FOTO: DAVID ROSE FOR THE TELEGRAPH
Abmarschbereit in Sonnenbrille und
Chucks öffnet Robert Macfarlane die Tür
seines schlichten Einfamilienhauses am
Ortsrand von Cambridge. „Wir können
gleich los“, strahlt er, und schon sind wir
auf dem Weg zu einem seiner Lieblings-
plätze, einem verwunschenen Wäldchen,
in dem gleich neun kleine Quellen dem
Kalkstein entspringen. Über 250 Jahre
lang versorgten sie die Stadt mit frischem
Wasser, wegen Klimawandel und Urbani-
sierung trocknen sie nun langsam aus.
Zu Fuß dauert es eigentlich nur knapp
eine halbe Stunde zu den „Nine Wells“,
doch Macfarlane, 43, zählt auch deshalb zu
den begnadetsten Schreibern und Natur-
kundlern seiner Generation, weil er sich
gern ablenken lässt. Unterwegs und auch
im Gespräch. „Oh, haben Sie den kreisen-
den Rotmilan bemerkt? Schauen Sie mal,
wie hier Holunder und Grindkraut wach-
sen. Der Schmetterling da drüben könnte
ein Distelfalter sein.“ Bei Vögeln und Bäu-
men kenne er sich richtig gut aus, sagt er
und geht in die Knie, Blumen und Insekten
seien schwieriger. „Aber ich verstehe
Ahnungslosigkeit eher als Einladung zum
Forschen als als Schuldgefühl.“
Das Kokettieren mit seinem Unwissen
ist charmant, aber natürlich maßlos über-
trieben. Jedes der Sachbücher, in denen
Macfarlane seit 16 Jahren in wunderbar
gewählten und geschliffenen Worten die
Natur beschreibt, Landschaften seziert
und historisch durchpflügt, strotzt vor
Belesenheit und sorgfältiger Recherche.
Er ist dafür auf Gipfel geklettert, auch
im Himalaja („Berge im Kopf“), hat die letz-
ten wilden Flecken auf den Britischen
Inseln aufgespürt („Karte der Wildnis“)
und ist historischen Pfaden und Fährten
gefolgt („Alte Wege“). Immer mit dem
Ziel: erfahren und erspüren, wie Natur
unsere Existenz formt, unser Bewusstsein.
Eine schöne Landschaft mag gleich-
gültig sein gegenüber dem Menschen. Den
Menschen hingegen lässt sie fast nie
gleichgültig.
Zugleich versteht sich Macfarlane, der
im Zweitjob englische Literatur unter-
richtet, als Sprachpfleger. Er ist immer in-
teressiert an vergessenen Begriffen und
A
4
Robert Macfarlane,
43, in den Wandlebury
Woods bei Cambridge
15.8.2019 105