zuklären über diese Gestalten. Aber wa-
rum müssen Sie das in Form eines Ge-
sprächs tun? Ihm den roten Teppich aus-
rollen?
SPIEGEL:Wir rollen niemandem den roten
Teppich aus, wir fragen und diskutieren.
So wie heute mit Ihnen.
Ruch:Seit vier Jahren wird pausenlos mit
Rechten geredet. Die Umfragewerte sind
immer weiter gestiegen, in einem ostdeut-
schen Parlament könnten sie bald sogar
den Ministerpräsidenten stellen. Es ist Zeit,
die Toleranz zu beenden. Anfang Januar
1933 waren die Zeitgenossen überzeugt:
Jetzt hat sich alles wieder ein bisschen
beruhigt. Dann kam Hitler. Das war für
mich die große Entdeckung beim Schrei-
ben des Buchs: Die Appeasementpolitik
gibt es nicht nur außenpolitisch, sie zer-
störte Weimar jahrelang innenpolitisch.
Vor derselben Frage, wie wir mit dem
Rechtsextremismus umgehen sollten, ste-
hen und scheitern wir gerade wieder, in al-
len mörderischen Konsequenzen.
SPIEGEL:In Ihrem Buch zeichnen Sie ein
Szenario, wie eine Machtübernahme
durch die AfD aussehen könnte.
Ruch:Ich habe damit gehadert, das zu ver-
öffentlichen. Weil ich der falschen Seite
nicht noch etwas beibringen wollte.
SPIEGEL:Sehr verantwortungsbewusst,
Herr Ruch. Und selbstbewusst.
Ruch:Ja, ja. Nach Chemnitz war mir klar,
dass die Rechten diese Strategie sowieso
schon im Blick haben.
SPIEGEL:Von welcher Strategie sprechen
Sie?
Ruch:Chemnitz war für mich ein Aha-Er-
lebnis. Das Totalversagen der Polizei. Un-
zählige Journalisten wurden attackiert, bis
hin zu regelrechten Menschenjagden. Ein
Albtraum für eine zivile, gewaltarme Ge-
sellschaft wie die Bundesrepublik. Wir ha-
ben aktionsbedingt wahrscheinlich das
größte Foto- und Filmarchiv zu Chemnitz,
neben den Bildern sind aber vor allem die
Tonspuren eindrücklich: diese elektrisch
geladene, fiebernde Atmosphäre, in der
ganz schnell etwas explodiert. Hooligans
werfen Polizisten in Vollmontur einfach
so um, mit der flachen Hand.
SPIEGEL:Noch mal: Worin besteht die
Strategie?
Ruch: Viele politische Beobachter warten
noch immer auf eine Entsprechung zum
Jahr 1923: zum Hitler-Ludendorff-Putsch.
Aber es wird keine illegale Form des
Staatsstreichs geben. Die AfD wird versu-
chen, die Regierung über Bande zu stür-
zen. Chemnitz war ein Anfang. Das Ereig-
nis hat gezeigt, wie sich eine Großstadt
symbolpolitisch in Schutt und Asche legen
lässt. Das erinnert an 1932: an die SA, die
das Land destabilisiert, wo sie nur kann.
SPIEGEL:Wo, bitte schön, sehen Sie heute
eine SA?
Ruch:In Chemnitz ist so etwas wie der
Bürgerkriegsapparat der AfD erstmals in
Erscheinung getreten, in Form einer völlig
verkommenen Hooligan-Szene. Hans-
Georg Maaßen dürfte sich heute noch är-
gern, dass es in Chemnitz nicht genug
Dumme der Antifa gab, die sich dem brau-
nen Mob entgegenstellten, damit sich die
Zurechenbarkeit der Gewalt auflöste.
Dann wächst das Bedürfnis nach einer har-
ten Hand, die für Ruhe und Ordnung sorgt.
Bei den übernächsten Wahlen wird die
AfD dann stärkste Partei. 33 Prozent!
SPIEGEL:Wer koaliert mit ihr?
Ruch:Zunächst niemand. Es bildet sich
eine nationale Rettungskoalition der soge-
nannten Altparteien, um die AfD von der
Regierung fernzuhalten: CDU, SPD, Grü-
ne und Linke, alle zusammen. Das vergrö-
ßert den Unmut unter Konservativen. Die
Unruhen werden immer unerträglicher.
Da hat ein ehrgeiziger CDU-Politiker die
vermeintlich rettende, aber besonders
dumme Idee: Jens Spahn bietet der AfD
an, unter seiner Kanzlerschaft das Innen-
und Verteidigungsministerium zusammen-
zulegen – die zwei Ministerien, die nicht
ganz zufällig das Gewaltmonopol des Staa-
tes ausmachen. Ein Superministerium.
SPIEGEL:Und Höcke wird Superminister?
Ruch:Nicht Höcke, der gilt als zu extrem.
Aber Andreas Kalbitz, der zurzeit Spit-
zenkandidat der AfD in Brandenburg ist.
In meinem Szenario ist er die Figur, auf
die sich CDU und AfD einigen können.
Höcke redet wie Himmler, Kalbitz sieht
nur so aus. Wobei man auch hellhörig wer-
den könnte, wenn man hört, was er sagt.
Er hat angekündigt, eine Abschiebe-Air-
line zu organisieren: nicht für Flüchtlinge,
sondern für seine Feinde. Da wäre ich si-
cherlich dabei.
SPIEGEL:Hat das Kalbitz wirklich gesagt?
Ruch:Ja. Er nennt sie »Never-Come-Back-
Airline«. Die AfD greift also bei Spahns
Angebot zu und innenpolitisch sofort
durch. Militarisierung, Repressionen, Ver-
haftungen. Das darf man den Rechten
durchaus zugestehen: Sie sind schlau. Für
sie ist alles gewonnen, wenn sie einmal an
der Regierung beteiligt sind. Die NSDAP
ist bis zur Machtergreifung legal geblieben.
Der Nationalsozialismus überzeugte gera-
de die Konservativen als ein Versprechen
ins Innere, das sich gegen den Bürgerkrieg
richtete. Jenen Bürgerkrieg, für den man
selbst verantwortlich war.
SPIEGEL:Sie unterstellen Jens Spahn, ei-
nem Konservativen, eine Bereitschaft, sich
mit Rechtsextremen einzulassen?
Ruch:Es macht durchaus Sinn, zwischen
Konservativen und Nazis zu unterschei-
den. Erstere sind stets dafür verantwort-
lich, Letztere an die Macht zu bringen.
SPIEGEL:Sie glauben, dass sich die CDU
in Sachsen auf eine Regierungsbeteiligung
der AfD einlassen könnte?
Ruch:Ich bin mir absolut sicher. Sollte die
AfD stärkste Kraft werden, wird die CDU
mit ihr koalieren.
SPIEGEL:Und dann?
Ruch:Hat die AfD ihren ersten Minister-
präsidenten.
SPIEGEL:Wenn wir heute wirklich so kurz
vor dem Ausnahmezustand stehen wie
1932: Zu welchen Mitteln müssen wir dann
greifen? Reicht ein bisschen Aktionskunst?
Ruch:Ich denke, dass es bis zu diesem Sze-
nario noch acht Jahre sind oder zwölf. Und
vielleicht hilft das Buch dabei, es komplett
zu verhindern.
SPIEGEL:Herr Ruch, Ihr halbes Buch baut
auf vermeintlichen Analogien zwischen
1932 und heute auf. Sie erwecken den Ein-
druck, als ob staatliche Institutionen schon
komplett unterwandert wären.
Ruch:Wir sehen die zarten Anfänge. Es
dürfte der breiten Öffentlichkeit viel zu
wenig bekannt sein, dass militante Struk-
turen aufgedeckt wurden, die mutmaßlich
Todeslisten angelegt haben. Diese Struk-
turen bestehen auch aus Angehörigen der
Eliteeinheiten von Bundeswehr und Poli-
zei. Gegen mich wurde bei der Staatsan-
waltschaft 16 Monate lang wegen Bildung
einer kriminellen Vereinigung ermittelt.
Das können Zufälle sein. Aber wenn wir
113
Kultur
PATRYK WITT / ZENTRUM FÜR POLITISCHE SCHÖNHEIT
»Eins darf man
den Rechten
durchaus zugestehen:
Sie sind schlau.«