Süddeutsche Zeitung - 02.09.2019

(John Hannent) #1
von kathrin zinkant

M


anche Prozedur entzieht sich der
Vorstellungskraft eines normalen
Menschen. Ein zwei Tonnen
schweres, dickhäutiges, mit Hörnern be-
wehrtes Wildtier in einem OP-Saal zu plat-
zieren, gehört vielleicht noch nicht einmal
dazu. Aber metertief im Innenleben dieses
Kolosses mit einem Ultraschallgerät nach
wenige Millimeter großen, fragilen Objek-
ten zu fahnden, sie mit einer armlangen
Kanüle durch die Darmwand hindurch auf-
zunehmen und unbeschadet aus dem mas-
sigen Tierkörper zu holen – kurzum, Eizel-
len für eine künstliche Befruchtung von
Nashörnern zu gewinnen ist schon ein
ziemlich irrwitziges Unterfangen.
Vor wenigen Tagen nun ist es Wildtier-
forschern und Veterinärmedizinern um
Thomas Hildebrandt zum ersten Mal ge-
lungen, diese Prozedur am Nördlichen
Breitmaulnashorn durchzuführen. Zehn
Eizellen von zwei Kühen konnte der Exper-
te vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo-
und Wildtierforschung mit seinem interna-
tionalen Team aus den Giganten isolieren,
inzwischen sind sieben davon in einem La-
bor in Italien sogar erfolgreich befruchtet
worden. Beide Nachrichten sind nicht nur
für die Forscher eine Sensation. Denn man
weiß zwar vom eng verwandten Südlichen
Breitmaulnashorn, dass die künstliche Be-
fruchtung samt Eizellenentnahme mög-
lich ist. Hildebrandt hat sie bereits mehr
als fünfzig Mal an Tieren dieser Unterart
durchgeführt. Bei der nördlichen Variante

der gewaltigen Tiere, die an Land zu den
größten Geschöpfen überhaupt zählen,
war jedoch stets unklar, ob der erste
Schritt einer assistierten Reproduktion je-
mals gelingen kann. Funktionell, wie Biolo-
gen sagen, ist das Nördliche Breitmaulnas-
horn nämlich ausgestorben.

Es gibt nur noch zwei weibliche Exem-
plare, Fatu und Najin, die im kenianischen
Ol-Pejeta-Reservat nördlich von Nairobi le-
ben. Der letzte Bulle namens Sudan, der
mit diesen Kühen zumindest theoretisch
hätten Nachwuchs zeugen können, starb
im März des vergangenen Jahres. Erschwe-
rend kam schon vorher dazu, dass Fatu
und Najin faktisch unfruchtbar sind. Sie
können zwar noch Eizellen produzieren,
aufgrund verschiedener Unterleibsproble-
me jedoch keine Kälbchen mehr austra-
gen. Dass in dieser Konstellation über-
haupt an eine künstliche Befruchtung zu
denken ist, liegt allein an den tiefgefrore-
nen Spermaproben dreier Bullen der Unter-
art – und daran, dass das Südliche Breit-
maulnashorn eng genug verwandt ist, um
als Leihmutter herzuhalten.
Trotzdem ist der Aufwand, den Hilde-
brandt und seine Kollegen aus Japan,
Tschechien, Australien, Italien und Kenia
seit Jahren für die reproduktionsmedizini-
sche Rettung der grauen Riesen betreiben,

enorm. Für die eigentümliche Anatomie
der grauen Riesen mussten eigene medizi-
nische Geräte entwickelt werden, außer-
dem fehlten Protokolle zur Hormonstimu-
lation der Kühe, für das qualitativ schlech-
te Sperma der drei Bullen mussten Techni-
ken entwickelt werden, die eine Befruch-
tung stimulieren. Erst im vergangenen
Jahr war es dem Team gelungen, mit dem
Sperma Eizellen der südlichen Unterart zu
befruchten und Embryonen zu gewinnen.
Und auch Logistik und Bürokratie sind
nicht zu unterschätzen, wenn man in Kenia
ein Nashorn operieren will. Vier Wochen
vor dem Eingriff an Najin und Fatu war Hil-
debrandt in Ol Pejeta, um den Stall umzu-
bauen. „Als wir jetzt zur Eizellenentnahme
anreisten, hatten wir 300 Kilogramm Ge-
päck dabei“, erzählt der Tierarzt. Zuvor ha-
be man fünf Genehmigungen eingeholt,
samt der Erlaubnis des Washingtoner Ar-
tenschutzabkommens Cites, die Eizellen
aus Kenia ausführen zu dürfen. Die erste
Genehmigung läuft am Jahresende schon
wieder aus, dann geht der Behördengang
von vorne los. Doch der Druck und die Ner-
vosität, die das Team bei der Premiere in
der vergangenen Woche empfunden hat,
sind Hildebrandt zufolge verflogen. Die Tie-
re hätten die Narkose „super“ überstanden
und seien gleich aufgestanden, um ein
Schlammbad zu nehmen. Er schätzt, dass
sie die Prozedur bei Fatu noch bis zu 15 Mal,
bei Najin acht Mal durchführen können.
Um eine Reserve zu schaffen.
Denn ob es mit dem Nachwuchs sofort
klappt, ist offen. Bislang durften keine

künstlich erzeugten Nashornembryonen
in eine anerkannte Zuchtkuh als Leihmut-
ter übertragen werden, für die Rettung des
Nördlichen Breitmaulnashorns ist das im-
merhin geplant. Und ob sich die jetzt geern-
teten und befruchteten Eizellen der nördli-
chen Unterart gut entwickeln, wissen die
Forscher erst diese Woche. Neun Tage dau-
ert es, bis sich ein implantierbarer Nas-
hornembryo entwickelt.

„Ich bin zuversichtlich, dass wir in ab-
sehbarer Zeit eine Schwangerschaft haben
werden“, sagt Hildebrandt. Gelöst wären
damit allerdings noch immer nicht alle Pro-
bleme. Zwei Kühe und drei Bullen können
schwerlich eine genetisch gesunde, weil
vielfältige Nashornfamilie hervorbringen.
Hildebrandt versucht gemeinsam mit Bio-
medizinern deshalb, Stammzellen aus ein-
gefrorenem Gewebe von anderen Exempla-
ren der Unterart zu gewinnen – und daraus
weitere Samen- und Eizellen zu entwi-
ckeln. Gelungen ist das anderen Forschern
bisher allerdings erst bei Mäusen.
Bleibt zunächst also nur der konventio-
nelle Weg. Sollte es mit der Schwanger-
schaft wirklich klappen, müssen die For-
scher dann erst einmal viel Geduld haben.
16 Monate dauert die Tragzeit. Hilde-
brandt aber kann warten. „Wird ja auch ein
Nashorn und kein Meerschweinchen.“

Eine Hormontherapie zur Linderung von
Wechseljahresbeschwerden erhöht das
Brustkrebsrisiko von Frauen – und zwar
auch noch Jahre nach Beendigung der The-
rapie. Dies berichtet ein internationales
Forscherteam nach der Auswertung von
insgesamt 58 Studien in der Fachzeit-
schriftThe Lancet. Die Wissenschaftler
zeigten, dass nahezu jede Form der Hor-
montherapie das Erkrankungsrisiko für
Brustkrebs langfristig erhöht.
Die Wechseljahre beginnen bei den
meisten Frauen etwa ab dem 45. Lebens-
jahr. Wenn die Eierstöcke nach und nach ih-
re Funktion einstellen, fällt der Östrogen-
spiegel im Körper ab, das Progesteron ver-
schwindet nahezu. Diese Umstellung kann
bei einigen Frauen mit Beschwerden wie
Hitzewallungen, Schlafstörungen und
Stimmungsschwankungen einhergehen.
Eine Hormontherapie mildert diese Be-
schwerden ab. In Europa und Nordameri-
ka nehmen etwa zwölf Millionen Frauen
Hormonpräparate ein, die Östrogen und
teilweise zusätzlich Gestagen enthalten. Ei-
ne Therapie kann mehrere Jahre dauern.


Das Forscherteam hatte Daten von
knapp 500 000 Frauen ausgewertet, bei de-
nen die Menopause eingesetzt hatte. Eini-
ge der Frauen hatten über verschiedene
Zeiträume hinweg eine Hormontherapie
gemacht, andere hatten nie Hormone ge-
nommen. Die Analyse zeigte, dass nahezu
jede Hormonbehandlungsform das Brust-
krebsrisiko erhöhte, allerdings in unter-
schiedlichem Ausmaß. Ohne Hormonthe-
rapie entwickelten demnach 63 von 1000
Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren Brust-
krebs. Bei einer fünfjährigen Behandlung
mit Östrogen und täglicher Gestagengabe
ergab sich ein zusätzlicher Brustkrebsfall
pro fünfzig Frauen. Wurde das Gestagen
nicht täglich genommen, sondern nur pha-
senweise, war das Risiko etwas geringer:
ein zusätzlicher Fall pro siebzig Frauen.
Wurde nur Östrogen genommen, gab es
auf zweihundert Frauen einen zusätzli-
chen Fall von Brustkrebs. Das erhöhte Risi-
ko bestand teils noch über ein Jahrzehnt
nach dem Absetzen der Medikamente.
Das Erkrankungsrisiko sei auch abhän-
gig von der Dauer der Medikamentenein-
nahme, berichten die Forscher. „Eine Be-
handlungsdauer von zehn Jahren mit Hor-
monen verdoppelt das erhöhte Brustkrebs-
risiko im Vergleich zu einer fünfjährigen
Behandlung“, sagt Gillian Reeves von der
University of Oxford, die an der Studie be-
teiligt war. „Aber es scheint wenig risiko-
reich zu sein, die Hormontherapie kürzer
als ein Jahr lang zu machen. Das gleiche
gilt für die lokale, vaginale Östrogenanwen-
dung in Form von Salben oder Zäpfchen.“
In einem Kommentar zur Studie, der
ebenfalls inThe Lancetveröffentlicht wur-
de, erklärt die Expertin Joanne Kotsopou-
los vom Women’s College Hospital in To-
ronto, wie das erhöhte Risiko begründet
sein könnte: „In Studien sehen wir, dass
der Anstieg des Brustkrebsrisikos, das mit
dem Alter einhergeht, nach der Menopau-
se etwas milder verläuft. Einfach gesagt,
könnte die Hormontherapie die Frauen in
einem vormenopausalen Stadium halten,
und damit profitieren sie nicht von dem re-
duzierten Brustkrebsrisiko nach der Meno-
pause.“ Patientinnen sollten über die neu-
en Erkenntnisse informiert werden, sagt
Olaf Ortmann von der Universitätsfrauen-
klinik in Regensburg. „Bisher ist man da-
von ausgegangen, dass das Risiko für eine
Brustkrebserkrankung wenige Jahre nach
dem Ende der Hormonbehandlung wieder
auf ein normales Maß zurückgeht.“ Die Be-
handlung sollte demnach kein Selbstläu-
fer sein, so Ortmann, der mitverantwort-
lich ist für die Leitlinie zur Hormonthera-
pie in den Wechseljahren der Deutschen
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburts-
hilfe. dpa


Diese Nachricht sollte ältere Couch-Potato-
es motivieren: Auch im hohen Alter kön-
nen Männer, die in ihrem bisherigen Le-
ben nur wenig Sport betrieben haben, Mus-
keln aufbauen – und zwar genauso gut wie
jene, die sich regelmäßig sportlich betätig-
ten. Das berichtet ein Forscherteam um
Leigh Breen von der britischen University
of Birmingham im FachjournalFrontiers
in Physiology.
In der Studie verglichen die Wissen-
schaftler bei zwei Gruppen älterer Männer
die Fähigkeit, Muskeln aufzubauen. In der
ersten Gruppe tummelten sich die durch-
trainierten Topathleten, die ihr Leben lang
Sport getrieben haben und auch mit 70
oder gar 80 Jahren nicht davor zurück-
schrecken, sich sportlich mit anderen zu
messen. Die zweite Gruppe umfasste Män-
ner ähnlichen Alters, die allerdings nie ir-
gendwelche Trainingsprogramme befolg-
ten und daher eine mangelnde körperliche
Fitness aufwiesen.

Anschließend hieß es für die Proban-
den: trainieren. In drei Einheiten, die je-
weils 48 Stunden voneinander getrennt wa-
ren, sollten die Senioren Gewichte stem-
men oder verschiedene Work-outs an
Kraftstationen machen. Unmittelbar vor
und nach jeder Trainingseinheit entnah-
men die Wissenschaftler den Versuchsteil-
nehmern kleine Gewebeproben aus dem
Oberschenkelmuskel mittels Biopsie und
untersuchten, wie die Muskelzellen auf die
Sportübungen reagiert hatten. Zu diesem
Zweck ließen die Forscher die Senioren vor
der ersten Trainingseinheit sogenanntes
„schweres Wasser“ trinken. Dabei handelt
es sich um Wasser, bei dem die Wasserstoff-
atome (H) des H 2 O-Moleküls mit dem Iso-
top Deuterium, auch als „schwerer Wasser-
stoff“ bekannt, ausgetauscht wurden. Das
Deuterium fungiert als radioaktives Kon-
trastmittel im Körper, sodass die Wissen-
schaftler analysieren konnten, ob sich in
den Muskeln Proteine gebildet hatten.
Das Ergebnis: Bei beiden Versuchsgrup-
pen war die Menge an aufgebauten Mus-
keln ungefähr gleich. Das kam für Studien-
leiter Leigh Breen und seine Kollegen über-
raschend. Es war eigentlich zu erwarten,
dass die körperlich fitten Athleten einen
Vorteil haben und leichter Muskeln aufbau-
en können. Stattdessen zeigten beide Grup-
pen einen ähnlichen Muskelzuwachs in Fol-
ge der Work-outs.
„Unsere Studie zeigt deutlich, dass es
keinen Unterschied macht, ob jemand in
seinem Leben regelmäßig Sport gemacht
hat oder nicht – auch in hohem Alter lohnt
es sich noch, damit anzufangen“, sagt
Breen in einer Mitteilung der Universität,
schränkt jedoch ein, der beste Weg zu einer
ganzheitlichen körperlichen Fitness sei na-
türlich ein „langfristiges und konstantes
Training, Disziplin und Hingabe“. Den-
noch profitieren auch Späteinsteiger. So
verzögere jede Art von Training altersbe-
dingte körperliche Beschwerden und Mus-
kelschwächen, sagt Breen. Außerdem müs-
se dafür keiner zwingend ins Fitnessstudio
gehen. Es könne stattdessen ausreichend
sein, Alltagstätigkeiten wie Gartenarbeit,
Treppensteigen oder das Tragen von Ein-
kaufstaschen als Trainingseinheit zu be-
greifen.
Bei genauer Betrachtung der Studie fal-
len aber auch einige Schwächen auf. Mit le-
diglich 15 Probanden – acht untrainierten,
sieben trainierten Athleten – ist die Teil-
nehmerzahl sehr klein und die Aussage-
kraft der Studie dementsprechend be-
schränkt. Zudem waren die Teilnehmer al-
lesamt männlich. Um ein besseres Grund-
verständnis darüber zu erlangen, wie Mus-
keln auch im hohen Alter aufgebaut wer-
den können, müssten ähnliche Studien
auch mit Frauen und mit einer viel größe-
ren Probandengruppe durchgeführt wer-
den. tobias herrmann

Sollte es mit der Schwangerschaft
klappen, dauert es 16 Monate
bis zur Geburt

Gartenarbeit und
Treppensteigen zählen

Die Dauer der Therapie schon als Training


scheint eine wichtige


Rolle zu spielen


Ihre letzte Chance


Es gibt noch genau zwei Nördliche Breitmaulnashörner auf der Welt. Ein Berliner Tierarzt könnte Najin


und Fatu nun zu Nachwuchs verhelfen. Erstmals ist es gelungen, den Kühen Eizellen zu entnehmen


Brustkrebs


im Alter


Risiko durch Hormontherapie in
den Wechseljahren unterschätzt

Für Training ist


es niezu spät


Auch unsportliche Senioren
können noch Muskeln aufbauen

Eine Nashorn-Kuh aus
einer anderen Unterart
muss Leihmutter spielen

Najin und Fatu sind die letzten zwei Nördlichen Breitmaulnashörner der Welt. Die Kühe leben in einem 700 Hektar großen Reservat in Kenia. Jetzt sollen sie auf
ungewöhnliche Weise Nachwuchs bekommen: durch eine künstliche Befruchtung mit dem Sperma verstorbener Bullen – und mithilfe einer Leihmutter. FOTO: AMI VITALE

(^14) WISSEN Montag, 2. September 2019, Nr. 202 DEFGH
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