Petra Thomas, Geschäftsführe-
rin des Forums anders reisen, ei-
nes Verbandes für nachhaltigen
Tourismus, sieht die Schuld nicht
allein bei den Kunden. Urlaubern
werde es nicht leicht genug ge-
macht, auf Nachhaltigkeit zu ach-
ten. »Bei den großen Suchmaschi-
nen kann man nicht einmal nach
dem Aspekt Nachhaltigkeit su-
chen«, sagt Thomas. Sie hat übri-
gens eine simple Faustregel für die
Suche nach nachhaltigen Unter-
künften: »Steht auf der Website
eines Hotels nichts von speziellen
Umweltmaßnahmen, gibt es auch
keine.« Wer etwas unternehme,
der verschweige das nicht.
Thomas spricht lieber von nach-
haltigem als von umweltfreundli-
chem Reisen. »Es geht dabei um
die Umwelt, aber auch um die
Menschen vor Ort.« Ihr Verband
hat Standards definiert, die eine
Reise nachhaltiger werden lassen:
‣ Reisende sollten lieber weniger,
dafür längere Urlaube planen,
um die Umweltbelastung durch
ihre An- und Abreise zu mini-
mieren.
‣ Überlandanreisen sind dem
Flugzeug vorzuziehen.
‣ Touristen sollten Klimakompen-
sationen für die Anreise und
auch den Hotelaufenthalt bezah-
len.
‣ Statt sich in internationalen
Ketten hotels einzubuchen, soll-
ten lokale, inhabergeführte und
umweltverträgliche Hotels be-
vorzugt werden. So bleibt die
Wertschöpfung eher vor Ort.
‣ Vor Ort sollten regionale Pro-
dukte sowie lokale Transport-
mittel bevorzugt werden.
Eigentlich simple Ideen, doch
schon bei der Klimakompensation
ist das Engagement besonders ernüch-
ternd. Die CO
²
-Ausgleichsplattform At-
mosfair rechnet dieses Jahr gerade mal
mit 400 000 Kompensationen. Das ent-
spricht weniger als einem Promille aller
Passagiere.
Atmosfair-Gründer Dietrich Brock -
hagen wundert das nicht. Das System sei
falsch. Dem Kunden werde »suggeriert,
dass mit dem gerade gekauften Produkt
etwas nicht stimmt«. Die Kompensation
müsse von vornherein im Flugpreis drin
sein, fordert Brockhagen. »Im Hotel steht
doch auf dem Rezeptionstresen auch keine
Spendendose mit der Aufschrift: ›Wenn
Sie hier zwei Euro einwerfen, haben Sie
ein sauberes Klo.‹«
Fabian Höhne ist Wirtschaftsingenieur
und hat Flyla gegründet, ein Flugportal für
Studenten, die sich um die Umwelt sorgen.
Für jedes Ticket lässt seine Firma mindes-
tens einen Baum in Entwicklungsländern
pflanzen und gleicht zusätzlich den CO²-
Ausstoß finanziell aus. Auch er sagt: »Die
Verantwortung darf nicht direkt beim Kun-
den liegen, dann wird das nichts.«
Mehr als tausend Flugtickets werden im
Monat über Flyla gebucht – zum gleichen
Preis wie bei den Airlines. Den CO²-Aus-
gleich und die Neupflanzungen bezahlt
Flyla aus Provisionen, die Airlines auf Son-
derausgaben zahlen, etwa dann, wenn ein
Sitzplatz mit mehr Beinfreiheit gebucht wird.
Natürlich gibt es auch die Ziele für Men-
schen, die es ernst meinen mit nachhalti-
gem Tourismus und die nicht warten wol-
len, bis Politik und Wirtschaft die Sache
für sie regeln.
In Gelting, rund 160 Kilometer von
Hamburg entfernt in der Nähe der Ostsee
DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019 73
Video
Drei Tipps für
nachhaltiges Reisen
spiegel.de/sp352019tourismus
oder in der App DER SPIEGEL
gelegen, lässt sich diese Art des
Tourismus ausprobieren. Uta Jan-
beck und ihr Mann Stephan über-
nahmen im Jahr 2002 den damals
kaputten Dreiseithof; sie bauten
ihn nach und nach zu einem Hotel
um. Auf den ersten Blick wirkt
Janbecks Fairhaus wie ein nettes
Feriendomizil, nicht luxuriös,
aber es fehlt an nichts.
Schaut man aber in die Details,
ist fast alles anders als in einem
Standardhotel. Die Janbecks sind
Überzeugungstäter. »Ich spreche
oft mit Gästen, wie man was an-
ders machen kann. Manche haben
dann das Gefühl, einen Spiegel
vorgehalten zu bekommen, weil
sie in ihrem Verhalten vielleicht
nicht so konsequent und nachhal-
tig sind, wie sie tun«, sagt Uta Jan-
beck.
Es sind viele Kleinigkeiten, die
in Janbecks Fairhaus den Umgang
mit der Umwelt ver än dern. So
werden ausschließlich Mehrweg-
flaschen verwendet, die Rückseite
von beschriebenem Papier dient
als Notizblock. Reste von
Toiletten papierrollen werden in
den Personaltoiletten aufge-
braucht, Kaffeesatz zur Schnecken-
bekämpfung in Blumenkübeln ver-
wendet. Aus alten Hand tüchern
werden Badematten gemacht, aus-
rangierte Betttücher zu Brötchen-
beuteln umgenäht.
Im Garten steht eine Biokläran-
lage, zwei Blockheizkraftwerke er-
zeugen Wärme. 92 Prozent des
Strombedarfs produzieren die Jan-
becks selbst. Auf dem Parkplatz
gibt es eine Ladestation für Elek-
troautos.
Marmeladen oder Kuchen kom-
men aus eigener Herstellung, Kräu-
ter aus dem Garten, die Milch aus
einer lokalen Meierei, Wurst vom Schlach-
ter um die Ecke.
Das Frühstück mutet nüchtern an, doch
das täuscht. »Wir tafeln nicht alles auf, um
es dann wegzuwerfen«, sagt Janbeck. So
bekommen Gäste zunächst kleinere Men-
gen, können aber alles nachbestellen.
Der vielleicht einzige Nachteil für Ur-
lauber, die in Janbecks Fairhaus übernach-
ten: In Gelting, urteilt ein Reiseführer,
gebe es »keine herausragenden Sehens-
würdigkeiten«. Martin U. Müller
Mail: [email protected]
SASCHA MARTIN
Gründerinnen Herget, Altenrath, nachhaltiger Hotelslipper
Urlaub von der Verantwortung