen
Transparenzregeln der
OECD unterwerfen. Denn
die machen es deutlich
schwerer, Geld vor dem heimischen Fiskus
im Ausland zu verstecken.
Die EU-Unterhändler wollen nun we-
nigstens erreichen, dass sich die US-Seite
um eine Lösung bemüht. Mehr scheint
nicht drin zu sein. Die nächste Überarbei-
tung der Liste stehe Anfang 2020 an, heißt
es im Rat, der Vertretung der EU-Mitglied-
staaten, knapp, »bis dahin ändert sich
nichts«. Und danach? Völlig offen.
Dabei ist schon lange bekannt, dass sich
die USA zwar international liebend gern
am Kreuzzug gegen Steueroasen betei -
ligen und in der Vergangenheit beispiels-
weise erheblichen Druck auf Schweizer
Banken ausgeübt haben. Dem Steuerwett-
bewerb zwischen den Bundesstaaten im
eigenen Land aber lassen sie freien Lauf.
US-Bundesstaaten wie Delaware wurden
so zur »Lieblingsoase der Dax-Konzerne –
mit großzügigem Schutz für Briefkasten-
firmen« (»Manager Magazin«).
Ein Grund für die Zurückhaltung der
Europäer dürfte sein, dass sich die wirt-
schaftspolitischen Streitfälle mit der Regie-
rung Donald Trumps derzeit häufen. Zum
einen droht der US-Präsident unverdros-
sen mit Strafzöllen auf Autoimporte aus
der EU. Besonders erzürnt ist Trump zu-
dem über die Franzosen, die zuletzt im
Alleingang eine Digitalsteuer für große
Internetkonzerne eingeführt haben. Ein
Vorgehen, das Trump als
feindlichen Akt gegen US-
Konzerne wie Amazon und
Google wertet.
Würden die USA nun ne-
ben Belize und den Vereinig-
ten Arabischen Emiraten als
Steueroase gelistet, käme
dies für Trump einer Kampf-
ansage gleich. Schon jetzt
fürchten EU-Diplomaten,
dass der US-Präsident sei-
nem Unmut beim G-7-Tref-
fen am Wochenende im fran-
zösischen Badeort Biarritz
erneut Luft machen könnte.
Geht es nach führenden
Parlamentariern, sollte die
EU darauf jedoch keine
Rücksicht nehmen, immer-
hin gehen EU-Ländern nach
vorsichtigen Schätzungen
durch Steuerflucht zwischen
60 und 200 Milliarden Euro
im Jahr verloren. »Klare
Kante ist die einzige Sprache,
die Donald Trump versteht«,
sagt der Bundestagsabgeord-
nete der Linken Fabio De
Masi. »Es kann nicht sein,
dass die EU-Liste ausgerech-
net die größte Steueroase der Welt – die
USA – ausnimmt.«
Unterstützung erhält er vom CSU-Euro -
paparlamentarier Markus Ferber, der die
Steuertricks der US-Bundesstaaten mit
Kollegen des Sonderausschusses zu »Lux-
Leaks« vor etwa drei Jahren vor Ort unter -
suchte. »Viele US-Bundesstaaten wie Dela -
ware sind Steueroasen«, sagt er. Das sehen
auch die Grünen im Europaparlament so.
»Wenn die schwarze Liste halten soll, was
sie verspricht«, sagt Finanzexperte Sven
Giegold, »dann müssen die USA zwingend
genannt werden.« Peter Müller
Mail: [email protected]
DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019 63
Wirtschaft
JONATHAN ERNST / REUTERS
Liste mit
Loch
EUDie USA erfüllen alle
Bedingungen, um als Steueroase
angeprangert zu werden. Doch
Brüssel zaudert – aus Angst
vor Ärger mit Donald Trump.
Störrische Steueroasen
Von der EU als »nicht kooperativ«
gelistet
Fidschi
Vanuatu
Guam
Vereinigte Arabische Emirate
Oman
Trinidad und Tobago
Amerikanische Jungferninseln
Belize
Samoa
Amerikanisch-Samoa
Marshallinseln