Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1

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Messi. Er schwebt über allen. Die Art, wie er Geschwindig-
keit mit Technik paart – das kann kein anderer so wie er.
Was muss ein besonders guter Fußballer können?


So einer ist nahe an der Perfektion. Tempo, Technik vor
allem – das braucht ein herausragender Fußballer heute.
Und er muss mitdenken. Früher sagte man gern, etwa bei
Gerd Müller: Nicht so viel nachdenken, einfach den Ball
reinhauen. Das stimmt aber nicht. Es ist in Wahrheit eine

Kombination aus Bauchgefühl, Beinarbeit und Kopf. Da-
raus entwickelt sich ein Mechanismus.
Die dümmsten Fußballer sind gar nicht die besten?
Nein, das ist natürlich Blödsinn. Vor dem Tor darf man
auch nachdenken. Ich habe es zumindest versucht, wenn
mir die Zeit dazu blieb.
Gab es Spieler, vor denen Sie Angst hatten?
Angst wäre zu viel gesagt – Respekt, ja. Früher gab es Ver-
teidiger, die auf alles getreten haben, was nicht schnell
genug auf den Bäumen war. Hinterher brauchte ich oft
viel Eis für meine Knöchel. Heute ziehen die Schiedsrich-
ter viel schneller die Rote Karte, die Stürmer vor allem
werden besser geschützt.
Stimmt es, dass Günter Netzer für Sie als Jugendlicher ein
Idol war?
Idol, das Wort geht mir zu weit. Aber Netzer war natürlich
ein hochinteressanter Sonnyboy, mit seiner langhaarigen
Freundin, seiner Diskothek und seinem Ferrari. Als Fußbal-
ler war mir Johan Cruyff aber viel näher, großartig. Und als
junger Mann habe ich auch noch gegen Franz Beckenbauer
gespielt. Er hat mich natürlich sehr beeindruckt.
Wie blicken Sie heute auf Beckenbauer?
Ich finde, dass ihm unrecht getan wurde.
Sie meinen den Vorwurf der Bestechung, als es um die Ver-
gabe der WM nach Deutschland ging. Die WM des Jahres
2006 war höchstwahrscheinlich gekauft.
Das ist nicht bewiesen. Aber abgesehen davon tut mir der
Franz einfach leid. Er hat so viel für den deutschen Fuß-
ball getan, sich so unglaublich dafür eingebracht – das hat er
einfach nicht verdient. Genauso wenig wie Wolfgang Niers-
bach, der leider als DFB-Präsident zurücktreten musste. Für
mich hat er dieses schwere Amt hervorragend ausgefüllt.
Ich hoffe für alle Beteiligten, dass sich die Dinge am Ende
wieder zum Positiven wenden. In Italien zum Beispiel wäre
man anders mit ihnen umgegangen. Da wären die großen
Verdienste mit Sicherheit nicht vergessen worden bei der
Beurteilung. Oder nehmen Sie den ehemaligen Bundesprä-
sidenten Christian Wulff. Ich habe in Rom mal Freunden
versucht zu erklären, weshalb dieser Mann monatelang an
den öffentlichen Pranger gestellt wurde. Ich habe es wirklich
versucht zu erklären, aber es hat niemand verstanden.
Was wollen Sie damit sagen: In Deutschland werden Leute
aus nichtigem Anlass fertiggemacht?
Ich bin von ganzem Herzen Deutscher. Gerade auch des-
wegen, weil ich sehe, dass beispielsweise in Italien vieles
erheblich schlechter läuft als bei uns. Aber in Deutschland
haben sich die Maßstäbe in der öffentlichen Debatte in
teilweise unguter Weise verschoben.
Sie leben seit Jahrzehnten in der Fußballwelt. Sie haben
früher für AS Rom und Olym pique Mar seille gespielt. Als
Teamchef standen Sie mit der deutschen Mannschaft in
einem WM-Finale. Was waren Erlebnisse, die Sie beein-
druckt haben?
Es sind immer die Emotionen, die im Leben für bleibende
Erinnerungen sorgen. Im Fußball heißt es meist: himmel-

Rudolf »Rudi« Völler, 59, ist Geschäftsführer Sport
bei Bayer 04 Leverkusen. 1977 wurde er Profi­
fußballer, er spielte in Offenbach, Bremen, Rom
und in Leverkusen. Mit Olym pique Mar seille
gewann er die Champions League. Als Spieler
wurde er mit Deutschland 1990 Weltmeister und
als Teamchef 2 0 02 Vize­Weltmeister
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