Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1
FOTOS: SONY PICTURES (2); LISA KEMPE/STUDIO X; AP

diese laute Lache, die klingt, als würde er
sie für Schwerhörige buchstabieren. Ha-
ha-ha. Keine Zwischentöne. Dabei bezeich-
net er sich selbst als „recht nett“ und rastet
angeblich nur aus, wenn die Schauspieler
ihren Text nicht können. Seine Detailbeses-
senheit ist berüchtigt. Bei Außenaufnah-
men auf dem Hollywood Boulevard ließ er
die Fassaden der alten Clubs und Sex-
Schuppen nachbauen und Oldtimer aus
dem ganzen Land auf der abgesperrten
Straße schnurren. „Das Radio war immer
volle Pulle an“, erinnert er sich an seine Ju-
gend, „und immer nur auf einer Station, so
viele gab’s nicht, und wenn Werbung kam,
haben wir einfach drübergesprochen.“
Was schon mal seine Lautstärke erklärt.
Sein Lieblingslokal war ein biederer Me-
xikaner nördlich von Hollywood, wo DiCa-
prio und Pitt im Film sich einmal tüchtig
betrinken. „Casa Vega“ gilt heute wieder als
hip unter Reality-Stars wie den Kardashi-
ans, und Tarantino geht immer noch hin
wegen der Margaritas. Er hat dem Barkee-
per sogar seine eigene Mischung aufge-
schwatzt, „The Tarantino“ steht seit Janu-
ar auf der Karte.
Und in seinem alten Lieblingskino hat
er gedreht. Und bei „El Coyote“, wo Sharon
Tate an ihrem letzten Abend noch essen
ging. „Dies ist der ultimative L. A.-Film“, sa-
gen Filmschaffende, „eine Liebeserklärung
an unsere Industrie“, nennt es DiCaprio.
Und alle Kritiker klingen, als habe der
Mann, der für seine Gewaltorgien bekannt
ist, eine Romanze gedreht. „So lieblich, so
entspannt, so nachdenklich“, schwärmte
ein Rezensent. In den USA hat der Film am
ersten Wochenende mehr als 40 Millionen
Dollar eingespielt – Best-Ergebnis für
Tarantino – und gilt als erster sicherer
Oscar-Kandidat des Kinojahrs.
Noch einen Film wolle er drehen, kün-
digt Tarantino an, dann sei Schluss. Sehr zur
Bestürzung seiner Fans. Zu denen auch
Brad Pitt gehört. „Er geht nicht in Rente“,
wiegelt der Schauspieler ab. „Er hat noch so
viele Ideen. Man darf bei dem Spruch näm-
lich nicht vergessen, dass Quentin Strea-
ming-Produktionen nicht für Filme hält.“

ES WAR EINMAL ...
... eine Krise, die Männer hatten. „Eigent-
lich jeder von uns“, sagt Tarantino, „jeder,
der in dieser Branche arbeitet. Jeder Künst-
ler fragt sich irgendwann: Habe ich das
Beste schon hinter mir?“ Im Drehbuch zu
„Es war einmal in Hollywood“, das er na-
türlich selbst verfasst hat, erleidet sein
Held einen Zusammenbruch, weil er eine
Szene in einer Western-Serie vermasselt
(er hat den Text vergessen, ha-ha-ha). Die-
ser Rick Dalton, den DiCaprio da spielt, ist
nicht der Größte aller Mimen, außerdem
zerfressen von Selbstzweifeln. Und sein

ben. Sie waren Hippies, sind es eigentlich


noch. Aber diese Morde haben damals ihre


Ideale zerstört, ihre Hoffnungen, dass alle


Menschen in Frieden leben können.“


Ein irgendwie passendes Panorama also


für den 56-jährigen Tarantino („Pulp Fic-


tion“), der hier vordergründig die Geschich-


te vom Niedergang einer Hollywood-Ära


erzählt. DiCaprio spielt einen TV-Serien-


Cowboy, der gern Margaritas direkt aus


dem Mixer süffelt und sich von der neuen


Zeit und einem neuen, harschen Kino über-


rannt fühlt. Er greint darüber mit seinem


Kumpel und Stuntman (Brad Pitt), der das


alles lockerer sieht, auch, weil er keine


Karriere zu verlieren hat.


Manson bekommt im Film nur einen


Mini-Auftritt. Dennoch löste die Nach-


richt,dassTarantinosichderSensations-


mordeangenommenhat,imBenedictCan-


yon einen wahren Boom bei denjenigen


aus, die schon immer einen Blick auf das


Haus im Cielo Drive erhaschen wollten, wo


Sharon Tate und ihre Freunde sterben


mussten, an manchen Tagen fahren dort


Dutzende Neugierige vor. Auch eine Bus-


tour führt Touristen an die Tatorte der


Manson-Familie. Dabei gibt’s das Mörder-


haus gar nicht mehr, schon vor einem Vier-


teljahrhundert wurde es abgerissen und


eine neue Villa an seine Stelle gebaut, mit


neuer Hausnummer sogar. Doch ein Nach-


bar trat in Fernsehsendungen über un-


heimliche Phänomene auf und schwört,


der Geist von Sharon Tate weile noch im


Cielo Drive.


Man komme in ganz melancholischer


Stimmung aus dem Kino, hieß es kürzlich


in der „Los Angeles Times“ – keine Reak-


tion, die man von einem Tarantino-Film


erwarte. Und der mexikanische Regisseur


Guillermo del Toro war gleichermaßen


verzaubert. Die gut zweieinhalb Stunden


lange Saga fühle sich an wie eine echte


Erinnerung, schrieb er, und erzähle dabei


doch wahrscheinlich ein Märchen.


ES WAR EINMAL ...


... ein kleiner Junge, der saß jeden Abend


vor dem Fernseher und fand dort seine


Helden, seine Götter. Tarantino hat nie


einen Hehl daraus gemacht, dass er nahe-


zu alles, was er über das Leben weiß, im


Kino gelernt hat. „Das war seine Religion“,


sagt Brad Pitt, der mit Tarantino bereits die


Hitler-Mordfantasie „Inglourios Basterds“


gedreht hat. „Seine Liebe zum Film hat


mich immer sehr berührt.“


„Quentin ist eine wandelnde Videothek“,


sagt DiCaprio.


„Aber ohne meine Erinnerungen hätte


ich diesen Film nicht machen können!“, ruft


Tarantino – nicht, weil er aufgebracht ist,


sondern weil er eigentlich immer ruft. Er


kann auch nicht lächeln, er hat nur


MYTHOS MANSON-MORDE
Die bizarren Bluttaten im Sommer 1969, bei
denen unter anderem die hochschwangere
Schauspielerin Sharon Tate (M.) ermordet
wurde, lösen auch heute noch makabre
Faszination aus. In Tarantinos Film wird Tate
von der australischen Schauspielerin Margot
Robbie (o.) verkörpert. Mitglieder von
Charles Mansons (u.) Bande töteten Tate
mit 16 Messerstichen

76 15.8.2019

Free download pdf