Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1
„Null- und Negativzinsen
sind nichts anderes als
Enteignung.“
Markus Söder, Parteivorsitzender CSU,
fordert eine Kurswende in der EZB-Zinspolitik.

„Wenn wir nur 100 oder 200
Millionen Menschen erreichen,
haben wir etwas falsch gemacht.“
Jack Buser, Google-Manager, peilt mit seinem Cloud-
Gaming-Dienst Stadia eine Milliardenkundschaft an.

D


ie Bundesregierung hat bei ihrem Haushaltsent-
wurf für 2020 gepatzt. Nach nur einem Jahr fal-
len die Fördermittel für die Computerspiel-
Branche wieder weg. Dadurch verliert die Politik jede
Glaubwürdigkeit, dass ihr das Thema wirklich wichtig
ist. Für die Unternehmen der Gamesbranche heißt das,
dass sie keine Planungssicherheit haben. Und das ist ein
Desaster – nicht nur für die Branche selbst.
Aus Steuereinnahmen Computerspiele zu fördern,
das leuchtet nicht jedem ein. Vor allem Jugendliche ver-
spielen schon jetzt viel Zeit am Computer oder mit ih-
rem Smartphone. Das nächste Spiele-Level ist oft wich-
tiger als die nächste Mathearbeit. Soll man das noch för-
dern? Nein. Aber das ist auch nicht weit genug gedacht.
Entscheidend ist, wie Entwickler und Verleger so viel
Aufmerksamkeit ihrer Nutzer bekommen: nämlich mit
Innovationen.
Kaum eine Branche ist so sehr innovationsgetrieben
wie die Spieleindustrie. Je mehr die Leute spielen,
desto schneller wollen sie etwas Neues. Nichts ist so
langweilig wie das Spiel aus dem letzten Jahr, nichts


so frustrierend wie eine großangekündigte Innovati-
on, die technisch ruckelt und den Spaß am Spielen
verdirbt. Die Gamesindustrie ist deshalb ein Reich der
Tüftler und Erfinder. Deutschland muss ein Interesse
daran haben, diese Fachkräfte zu fördern und auch
ihre Technologien.
Ein Beispiel ist die virtuelle Realität. Brillen, mit
denen man zum Kapitän werden und Schiffe um Eis-
berge steuern kann, sind bei Gamingfans der Renner.
Eine konstruierte Welt in 3D und 360 Grad – eine Inno-
vation wie gemacht etwa für Einrichtungsausstatter, die
solche Schlüsseltechnologien selbst nicht vorantreiben
könnten. In virtuellen Räumen aber könnten sich ihre
Kunden auch die gewünschte Küche selbst zusammen-
stellen und ausprobieren, ob die Bauteile zusammen-
passen.
Wer in Deutschland fehlenden Gründergeist beklagt,
der muss nur in die Spielebranche gucken. Viele Ent-
wickler fangen schon im Studium an, ihre Spiele im
Netz zu testen, und erfahren so, ob ihre Idee funktio-
niert. Doch viele junge Gründer können ihre Ideen nie
an den Markt bringen, weil es bei der Entwicklung auch
mal Rückschläge gibt und ihnen dann das Geld ausgeht.
Da ist staatliche Förderung hilfreich.
Aber es liegt nicht allein am mangelnden Willen oder
Verständnis der Politik. Die Branche selbst muss sich
öffnen und die Kooperation mit anderen Industrien su-
chen. Und die wiederum müssen bereit sein, über ge-
meinsame Projekte mit der Spieleindustrie nachzuden-
ken. Die Finanzierung von Innovationen darf auf Sicht
nicht vom Staat abhängig sein.

Technologie


Von Tüftlern lernen


Die Industrie kann von den
Entwicklern der Computerspiele
profitieren. Sie muss aber auch
dazu bereit sein, fordert
Larissa Holzki.

Der Autorin ist Redakteurin im Ressort Unternehmen
& Märkte. Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Kaum eine


Branche ist


so sehr


innovations -


getrieben


wie die


Spiele -


industrie.


Verdi, dpa, dpa

Bayer


Schwacher


Trost


E


ndlich mal wieder etwas,
was reibungslos klappt bei
Bayer. Mit dem Verkauf der
Sparte Tiermedizin für umgerech-
net gut 6,8 Milliarden Euro an den
US-Konkurrenten Elanco hat der
Leverkusener Konzern sein Desin-
vestment-Programm nicht nur
schneller als geplant unter Dach
und Fach gebracht. Ähnlich wie vor
Jahren bei der Trennung vom
Kunststoffhersteller Covestro erziel-
te er insgesamt auch bessere Kondi-
tionen als von vielen erwartet.
Die Verkaufsbilanz von Bayer-
Chef Werner Baumann kann sich
insofern sehen lassen – zumal man
nicht unbedingt die attraktivsten
Assets im Angebot hatte. Die Tier-
medizin verdient zwar ordentlich,
ist gegenüber der Konkurrenz in
den vergangenen beiden Jahren
aber zurückgefallen und vom Pro-
duktsortiment her nicht optimal
aufgestellt.
Alles in allem dürften dem Kon-
zern aus den jüngsten Desinvest-
ments brutto nun fast neun Milliar-
den Euro zufließen – Liquidität, die
Bayer bestens gebrauchen kann,
um sich für einen vermutlich kos-
tenträchtigen Vergleich in den Gly-
phosat-Verfahren zu rüsten.
Für die Aktionäre sind die Ver-
kaufserfolge dennoch nur ein
schwacher Trost. Denn leider hat
das Bayer-Management bei Firmen-
käufen in den letzten Jahren bei
Weitem nicht so viel Talent bewie-
sen wie als Verkäufer. Seine Akqui-
sitionen entpuppten sich vielmehr
durchweg als problematisch. Die
OTC-Sparte von Merck & Co. etwa
enttäuschte auf breiter Front, das
Hauptprodukt der Pharmafirma
Conceptus erwies sich als Totalaus-
fall. Das von dem norwegischen Zu-
kauf Algeta entwickelte Krebsmittel
Xofigo floppte in einer wichtigen
Studie. Und jetzt kommen die enor-
men Prozessrisiken, die man sich
mit dem Kauf von Monsanto einge-
handelt hat, hinzu.
Für die Zukunftsvorsorge wird
aus den Desinvestments daher
kaum etwas übrig bleiben. Das Geld
braucht Bayer, um die Probleme
seiner Fehlakquisitionen zu bereini-
gen. Und selbst dafür wird es kaum
reichen.

Gute Desinvestments reichen
nicht, um schlechte
Akquisitionen zu kompensieren,
findet Siegfried Hofmann.

Der Autor ist Korrespondent in
Frankfurt.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
27

Free download pdf