Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1
ChristineKruttschnittkannTarantino-
Filmeeigentlichnichtausstehen– aber
mochtediesen.Wasvielleichtdaran
liegt,dassernichtganzsobrutalist

KumpelCliff,derStuntman,findetauch


nichtmehrsoeinfachneueJobs.


UndsoistesnatürlichderbesteGagin


Tarantinos melancholischer Komödie,


dassdiesebeidenLoservondengrößten


KinostarsunsererZeitverkörpertwerden.


DasFachblatt„TheHollywoodReporter“


bezeichneteDiCapriogeradealsden„letz-


ten“echtenStar,weilersichnieindie


StrumpfhoseneinesMarvel-Superhelden


gezwängtunddennochHunderteMillio-


nenEintrittskartenverkaufthat.Wieder


55-jährige Brad Pitt begann er seine


Karriereinden90erJahren,istseitdrei


JahrzehntenerfolgreichimGeschäft.


ImFilmsinddiebeidenrechteHaudegen,

nichtzimperlich.DerStuntmandarfin


einerSzenesogardenaufsteigendenAc-


tion-HeldenBruceLeezusammenschlagen,


wasdieFamiliedeschinesischenSuperstars


geärgerthat,daseiwohlTarantinosFanta-


siemitihmdurchgegangen.


PromptwarfihmeineKritikerinvor,


einen „Nostalgie-


Porno“ gedreht zu


haben.Anderenör-


geln,imFilmwerde


alles, was im Los


Angeles des Jahres


2019 als No-No gilt,


lustvoll zelebriert –


rauchen, trinken,


endlose Partys in


Lustgrotten, wo je-


der LSD-Trip in Er-


leuchtung und jeder


Minirock in einen


freundlich geöffneten Schoß führt.


ES WAR EINMAL ...


... eine wunderschöne junge Frau, die tot


im Wohnzimmer am Cielo Drive aufgefun-


den wurde, von 16 Messerstichen nahezu


perforiert. Sharon Tate hätte zwei Wochen


später ihren Sohn geboren. Ihr Ehemann,


der polnische Regisseur Roman Polanski,


befand sich noch in Europa, wollte zur Ge-


burt wieder zu Hause in Los Angeles sein.


Tate galt Ende der 60er Jahre als „eines


der heißesten jungen Dinger in Holly-


wood“, wie das Magazin „Newsweek“ jubel-


te. Das blonde Starlet hatte im Melodram


„Das Tal der Puppen“ ein blondes Starlet


gespielt und in Polanskis Komödie „Tanz


der Vampire“ seinen späteren Ehemann


verführt; das Paar heiratete Anfang 1968.


Der tragische Tod dieser erst 26-jährigen


Kino-Hoffnung und ihres ungeborenen


Kindes bescherte Los Angeles den ersten


großen „Star-Prozess“, als im Juni 1970


Manson und seine Mittäter wegen sieben-


fachen Mordes vor Gericht standen. Ihre


Motive blieben im Dunkeln, Gerüchte von


satanistischen Ritualmorden, Drogenex-


zessen machten die Runde. In der Stadt der


Engel herrschte regelrecht Panik: Der Fall
Manson zeigte, wie wehrlos die Stars in
ihren Prunkburgen in den Hügeln von L.A.
und Malibu waren, damals beschäftigte
kaum jemand Security-Personal. Der
Schriftsteller Dominick Dunne beschrieb
die Stimmung in den Tagen nach den
Gräueltaten: „Man glaubte, die Reichen
und Berühmten seien in Gefahr. Kinder
wurden zur Sicherheit aus der Stadt ge-
schickt. Als Steve McQueen zur Beerdigung
fuhr, nahm er eine Pistole mit.“
Hat sich die Faszination jener mysteriö-
sen Verbrechen je gelegt? Manson hat
Bücher, Fernsehserien, Dokumentationen
inspiriert, sogar Popsongs, und an einigen
amerikanischen Universitäten werden Se-
minare zum Thema angeboten. Der ehe-
malige Ankläger Stephen Kay war bei 60
Begnadigungsgesuchen der Manson-Mör-
der zugegen – vor allem, um sicherzustel-
len, dass keiner der Täter je wieder auf
freien Fuß kommt. Er erinnert sich an je-
des blutige Detail.
„Wir werden diesen
Fall nie vergessen“,
sagte er kürzlich in
einem Interview.
Nichts hat die
Stadt der Engel
wohl je wieder so
erschüttert. „Außer
der Skandal um
Harvey Weinstein“,
sagt Brad Pitt nach-
denklich. Dessen
Übergriffe und die
Metoo-Bewegung hätten dazu geführt,
dass Männer ihr Verhalten neu „einstellen“.
„Ich mag keine Machos“, sagt Pitt weich.
„Vielleicht liegt das an meinem zuneh-
menden Alter, aber ich muss nicht mehr
tough sein.“

WIRKLICH, ES WAR EINMAL ...
... eine wunderschöne junge Frau, die sich
ihre weißen Lackstiefel anzog und flanieren
ging. Die Australierin Margot Robbie spielt
Sharon Tate in „Es war einmal in Hollywood“
als lichtes Geschöpf, wie aus Sonnenstrah-
len und Lebensfreude gehäkelt. Einmal
kommt Sharon an einem Kino vorbei, in
dem ein Film mit ihr selbst läuft, und sie
setzt sich ins Publikum und strahlt wie ein
Kind, wenn die Leute an der richtigen Stel-
le lachen. Es ist herzzerreißend. Auch Taran-
tino, scheint’s, will nicht mehr tough sein.
„Ich wollte sie ins Leben zurückholen“,
sagt der Regisseur. Und buchstabiert sein
Lachen. Ein bisschen leiser sogar. 2

Filmszene mit Pitt, DiCaprio und Al Pacino (v. l.)

15.8.2019 77
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