Der Spiegel - 24. August 2019

(WallPaper) #1
etwas über den Faschismus wissen, dann,
dass er fürchterlich schnell zuschlägt.
SPIEGEL:Wir zitieren noch mal aus Ihrem
Buch: »Der Kampf gegen den rechten
Deutschlandhass ist ein Kampf um Sym-
bole. Es reicht mitunter, sich seinen An-
führer zu schnappen und wie das Gnu vor
den Augen seiner entsetzten Kumpane zu
zerfleischen.«
Ruch:Den SPIEGEL-Lesern werden hier
die drastischen Stellen präsentiert.
SPIEGEL:Es gibt erstaunlich viele solcher
Stellen. Woher kommt Ihre Vorliebe für
martialische Metaphern?
Ruch: Können Sie die Stelle noch mal vor-
lesen, dann überlege ich mir, ob ich mich
schäme.
SPIEGEL:»Es reicht mitunter, sich seinen
Anführer zu schnappen und wie das Gnu
vor den Augen seiner entsetzten Kumpane
zu zerfleischen.«
Ruch: Ich halte das für eine akkurate Be-
schreibung dessen, was wir mit dem Pos-
terboy der Rechten, mit Björn Höcke, ge-
macht haben. Der hat sich davon bis heute
nicht richtig erholt. Er ist einfach nicht
mehr der Alte und vertut sich dauernd.
SPIEGEL:Sie schreiben: »Wir müssen uns
für die Humanität entscheiden, sie vertei-
digen und notfalls für sie sterben.«
Ruch: Sie nennen das martialisch, ich nen-
ne es eine Grunderkenntnis aus der Ge-
schichte. Es gab schon immer Menschen-
rechtler, die bereit waren, für ihren Kampf
zu sterben. Auschwitz ist auch nicht gerade
von einer NGO befreit worden.
SPIEGEL:Lehrt die deutsche Geschichte
nicht auch eine Vorsicht vor martialischen
Metaphern, vor Pathos und großen Gesten?
Ruch: Ich stehe für den radikalen Huma-
nismus.
SPIEGEL:Das erklärte Ziel Ihrer Aktionen
ist es, Gleichgültigkeit zu durchbrechen.
Aber kranken nicht unsere politischen De-
batten daran, dass sie zu emotional geführt
werden?
Ruch: Kann es sein, dass Sie zu abgeklärt
sind? Es war einer der kapitalen Fehler
der Weimarer Republik, auf Symbole und
Leidenschaften zu verzichten. Wir müssen
Jugendlichen zeigen, was für uns als Ge-
sellschaft auf dem Spiel steht. Sea-Watch
beispielsweise verdient die klügsten Köpfe
dieses Landes. Wir verlieren viel zu viele
an die Wirtschaft.
SPIEGEL:Entschiedener Widerspruch: Die
Demokratie braucht mehr Vernunft. Und
sie braucht auch keine Kompromisslosig-
keit. Demokratie lebt vom Kompromiss.
Ruch: Das halte ich für eine Floskel. Im
Bundestag arbeiten Leute, die mich auf
Todeslisten gesetzt haben. Bei der Renten-
kasse gibt es Kompromisse, aber nicht bei
der Verteidigung der Demokratie. Auch


  • Mit den Redakteuren Tobias Becker und Lothar
    Gorris in Berlin.


den Kompromiss zwischen Humanität und
Massenmord will ich nicht erleben. Wir
brauchen einen neuen Radikalenerlass.
SPIEGEL:Sie werfen Rechtspopulisten in
Ihrem Buch zu Recht vor, mit Verschwö-
rungstheorien zu arbeiten. Über die Köl-
ner Silvesternacht schreiben Sie, dass es
sich um eine Destabilisierungsstrategie Pu-
tins handeln könne. Haben Sie Belege?
Ruch: Nein. Aber es wäre schon verdammt
merkwürdig, wenn der größte EU-Mit-
gliedstaat von der russischen Destabilisie-
rungspolitik ausgespart bliebe. Woher ka-
men plötzlich all die jungen Männer? Wa-
rum passierte das alles nur einmal und nie
wieder? Damals war ja die große Angst,
dass die deutschen Großstädte in den
nächsten Jahren nicht mehr sicher wären.
SPIEGEL:Mit Fragen und vermeintlichen
Widersprüchen beginnt jede Verschwö-
rungstheorie.
Ruch:Ich gestehe gern zu, dass auch
einfach so 2000 Menschen zum Kölner
Hauptbahnhof kommen können, ohne
den Einfluss fremder Mächte. Aber wir
müssen sensibilisiert werden für die Ge-
fahren einer Destabilisierungspolitik. Wir
fragen uns nie, wie erfolgreiche Operatio-
nen psychologischer Kriegsführung in
Deutschland eigentlich aussähen.
SPIEGEL:Wie groß ist eigentlich der Un-
terstützerkreis des Zentrums für Politische
Schönheit?
Ruch: Das Holocaust-Mahnmal zu planen
und zu bauen, ohne dass der Nachbar Hö-
cke das überhaupt bemerkt, ist ein Akt der
Zauberei, der Magie. Daran waren bis zu
150 Menschen beteiligt, die meisten eh-
renamtlich. Sie müssen sich das vorstellen
wie den Writers’ Room einer TV-Serie, in
dem eine Menge Leute zusammensitzen
und überlegen, wie der Plot aussieht und
was in Folge zehn passiert. Eine enorme
Rechercheleistung. Wir denken alle Aktio-
nen durch bis zum Ende der Staffel.

114 DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019

SPIEGEL:Wie finanzieren Sie das?
Ruch: Es gibt Fördermitglieder, die wir
Komplizen nennen: etwa 2500 Leute, die
jeweils 100 Euro im Jahr spenden.
SPIEGEL:Bekommen Sie auch öffentliche
Gelder, Subventionen?
Ruch: Wir arbeiten mit den ambitionier-
testen Theatern des Landes zusammen,
mit dem Maxim Gorki Theater oder den
Münchner Kammerspielen. Aber die
Angst vor rechts ist groß in Deutschland.
Es wäre deshalb wichtig, dass die Bundes-
regierung endlich anerkennt, dass wir ei-
nen staatlichen Auftrag erfüllen. Der Staat
sollte unsere Rechnungen begleichen.
SPIEGEL:Ihre Aktion »Soko Chemnitz«
war eine Amtsanmaßung. Der Staat wird
sagen: Unseren Verfassungsschutz machen
wir schon noch allein.
Ruch: Aktionskunst ist ziviler Ungehor-
sam. Auch Politik darf man mal lächerlich
machen. Gerade weil die Politik, wenn
man auf das Mittelmeer schaut, verhee-
rende Entscheidungen gegen uns alle ge-
troffen hat.
SPIEGEL:Es ist irritierend, dass Sie stets
etwas freudig Erregtes im Gesicht haben,
wenn Sie Ihre Szenarien entwickeln. Eine
gewisse Freude am Untergang.
Ruch: Mich interessiert nur der Worst
Case. Die Frage ist: Ist er möglich? Ihren
Blicken entnehme ich: So ganz unplausibel
ist er nicht.
SPIEGEL:Jedes gute Gespräch basiert auf
der Annahme, dass der andere, bei allen
Unterschieden, auch bedenkenswerte Din-
ge zu sagen hat.
Ruch: Wir müssen aufhören mit der innen-
politischen Appeasementpolitik. Die Ge-
duld gegen rechts verursachte einen einzi-
gen Flächenbrand.
SPIEGEL:Und dennoch ist Ihr Szenario
durchgeknallt.
Ruch:Die Ereignisse der ersten drei Monate
des Jahres 1933 waren jetzt auch eher total
durchgeknallt. Es ist ein Planspiel, bei dem
politische und historische Fantasie eingesetzt
werden, um ein Szenario zu entwickeln, das
Leute nicht auf dem Schirm haben, aber auf
dem Schirm haben sollten. Es darf niemals
zu einer Regierungsbeteiligung der AfD an
einer Bundesregierung kommen. Niemals.
SPIEGEL:Moment!
Ruch: Schon klar. Jetzt sagen Sie wieder:
Will die AfD wirklich die Demokratie be-
seitigen?
SPIEGEL:Sollten sich in Sachsen tatsäch-
lich AfD und CDU zusammentun, verspre-
chen wir innere Einkehr.
Ruch: Natürlich sagt die aktuelle Partei-
spitze, dass das nicht passiert. Wir dürfen
alle nicht so sehr auf die Worte der Vorsit-
zenden hören, die abgewählt werden. Ich
bin mir sicher: Die CDU wird fallen.
SPIEGEL:Herr Ruch, wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.

MUSTAFAH ABDULAZIZ / DER SPIEGEL
Ruch (M.) beim SPIEGEL-Gespräch*
»Total durchgeknallt«

»Wir müssen


aufhören mit der innen-


politischen


Appeasementpolitik.«

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