von susanne höll
Remagen– KarstenFehr ist Jurist, ein
sachlicher Mensch, kein Spinnertyp. Und
doch hat der Bürgermeister der rheinland-
pfälzischen Verbandsgemeinde Unkel ei-
nen großen Traum. Er möchte eine histori-
sche Lücke am Rhein schließen und eine
neue Überquerung vom Ortsteil Erpel ans
andere Ufer bauen, einen Ersatz für die le-
gendäre Brücke von Remagen. Die hatte in
den letzten Wochen des Zweiten Weltkrie-
ges eine bedeutsame Rolle gespielt, war
eingestürzt und später durch einen Holly-
wood-Film weltberühmt geworden. Fehr
hat Mitstreiter, auch viel Sympathien.
Aber ihm fehlt das Geld. Unkel ist eine hüb-
sche, aber keine wohlhabende Gemeinde.
An einem dieser heißen Sommertage er-
zählt Fehr, wie sein großer Traum begann:
mit den alten Brückentürmen beiderseits
des Flusses. Die hatten den Einsturz 1945
überlebt, stehen unter Denkmalschutz
und sind zumindest in Erpel in einem er-
barmungswürdigen Zustand. Aus den Dä-
chern wächst Gras, auf dem dürren Boden
wuchert Unkraut, die Scheiben der Fenster
sind blind, die Wände müssen dringend
restauriert werden. Diese Türme sollen ein
Denkmal sein? Seltsame Welt am Rhein.
Bürgermeister Fehr zuckt mit den Schul-
tern. Auch ihn schmerzt der Anblick der
Türme. An deren leidigem Zustand kann er
nichts ändern. Sie sind im Besitz der Deut-
schen Bahn. Oberhalb des Ufers, unmittel-
bar an den Türmen entlang, verläuft eine
viel befahrene Eisenbahnstrecke. Die
Bahn möchte die Immobilie dringend ver-
kaufen. Vor Jahresfrist bot sie die Türme öf-
fentlich an, die Resonanz war ziemlich ma-
ger. Es gab einige neugierige Anfragen,
dem Vernehmen nach aber nur zwei ernst-
haftere Interessenten, die dann aber ab-
winkten. Kein Wunder. Was, bitte schön,
ist mit zwei baufälligen Türmen anzufan-
gen, die man des Denkmalschutzes wegen
nicht fundamental umbauen kann, wo Tag
und Nacht Züge rattern und auf der rech-
ten Flussseite die stauträchtige Bundes-
straße 42 verläuft? Manche, auch Fehr,
hegten die Sorge, Neonazis könnten sich
das Gebäude sichern, zu verwerflichen
Zwecken. „Ewiggestrige, die hier Hitlers
Geburtstag feiern, wollen wir nicht“, sagt
der Bürgermeister.
Und Fehr dachte nach. Weder Unkel
noch Remagen auf der anderen Rheinseite
können sich eine anständige Sanierung
der Türme leisten, die ihren ursprüngli-
chen Sinn längst verloren haben. Am 17.
März 1945 brach die zuletzt heftig um-
kämpfte und beschädigte Brücke zusam-
men, die im Ersten Weltkrieg von 1916 bis
1918 zu militärischen Zwecken erbaut und
nach dem damaligen Obersten Heereslei-
ter und faktischen Militärdiktator Erich Lu-
dendorff benannt worden war. Mehr als
zwei Jahrzehnte passierten Züge, Autos
und Fußgänger die fast 400 Meter lange
stählerne Passage.
Fehr hat zwar ambitionierte Pläne, grö-
ßenwahnsinnig aber ist er nicht. Er und
sein Bürgermeisterkollege aus Remagen
wollen die Brücke natürlich nicht original-
getreu rekonstruieren. Den beiden
schwebt ein leichterer Steg vor, reserviert
für Fußgänger und Fahrradfahrer, die den
Fluss derzeit mit einer der zahlreichen klei-
nen Fähren oder per längerem Umweg
über große Brücken passieren müssen. Die
Leute aus Erpel und Remagen könnten
sich, wie in alten Zeiten, wieder zu Fuß be-
suchen, die Radler wären begeistert, Tou-
rismus und regionale Wirtschaft würden
profitieren, schwärmt der Bürgermeister.
Und die Brückentürme sollten mit Leben
gefüllt werden, ein „begehbares Stück Ge-
schichte“ werden, sagt Fehr.
Ach, die Historie. Um die tragen derzeit
Ehrenamtliche beiderseits des Ufers Sor-
ge. Auf der Remagener Seite hatte bis zum
Frühjahr das Friedensmuseum seinen
Sitz, das in einer Dauerausstellung die
wechselvolle Geschichte der Brücke zeigte.
Inzwischen sind die Räume dort wegen
Brandschutzmängeln geschlossen. Im al-
ten Eisenbahntunnel auf der Erpeler Seite
organisiert der Kulturverein „ad Erpelle“
unter Führung des rührigen früheren Orts-
bürgermeisters Edgar Neustein Konzerte
und Theateraufführungen. Am Eingang
der Passage, in der sommers wie winters
kühle zwölf Grad herrschen, finden sich Fo-
tos aus alten Brückenzeiten. Neustein
rühmt die Anlage als ein Mahnmal deut-
scher und europäischer Geschichte, als ar-
chitektonische Erinnerung auch an den be-
ginn des gemeinsamen Europas.
Wäre es den Truppen der Wehrmacht ge-
lungen, die Brücke, wie befohlen, beim An-
marsch der Alliierten im März 1945 zu
sprengen, hätten die Kämpfe um Deutsch-
land womöglich länger gedauert und noch
mehr Tote gefordert. Im 1968 gedrehten
Film „Die Brücke von Remagen“ lässt Re-
gisseur John Guillermin einen US-General
sagen: „Nehmt die Brücke ein, dann verkür-
zen wir den Krieg“. Der Film ist aber an-
sonsten kein sonderlich realitätstreues
Werk, sondern ein Leinwand-Spektakel.
Nicht einmal der Rhein ist darin zu sehen.
Gedreht wurde er 1968 an der Moldau, in
der damals noch vereinten und sozialisti-
schen Tschechoslowakei.
Die Kinder und Enkel amerikanischer
Veteranen kommen, so erzählt Neustein,
noch immer nach Remagen und Erpel, um
dem Mut ihrer Väter und Großväter in der
Schlacht gegen die Nazis Respekt zu erwei-
sen. Finanzielle Hilfe beim Aufbau eines
Denkmals ist von ihnen aber nicht zu er-
warten.
Wer also soll und kann den Brücken-
traum von Erpel dann bezahlen? Bürger-
meister Fehr meint, die beste Lösung wäre
eine Stiftung des Landes Rheinland-Pfalz
und des Bundes, womöglich unterstützt
aus Mitteln der Europäischen Union. Dass
eine Denkmalanlage je schwarze Zahlen
schreiben wird, glaubt in Unkel niemand.
Es wäre ein Zuschussbetrieb. Und kein
Mensch weiß, was Restaurierung, Brücken-
bau und Betrieb ungefähr kosten würden.
Ein paar Millionen dürften es wohl wer-
den. Klarheit soll eine Studie bringen, die
Remagen und Unkel finanzieren müssen.
Sie kostet auch einige Zehntausend Euro,
für zwei kleine Gemeinden ein teures Un-
terfangen.
In Sachen Stiftung macht das Land Fehr
wenig Hoffnung. Das Landesministerium
für Wissenschaft und Kunst stuft die Brü-
ckentürme zwar als „bedeutendes Kultur-
denkmal“ ein und findet, sie müssten un-
bedingt erhalten werden. Aber in Finanz-
fragen ist man reserviert. Wenn die Türme
tatsächlich zu kulturellen Zwecken für die
Öffentlichkeit geöffnet werden sollten,
könne man aus Denkmalpflege-Töpfen
helfen, heißt es aus Mainz. Das würde hin-
ten und vorn nicht reichen, um den Traum
des Bürgermeisters zu erfüllen. Fehr will
aber nicht aufgeben, sondern weiter nach
Geldgebern suchen. Aber er weiß selbst ge-
nau: „Es wird ein langer Weg.“
München– Die Türkei und die USA haben
sich nach übereinstimmenden Angaben
beider Regierungen darauf geeinigt, ge-
meinsam eine sogenannte Sicherheitszo-
ne im Norden Syriens einzurichten. Das
geht aus gleichlautenden Erklärungen des
türkischen Verteidigungsministeriums
und der US-Botschaft in Ankara hervor,
die am Donnerstag veröffentlicht wurden.
Damit dürfte vorerst ein Einmarsch des
türkischen Militärs in Gebiete abgewendet
sein, die von den mit den USA verbündeten
Syrischen Demokratischen Kräften (SDF)
kontrolliert werden – und somit auch mili-
tärische Auseinandersetzungen zwischen
den beiden Nato-Partnern.
Der türkische Präsident Recep Tayyip
Erdoğan hatte wiederholt mit einer Militär-
operation gedroht und Zehntausende Sol-
daten an der Grenze zu Syrien aufmarschie-
ren lassen. Die bei Weitem stärkste Kraft
in der SDF, einem Bündnis syrischer Mili-
zen, sind die kurdischen YPG-Einheiten.
Ankara sieht in ihnen einen syrischen Able-
ger der separatistischen kurdischen Arbei-
terpartei (PKK). Erdoğan sprach von „wirk-
lich positiven Fortschritten“. Außenminis-
ter Mevlüt Çavuşoğlu warnte zugleich, die
Türkei werde keine Verzögerungen bei der
Umsetzung der Vereinbarung zulassen.
Zumindest die drei Punkte umfassende
gemeinsame Erklärung enthält kaum De-
tails. So ist weder ein Zeitraum genannt, in
dem die Zone etabliert werden soll, noch
wie diese geografisch begrenzt sein würde
oder wie tief sie auf syrisches Gebiet rei-
chen soll. Die Vorstellung der beiden Sei-
ten hatten dabei weit auseinandergelegen.
Die Türkei will die Zone 40 Kilometer tief
auf einer Länge von 450 Kilometer entlang
der Grenze einrichten, die USA gestehen
höchstens 15 Kilometer zu, die SDF fünf Ki-
lometer. Laut der Erklärung wird eine
gemeinsame Kommandozentrale in der
Türkei aufgebaut und rasch „anfängliche
Maßnahmen umgesetzt, um auf die Sicher-
heitsbedenken der Türkei einzugehen“.
Die Sicherheitszone solle „ein Korridor des
Friedens“ werden und die Rückkehr von
Syrern in ihr Heimatland ermöglichen.
Die syrische Regierung kritisierte die
Pläne für eine Pufferzone scharf. Es handle
sich um einen „eklatanten Angriff“ auf die
Souveränität und Einheit des Landes so-
wie eine „gefährliche Eskalation“, zitierte
die Nachrichtenagentur Sana das Außen-
ministerium. Mit Russland, neben Iran der
wichtigste Verbündete des Regimes von
Präsident Baschar al-Assad, hat die Türkei
nach eigenen Angaben ihr Vorgehen aller-
dings abgestimmt.
Erdoğan verfolgt vor allem zwei politi-
sche Ziele: Er will verhindern, dass jenseits
der Grenze ein zusammenhängendes Ge-
biet unter Kontrolle der Kurden steht. Er
sieht darin die Keimzelle eines kurdischen
Staates, was wiederum separatistische
Bestrebungen der Kurden in der Türkei
befeuern könnte. Offiziell macht Ankara
gegenüber den USA geltend, die syrischen
Kurden könnten die Türkei über die Gren-
ze hinweg angreifen, ausgestattet mit ame-
rikanischen Waffen. Zudem steigt der in-
nenpolitische Druck in der Türkei, die
mehr als 3,6 Millionen syrischen Flüchtlin-
ge in ihre Heimat zurückzuschicken.
Die USA haben zugleich den Kurden Si-
cherheitsgarantien der Türkei verspro-
chen, bevor sie wie von Präsident Donald
Trump gewünscht aus Syrien abziehen
würden. Derzeit sind noch etwa 1200 US-
Soldaten in Syrien stationiert. Einen kon-
kreten Zeitplan für ihren Abzug gibt es
nicht. Der Syrien-Sondergesandte der
USA, James Jeffrey, versucht, Frankreich,
Großbritannien und andere europäische
Staaten dafür zu gewinnen, mit ihren Trup-
pen die US-Soldaten in Syrien abzulösen.
Die USA hatten sich unter Präsident Ba-
rack Obama entschlossen, mit den SDF als
Partner in Syrien die Terrormiliz Islami-
scher Staat (IS) zu bekämpfen. Sie galten
dem Pentagon als kampfstark, diszipli-
niert und keinerlei ideologischer Nähe
zum IS verdächtig – und als die einzige
kurzfristig verfügbare Kraft. Washington
war damit über das Angebot der Türkei hin-
weggegangen, von ihr unterstützte syrisch-
arabische Milizen in den Kampf zu schi-
cken, die allerdings zum Teil selber radika-
le Islamisten in ihren Reihen haben. Das
Pentagon fürchtete zudem, dass sich die
Militäroperation massiv verzögern würde.
Die Kurden warnen vor einem „großen
Krieg“, sollte es den USA nicht gelingen,
die Türkei von dem Einmarsch abzuhal-
ten. „Wir wollen eine politische Lösung
und Dialog“, zitiert die Nachrichtenagen-
tur Reuters Badran Jia Kurd, einen Berater
der kurdischen Selbstverwaltungsorgane.
Wenn diese Bemühungen scheiterten, lau-
fe das auf eine „totale und schwere militäri-
sche Konfrontation“ hinaus. US-Verteidi-
gungsminister Mark Esper hatte die Tür-
kei vor einem Alleingang gewarnt, jedoch
könnten die US-Soldaten militärisch einen
Einmarsch der Türkei kaum stoppen.
Das US-Militär fürchtet zugleich um die
Erfolge im Kampf gegen die Terrormiliz
IS, die Ende 2018 ihre letzten Gebiete in Sy-
rien verloren hat. Weder die irakische Ar-
mee noch die SDF sind nach Einschätzung
der Amerikaner derzeit alleine in der Lage,
ein Wiedererstarken der Dschihadisten zu
verhindern. Der Generalinspekteur des
Pentagon schätzt im Quartalsbericht zu
der von den USA geführten internationa-
len Operation Inherent Resolve, dass der IS
in Syrien und im Irak nach wie vor 14 000
bis 18 000 Mitglieder hat, unter ihnen bis
zu 3000 ausländische Kämpfer.
Der IS habe im zweiten Quartal seine Fä-
higkeiten als Untergrundorganisation ge-
festigt und in Syrien wieder an Stärke ge-
wonnen. Die SDF seien begrenzt in ihren
Möglichkeiten, Schläferzellen zu bekämp-
fen, die im mittleren Euphrattal auftreten.
Im Irak versuche der IS, in ländlichen Ge-
bieten mit sunnitischer Bevölkerung Fuß
zu fassen. Dies erinnert an al-Qaida im
Irak nach der militärischen Niederlage ge-
gen die USA. Der IS entstand aus den Über-
bleibseln der Gruppe, die mit nur noch
wenigen Hundert Kämpfern in der Wüste
von Anbar in den Untergrund gegangen
war.paul-anton krüger Seite 4
Berlin– Die FDP macht die Union dafür
verantwortlich, dass es trotz jahrelanger
Bemühungen noch immer keine Reform
des Wahlrechts gibt. Es wäre „eine Schan-
de für das Parlament, wenn es nicht gelän-
ge, ein Wahlrecht zu verabschieden, das
eine extreme und unvorhersehbare Vergrö-
ßerung des Bundestages verhindert“, sag-
te der parlamentarische Geschäftsführer
der FDP-Bundestagsfraktion, Stefan Rup-
pert, derSüddeutschen Zeitung. Bei der Kri-
tik am Parlament dürfe man „jedoch nicht
alle Fraktionen über einen Kamm sche-
ren“. Denn es sei die Union, die sich „gegen
eine notwendige Reduzierung der Wahl-
kreise“ sträube. Sollte die Union „nicht von
ihrem parteipolitischen Egoismus und
ihrer Forderung, den eigenen Vorteil zu
maximieren, abrücken“, müsse „eine Wahl-
rechtsreform – entgegen dem parlamenta-
rischen Komment – ohne die Union“ ange-
gangen werden. Denn es stehe „die Glaub-
würdigkeit des Parlaments auf dem Spiel“.
Ruppert war auch Vertreter der FDP in
der Arbeitsgruppe zur Reform des Wahl-
rechts, die unter der Leitung des Bundes-
tagspräsidenten monatelang nach einem
Kompromiss gesucht hat. Die Arbeitsgrup-
pe hatte im April ihr Scheitern eingestehen
müssen.
Der parlamentarische Geschäftsführer
der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brö-
mer, hatte damals erklärt, der Vorschlag,
die Zahl der Wahlkreise zu reduzieren, wür-
de „zu einer größeren Distanz zwischen Ab-
geordneten und Bevölkerung führen und
die notwendige demokratische Repräsen-
tanz vor Ort ganz erheblich beschädigen“.
Seine Fraktion lehne dies deshalb ab. Statt-
dessen sei seine Fraktion unter anderem
dafür, künftig „mindestens 15 Überhang-
mandate nicht durch zusätzliche Listen-
plätze auszugleichen“. Das würde „zu einer
spürbaren Verkleinerung des Bundestags
führen“. Derzeit werden alle Überhang-
mandate für eine Partei durch Ausgleichs-
mandate für die anderen Parteien kompen-
siert. Das ist einer der Gründe dafür, dass
im Bundestag derzeit 709 Abgeordnete sit-
zen. Die Normgröße des Parlaments liegt
bei 598 Abgeordneten.
Die FDP verurteilt die Haltung von CDU
und CSU vehement. Ruppert klagte, die
Union sträube sich „nicht nur gegen eine
notwendige Reduzierung der Wahlkreise,
sie beharrt auch auf 15 unausgeglichenen
Überhangmandaten, also dem verfas-
sungsrechtlich allerhöchstens zulässigen
Maß“. Ob Karlsruhe diese Verzerrung des
Zweitstimmenproporzes noch einmal billi-
gen würde, sei „zweifelhaft“. Denn „wenn
unausgeglichene Überhangmandate zu ei-
ner Veränderung der Mehrheiten im Parla-
ment führen würden, könnten wir bald ei-
nen Kanzler oder eine Kanzlerin bekom-
men, die nicht mehr für die Mehrheit der
Wähler steht und deren Legitimation des-
halb – gerade von antidemokratischen Par-
teien – in Zweifel gezogen werden könnte“.
Eine Lösung, die auf die Reduzierung der
Zahl der Wahlkreise und damit der Direkt-
mandate setze, packe „das Problem hinge-
gen bei der Wurzel“. Überhangmandate
würden dadurch „weitgehend vermieden
- so werden weder Ausgleichsmandate er-
forderlich, die den Bundestag aufblähen,
noch muss über die Zahl der Überhang-
mandate diskutiert werden, die unausge-
glichen bleiben sollen“.
Ruppert sagte, Überhangmandate seien
„die Paradoxie der personalisierten Ver-
hältniswahl: Sie wurden akzeptiert, solan-
ge sie wegen stabiler Wahlergebnisse der
damals großen Volksparteien nur in gerin-
gem Umfang anfielen.“ In der jetzigen poli-
tischen Landschaft stellten sie sich aber
„entweder als Gerechtigkeitsproblem oder
als Problem der mangelnden Vorherseh-
barkeit der Größe des Bundestages dar“.
Die deshalb „von FDP und Grünen vorge-
schlagene Lösung, weniger Direktmanda-
te und mehr Listenmandate zu verteilen,
der auch die Linken und Experten der SPD
mit viel Sympathie begegnen“, sei „partei-
politisch neutral“, sagte Ruppert. Denn die-
se Lösung verschaffe denen, die sie vor-
schlagen, keinen Vorteil. Der Vorschlag der
Union bevorzuge dagegen die Union.
Bei der Bundestagswahl hatten CDU
und CSU 231 Direktmandate gewonnen,
die Liberalen dagegen kein einziges. Die
Grünen haben mit Canan Bayram aus dem
Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuz-
berg / Prenzlauer Berg Ost eine direkt ge-
wählte Abgeordnete.robert roßmann
Tel Aviv– Der israelische Sozialminister
Chaim Katz steht vor einer Anklage. Dem
Politiker des rechtsnationalen Likud wird
Betrug und Untreue vorgeworfen, was er
zurückweist. Außerdem soll er Insiderin-
formationen genutzt haben. Laut israeli-
schen Medienberichten hat Generalstaats-
anwalt Avichai Mandelblit Bestechlichkeit
als Anklagepunkt fallengelassen.
Katz wird vorgeworfen, als Abgeordne-
ter und Vorsitzender des einflussreichen
Arbeitsausschusses in der Knesset dem Ge-
schäftsmann Mordechai Ben Ari Vorteile
verschafft zu haben. Im Gegenzug soll ihm
der Finanzberater zu mehreren Millionen
Schekel an finanziellen Zugewinnen ver-
holfen haben.
Vor seiner Ernennung zum Minister
2015 war Katz Chef der Arbeitnehmerver-
tretung von Israel Aerospace Industries,
dem größten Unternehmen in Staatsbe-
sitz. Die Polizei empfahl nach Ermittlun-
gen Anklagen wegen Bestechlichkeit, Be-
trug und Untreue. Der Generalstaatsan-
walt hat über diese Fälle noch nicht endgül-
tig entschieden. So soll Katz Kollegen den
Beitritt zum Likud nahegelegt haben. Wer
sich weigerte, soll Nachteile gehabt haben.
Katz ist das vierte Regierungsmitglied,
das mit einer Anklage rechnen muss. Pre-
mier Benjamin Netanjahu hat im Oktober
noch eine Befragung vor sich, ehe endgül-
tig über Anklagen in drei Korruptionsfäl-
len entschieden wird. Die Polizei empfiehlt
zudem Anklagen gegen Innenminister Ay-
re Deri von der ultraorthodoxen Schas-Par-
tei, unter anderem wegen Geldwäsche. Die-
se Woche war bekannt geworden, dass der
als Gesundheitsminister agierende Politi-
ker der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes
Thora-Judentum, Jakov Litzman, eine mut-
maßliche Kinderschänderin geschützt ha-
ben soll. Die Polizei empfahl Anklage in
zwei Fällen. In Israel müssen Minister bei
einer Anklageerhebung zurücktreten, ein
Premier erst bei einer Verurteilung.
Am Donnerstag wurde zudem bekannt,
dass die frühere Abgeordnete Hanin Zoabi
und die arabische Balad-Partei mit einer
Anklage wegen Betrug und Fälschung rech-
nen müssen. Es geht um einen Bericht
über Wahlkampfausgaben. So sollen umge-
rechnet rund 800 000 Euro fälschlicher-
weise als Schenkung ausgewiesen worden
sein. alexandra föderl-schmid
Ein Traum
von einer Brücke
Eine Schlacht im Zweiten Weltkrieg machte die Rheinquerung
von Remagen berühmt. Nun gibt es Pläne, sie neu zu bauen
Alle auf einem Motorrad: eine syrische Familie in der Stadt Qamish, die überwie-
gend von Kurden bewohnt wird. FOTO: DELIL SOULEIMAN/AFP
Drei Punkte als Puffer
USA und Türkei einigen sich auf eine Sicherheitszone im Norden Syriens. Damaskus kritisiert „Angriff“ auf seine Souveränität
Israels Sozialminister
droht Anklage
Die Union will die Zahl
der Wahlkreise
nicht verringern
DEFGH Nr. 183, Freitag, 9. August 2019 (^) POLITIK HF3 7
Am 7. März 1945 konnten US-Soldaten die Brücke von Remagen einnehmen,
als einzigenRhein-Übergang noch unzerstört (unten). Zehn Tage später
stürzte sie ein. Heute stehen nur noch die vier massiven Pfeiler an den Ufern
in Remagen und in Erpel (oben, im Hintergrund).FOTOS: THOMAS FREY/DPA, DPA
Stefan Ruppert verhandelt für die FDP
das Wahlrecht. FOTO: DPA
US-Verteidigungsminister Esper
hat die Türkei
vor einem Alleingang gewarnt
Erdoğan will verhindern, dass
ein großes Gebiet unter
Kontrolle der Kurden entsteht
Es gibt die Sorge, Neonazis
könnten sich das Gebäude sichern.
Vor allem aber fehlt das Geld
„Parteipolitischer
Egoismus“
FDP wirft Union Blockade bei
Verkleinerung des Bundestags vor