Der Häftling sitzt in reines Weiß gehüllt in einem Käfig vor Gericht:
Ex-Diktator Omar al-Baschir wird vorgeführt. Unterdessen
tanzen die Menschen in Khartum, der Hauptstadt des Sudan, auf
den Straßen. Es waren gute Tage für das afrikanische Land. Die
Militärs haben einen Teil ihrer Macht an Zivilisten abgegeben.
Monatelange friedliche Proteste haben die Schreckensherrschaft
Baschirs beendet, 2022 soll frei gewählt werden – und die Demo-
kratie endgültig triumphieren.
Doch sicher ist das nicht. Die Revolution von Khartum ist noch
unvollendet. Die Demokraten haben noch immer einen »deep
state«, einen tiefen Staat, gegen sich, ein Geflecht aus Männern
des alten Systems, Geheimdiensten und Islamisten, das die Politik
dominiert und bis weit in die Wirtschaft reicht. Dieses Netzwerk
ist mächtig genug, die demokratischen Kräfte auszubremsen.
Zudem befinden sich im Souveränen Rat, der Übergangsregie-
rung, neben sechs Zivilisten auch fünf Vertreter des Militärs.
Eine weitere Belastung ist die katastrophale Wirtschaftslage.
Fast die Hälfte der Sudanesen lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Baschir und seine Schergen haben die Misere verursacht – aber
jetzt muss die Übergangsregierung die Probleme lösen. Sollte
sich die politische und ökonomische Situation nicht verbessern,
könnte das den Wahlsieg des demokratischen Lagers in drei
Jahren gefährden.
Dass mit Baschir der ehemalige Staatschef vor Gericht steht, ist
ein Anfang. Die Diktatur muss aufgearbeitet werden. Allerdings
wird dem Despoten wegen Korruption der Prozess gemacht, nicht
wegen Völkermord und Folter, Taten, derer er sich ebenfalls
schuldig gemacht haben soll. Der Internationale Strafgerichtshof
in Den Haag hat ihn über Jahre hinweg vergebens zur Fahndung
ausgeschrieben. Dass es in Khartum nun lediglich um Geld geht,
lenkt von Baschirs tödlichen Verbrechen ab – und von jenen
seiner Komplizen in Geheimdienst und Militär.Jan Puhl
Analyse
Unvollendete Revolution
Das Militär im Sudan hat einen Teil seiner Macht abgegeben. Die Demokraten sind trotzdem noch nicht am Ziel.
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Ausland
»Netanyahu denkt immer nur kurz vor der Wahl an euch! Danach hat er euch sofort vergessen.« ‣S. 86
DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019
Auf den Philippinen zeigen Trauernde die Bilder ihrer ermordeten Verwandten. Sie protestieren damit gegen die
Angriffe auf politische Aktivisten, für die sie Präsident Rodrigo Duterte mitverantwortlich machen. Seinem
Krieg gegen Drogenkriminalität fallen immer öfter auch Regierungskritiker zum Opfer. Allein in der Provinz
Negros wurden dieses Jahr 87 Zivilisten getötet, darunter drei Menschenrechtsanwälte.
JES AZNAR / GETTY IMAGES