Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1
Jakob Blume Frankfurt

E


s ist eine Premiere der besonderen Art:
Als erste Nation hat die Bundesrepu-
blik am Mittwoch eine 30-jährige Anlei-
he ohne Kuponzins auf den Markt ge-
bracht. Doch das Interesse der Investo-
ren, dem Staat zum Nulltarif Geld zu leihen und für
30 Jahre auf Zinseinnahmen zu verzichten, war ge-
ring: Wie die Deutsche Finanzagentur mitteilte, ga-
ben Anleger für die zwei Milliarden Euro schwere
Neuemission Gebote in Höhe von 869 Millionen
Euro ab. Die Agentur ist für die Ausgabe neuer
Bundesanleihen zuständig. Mehr als die Hälfte des
avisierten Emissionsvolumens nahm der Bund in
den Eigenbestand auf, um sie zu einem späteren
Zeitpunkt auf dem Sekundärmarkt zu verkaufen.
Immerhin: Die Finanzagentur erzielte eine
Durchschnittsrendite von minus 0,11 Prozent. Das
ist die niedrigste Rendite, die je bei einer Auktion
der 30-jährigen Bundesanleihe erzielt wurde.
Trotzdem sieht Michael Leister, Analyst der Com-
merzbank, die Auktion als Misserfolg: Das „lief alles
andere als gut“. Dafür spreche unter anderem die
hohe Quote der einbehaltenen Bundesanleihen.
Nur so konnte die Finanzagentur eine leichte Über-
zeichnung der Emission erreichen. „Das ist ein
deutlicher Fingerzeig, dass die Investorenbasis an-
gesichts der negativen Renditen immer kleiner
wird“, so Leister. Eine Sprecherin der Finanzagen-
tur sagte: „Es ist bereits seit geraumer Zeit schwie-
rig, größere Volumina bei Auktionen von Anleihen
mit 30-jähriger Laufzeit abzusetzen.“ Ein Problem
sei das jedoch nicht: Es gibt genügend Nachfrage
am Sekundärmarkt.
Ein Ende des allgemeinen Renditeverfalls sehen
Analysten und Volkswirte zwar noch nicht, aber sie
warnen, dass die schädlichen Nebenwirkungen der
ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zen-
tralbank immer stärker werden.
Mit der Emission einer Nullzins-Anleihe über 30
Jahre betritt die Finanzagentur Neuland: Die wich-
tigste langfristige Benchmark-Anleihe in der Euro-
Zone wirft nun keine regelmäßigen Zinserträge
mehr ab. Negative Renditen für Anleihen gelten an
den Märkten bereits als neue Normalität. Sie setzen
sich aus dem Kurs einer Anleihe und dem Kupon-
zins zusammen. Übersteigt der aktuelle Kurs den
Rückzahlungsbetrag inklusive Zinsen ist die Rendi-
te negativ. Doch dass selbst die jährlichen Zinszah-
lungen entfallen, ist ein Novum.
Noch vor einigen Jahren war dies nur für kurz-
fristige Geldmarktpapiere mit einer Laufzeit von

drei Monaten denkbar. 2016 hat die Finanzagentur
schließlich erstmals eine zehnjährige Anleihe mit
einem Null-Prozent-Kupon begeben. Dass der
Trend auch vor dreißigjährigen Papieren nicht Halt
macht, war zwar erwartet worden, denn der Ku-
ponzins orientiert sich üblicherweise an den zur
Emission vorherrschenden Marktrenditen. Seit ei-
nigen Wochen befindet sich die gesamte Zinskurve
Deutschlands im negativen Bereich. Dennoch mar-
kiert die bis 2050 laufende Nullzins-Anleihe einen
neuen Höhepunkt der Anleiherally. Erst in der ver-
gangenen Woche hatte die 30-jährige Bundesanlei-
he bei minus 0,27 Prozent ein neues Allzeittief mar-
kiert. Die Angst vor einer Eskalation des Handels-
konfliktes hatte die Renditen für lang laufende
Staatsanleihen weltweit auf Allzeittiefs gedrückt.
Seither sind die Kurse wieder etwas gesunken und
im Gegenzug die Renditen gestiegen. „Weil sich die
Negativnachrichten nicht weiter fortgesetzt haben
und etwas Hoffnung keimt, ist es zu einer leichten
Gegenbewegung gekommen“, sagt DZ-Bank-Ana-
lyst Daniel Lenz. „Doch es wäre zu früh zu sagen,
dass der Trend zu immer tieferen Renditen gebro-
chen ist.“
Das bestätigt auch Chris Iggo, Chefanlagestratege
für Anleihen bei Axa Investment Management:
„Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen
Marktphase. Die Renditen von Staatsanleihen fal-
len immer weiter angesichts eines schwächeren
Wirtschaftsausblicks und niedriger Inflation.“ Eine
Rezession sei deutlich wahrscheinlicher als noch
vor einigen Jahren. „Daher suchen Investoren nach
sicheren Anlagen.“ In den vergangenen Monaten
waren viele Anleger auf langfristige Papiere ausge-
wichen, weil dort noch ein positiver Kupon-Ertrag
zu holen war. So war die österreichische 100-jähri-
ge Anleihe, die noch einen Kupon von zwei Pro-
zent abwirft, mit 70 Prozent seit Jahresbeginn eines
der Zinspapiere mit dem höchsten Kursanstieg.

Dominanz der Notenbanken
Vor allem Versicherungen und Pensionskassen, die
regelmäßige Auszahlungen leisten müssen, setzen
auf Zinspapiere mit positivem Kupon. „Sie sind auf
eine positive Rendite angewiesen, um ihren Ver-
pflichtungen gegenüber Anlegern und Kunden
nachzukommen“, sagt DZ-Bankanalyst Lenz. „Eine
negative Rendite und ein Null-Prozent-Kupon ist
die ungünstigste Kombination, die dafür zusam-
menkommen kann.“ Commerzbank-Analyst Leister
warnt sogar vor einer Verdrängung der hiesigen in-

Neues aus der


Nullzins-Welt


Erstmals gibt Deutschland eine 30-jährige


Anleihe aus, ohne dass dafür jährliche Zinskosten


anfallen. Doch die Nachfrage der Anleger ist


verhalten. Die Investorenbasis schwindet.


Sicherer Hafen – keine Rendite
Bundesanleihen in Vergleich
Rendite in Prozent, Laufzeit ...

Bundeswertpapiere
Emissionsvolumen in Mrd. Euro

-0,117 %

... 30 Jahre

... 10 Jahre

-0,668 %

HANDELSBLATT

1.1.2016 21.8.2019 2015

274,5

294,5

1 69,0 173,0

197,0

2016 2017 2018 2019*

1,5

1,0

0,5

0

-0,5

-1,0

Finanzen

& Börsen

DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
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