Weltwoche Nr. 35.19 17
nungsbedürftig. Man kann darin durchaus
eine jugendliche Selbstüberschätzung, ja
Arroganz und Grössenwahnsinn sehen. Es
gibt allerdings auch eine Kehrseite. In Lau
sanne hielten Anfang August Hunderte Ju
gendliche aus ganz Europa einen Klimagipfel
ab, an dem auch die schwedische Leitfigur
Greta Thunberg teilnahm. Sie diskutierten an
Workshops und Plenarsitzungen, mit welchen
Massnahmen man die KlimaApokalypse ver
hindern könne, und verabschiedeten schliess
lich eine mehrseitige Erklärung, die von ei
nem Elfjährigen verlesen wurde. Einige
Jugendliche erlitten während des Treffens
nervliche Krisen. «Wir alle spüren einen un
glaublichen Druck auf unseren Schultern. Die
Klimastreikenden sind die Einzigen, die
ernsthaft etwas gegen den Klimawandel tun.
Wir kämpfen für nichts weniger als das Über
leben der Menschheit. Dieser Druck wird
manchmal einfach zu gross für uns», sagte ei
ner der Wortführer von Klimastreik Schweiz
gegenüber dem OnlinePortal Watson.
Lasst die Kinder allein marschieren!
Eine solche Aussage berührt. Und ist gleich
zeitig beängstigend. Wie wirkt es sich wohl auf
die Psyche eines jungen Menschen aus, wenn
er meint, er sei für die Rettung der Welt zu
ständig? Wie ohnmächtig und frustriert muss
sich ein Teenager fühlen angesichts dieser
Herkulesaufgabe? Wir fragen nach beim nam
haften deutschen Kinder und Jugendpsychia
ter Michael Winterhoff. Für Winterhoff –
durch sein Buch «Warum unsere Kinder
Tyrannen werden» einer breiten Öffentlich
keit bekannt geworden und derzeit mit
«Deutschland verdummt» auf der Spiegel
Bestsellerliste – läuft in der Klimadebatte eini
ges schief. Dass sich Kinder und Jugendliche
weltweit und über eine längere Zeit für eine
gute Sache engagierten, zum Teil sehr idealis
tisch, sei erfreulich. Doch die Verantwortung,
zu handeln und die gebotenen politischen
Massnahmen zu ergreifen, liege bei den Er
wachsenen. «Ein Sechzehnjähriger hat keine
Konzepte, wie er das Klima retten kann, und
das muss er auch nicht. Wenn Erwachsene den
Kindern sagen: ‹Ihr seid die Hoffnung, ihr seid
die Zukunft, wir vertrauen auf euch›, überfor
dert man sie komplett.» Für Winterhoff zeigt
sich in der Klimadebatte einmal mehr, dass die
Erwachsenen sich nicht genug von der Jugend
abgrenzten. «Wer mit seinem Kind an der
Klima Demo mitmarschiert, nimmt ihm was
weg. Die Jungen sollen protestieren, sie sollen
das aber für sich tun, und wenn sie dafür frei
tags die Schule schwänzen und sanktioniert
werden, müssen sie das allein durchstehen.»
Und wie verhält man sich, wenn der Sohn
nicht mehr fliegen will und die Familienferien
torpediert? Oder wenn die Tochter findet, die
Familie müsse sich künftig vegan ernähren?
«Letztlich müssen die Eltern entscheiden, wie
mehr, keine Umweltkrisen, keine Ungleich
heit. Allen Ernstes?
Privilegierte Schicht
Den jugendlichen Weltrettern Naivität vorzu
werfen, wäre allerdings selbst naiv, sagt sinn
gemäss der Wiener Philosoph und Zeitgeist
kritiker Konrad Paul Liessmann im Interview
(siehe Seite 19). Das Problem liege weniger im
«jugendlichen Erlösergestus» als darin, dass
viele Erwachsene mitmachten und dabei die
Grenze verkennen würden, die Kinder und
Jugendliche von der Mündigkeit trennt.
Das gilt auch und besonders im rechtlichen
Bereich (siehe Artikel Seite 18).
Man kann über den unglaublichen Klima
hype, der die Schweiz und die Welt ergriffen
hat, zwar den Kopf schütteln. Gleichzeitig
sollte man die Bewegung auch nicht grösser
machen, als sie ist. Die Aktivisten sind hierzu
lande fast ausschliesslich an Gymnasien zu fin
den; «Fridays for Future» sind kaum Anlässe,
an denen sich Realschüler oder Handwerker
lehrlinge wohl fühlen. Wie bei jeder Jugend
bewegung spielt auch bei der Klimajugend der
Wunsch mit, sich mit einer Gruppe zu identi
fizieren und vom grossen Rest abzugrenzen –
was sich unter anderem darin äussert, dass
die Klimaschüler in SecondhandKleidern
rumlaufen und die Mädchen mit Vorliebe
Frisuren mit sehr kurzen Stirnfransen tragen.
Ein Gutteil der Klimastreiker dürfte es schlicht
auch cool finden, den Rebellen zu geben; viele
würden wohl auch mitmarschieren, wenn
man für freies Kiffen an den Schulen oder für
GratisHandys protestieren würde.
Selbst innerhalb der Gymnasien sorgt das
Klimathema nicht nur für eitel Sonnenschein.
Von Schülerinnen und Schülern ist zu hören,
dass sie sich über die KlimaAktivisten an der
Schule, die von ihnen Solidarität einfordern,
teils beträchtlich nerven. Anders gesagt: Man
kann die Bewegung nicht ignorieren, man
sollte sie aber auch nicht überschätzen. Es ist
nicht «die» Jugend, die wegen des Klimas auf
die Strasse geht, sondern es ist eine relativ
kleine Minderheit aus einer privilegierten
Schicht. Insofern ist es auch deplatziert, den
Jungen pauschal Doppelmoral vorzuwerfen,
wenn viele von ihnen weiterhin ins Flugzeug
steigen, sich Handys kaufen oder Fleisch essen
- man kann die Klimajugend nicht mit der
Jugend schlechthin gleichsetzen.
Phrasen wie im Parlament
Ging es in der Klimadebatte zu Beginn noch
hauptsächlich darum, für Alarmstimmung zu
sorgen und der Gesellschaft ein schlechtes Ge
wissen zu machen, sind die Forderungen mitt
lerweile konkret und sehr politisch geworden;
das schlägt sich auch in der Sprache nieder, in
der bereits Vierzehnjährige ähnliche Phrasen
verwenden, wie man sie an einer Parlaments
debatte hört. So soll die Charta der Klima
jugend zeigen, wie klimafreundlich die Kan
didaten sind, die sich im Oktober zur Wahl
stellen. Gute Noten erhalten jene, die die Ziele
der Klimajugend teilen: den Klimanotstand
ausrufen oder bei den Treibhausgasemissio
nen bis 2030 netto null erreichen. Auch der
Finanzplatz ist ins Visier der Kinder und
Jugendlichen geraten: Sie drohen den Firmen,
die weiterhin in klimaschädliche Projekte in
vestieren, mit einer «schwarzen KlimaListe».
Dabei bewegen sie sich keineswegs in der
Dimension blosser Luftschlösser. Die zustän
dige Kommission des Ständerats forderte
jüngst ebenfalls klimapolitische Massnahmen
für den Finanzsektor (siehe Artikel Seite 26).
Die Mitglieder der altehrwürdigen chambre de
réflexion und die jungen Strassenprotestler ge
hen Hand in Hand.
Der Umstand, dass Kinder und Teenager
neuerdings die Moralinstanz in Sachen Klima
sind und dass sie von den Erwachsenen verlan
gen, ihren Forderungen zu folgen, ist gewöh
Es wäre doch alles besser: Klimademo, 15. März 2019, Zürich.
Der kindliche Egoismus schlägt
oft früher durch, als einer Mutter
oder einem Vater lieb ist.