Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1

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Ich habe ihn zurück an den Verhandlungstisch geholt, ihn
besänftigt. Dort hat er dann versucht, die Preise zu drücken.
Als Verhandlungsprofi musste man auch Schauspieler sein,
das konnte der Calli wunderbar.
Wenden Sie diesen Trick heute auch an?


Die Zeiten haben sich dann doch geändert. Das geht heute
so nicht mehr.

Ist Calmund ein Schlitzohr?
Im positiven Sinne, ja.


Haben Sie das Schlitzohrige von ihm übernommen?
Jeder versucht es in diesem Geschäft auf seine Art.


Haben Sie in all den Jahren, in denen Sie eng mit Calmund
zusammengearbeitet haben, Ihr Gewicht halten können?


Natürlich habe ich zugenommen. Essen ist für Calli mehr
als nur Essen, es ist für ihn Erzählen und Zelebrieren. Mit
Calli den ganzen Tag zusammen sein und nicht zunehmen,
das geht gar nicht.

Das ist wahrscheinlich noch niemandem gelungen.
Auch mir nicht. Ich kann doch nicht zaubern, ich bin ja
nicht David Copperfield.
Sie wurden Sportdirektor bei Bayer 04 Leverkusen, später


Geschäftsführer Sport. Aber das Geschäft hat sich seither
sehr verändert.


Die finanzielle Größenordnung ist heute eine ganz andere.
Verhandlungen wie damals in Brasilien sind heute kaum
noch machbar. Heute kann man Spieler nicht mehr ent-
decken. Die sind alle schon entdeckt.

Was heißt das?
Sie brauchen sich nicht einzubilden, dass Sie ein Talent
aus dem Hut zaubern, das noch niemand vor Ihnen ge-
sehen hat. Alle größeren Vereine haben professionelle
Scouting-Abteilungen, die auf riesige Datenbanken zu-
rückgreifen. Da stehen die Namen der Spieler alle drin.
Sie drücken auf einen Knopf, und schon erscheinen die
Namen.


Das klingt sehr technisch.
Ist es auch. Es geht heute um etwas anderes: darum, einem
Spieler klarzumachen, warum er zu uns kommen muss
und was wir ihm abgesehen vom Geld bieten können.
Aber wir entdecken ihn nicht. Ousmane Dembélé, der
früher in Dortmund unter Vertrag war und heute für den
FC Barcelona spielt, ist ein gutes Beispiel. Den hatten die
Dortmunder ja nicht entdeckt, er stand bei vielen ambi-
tionierten Clubs auf dem Zettel. Die Dortmunder fanden
dann aber die Mittel, ihn an sich zu binden.


Sie entscheiden auch über Schicksale, zum Beispiel über
das Schicksal von Trainern. Wie machen Sie das – einen


Trainer entlassen?
Ich sage es ihm, anders geht es ja nicht.


Sie rufen ihn an?
Nein, nein, kein Telefonat. Das mache ich immer per-
sönlich. Im Fall von Heiko Herrlich – das war kurz vor
Weihnachten letzten Jahres – bin ich zu ihm nach Hause
gefahren und habe es ihm gesagt. Bei einem anderen Trai-
ner haben wir es in einer Kneipe besprochen, bei einer gu-


ten Flasche Wein. Ich habe zu ihm gesagt: »Es ist vorbei«,
habe es ihm erklärt und ihm am Ende, bei einer zweiten
Flasche, die Hand gegeben. Das gehört leider auch zum
Geschäft. Aber mir ist es wichtig, dass man sich danach
immer noch in die Augen schauen kann.
Interessieren Sie sich auch für Frauenfußball?
Wir haben ja eine Frauenmannschaft hier im Verein, wir
unterstützen das. Aber ich sitze nicht regelmäßig vor dem
Fernseher und sehe mir das an.
Auch nicht, als die Fußball-WM der Frauen ausgestrahlt
wurde?
Ich habe nicht ganz so intensiv hingeschaut, nicht jedes
Spiel der deutschen Mannschaft gesehen. Aber das Endspiel
habe ich nicht verpasst.
Kennen Sie einzelne Spielerinnen?
Bei einem solch großen Turnier werden natürlich eini-
ge Spielerinnen medial gehypt, das bekommt man dann
schon mit.
Gibt es einen Spieler, zu dem Sie ein besonderes Verhältnis
haben?
Ich habe zu vielen Ex-Spielern einen guten Draht. Einem
aber bin ich zu großem, großem Dank verpflichtet:
Markus Münch, linker Verteidiger. Manchem sagt dieser
Name vielleicht nichts mehr. Aber in Leverkusen ist das
anders. In den Geschichtsbüchern von Bayer 04 hat er
seinen Platz auf jeden Fall gefunden, in meinem Herzen
allemal. Ihm vor allem haben wir zu verdanken, dass wir
1996 nicht abgestiegen sind. Fast in letzter Minute wurde
hier ein Märchen aufgeführt – und wir waren gerettet.
Für Markus Münch war damals längst klar, dass er in der
folgenden Bundesligasaison zu Bayern München wechseln
würde. Außerdem hatte er starke Schmerzen in der Leiste,
konnte deshalb kaum trainieren, hätte sich eigentlich ope-
rieren lassen müssen, kämpfte aber bei uns wie ein Be-
sessener gegen den Abstieg. Ich kenne viele andere, die
in einer solchen Situation gesagt hätten: Tut mir leid, ich
kann nicht laufen.
Allzu viele Tore hat Markus Münch nicht geschossen.
Mit etwas Übertreibung könnte man sagen: Er war ein
klasse Spieler, der aber nicht mal im Training ein Tor
geschossen hat. Seine Tore in der Bundesliga kann man
wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Aber er hat sich
für uns eingesetzt wie kein Zweiter. Das rechne ich ihm
hoch an. Und ausgerechnet er hat uns mit seinem Treffer
kurz vor Schluss damals gerettet. Vermutlich wäre der
Weg dieses Vereins ein ganz anderer geworden, wenn wir
damals abgestiegen wären. In diesem Jahr spielt Bayer 04
Leverkusen stattdessen zum zwölften Mal in der Cham-
pions League. Das ist großartig. Deshalb: Sollte Markus
Münch mal vor unserem Stadion auftauchen und keine
Karte haben, kriegt er von mir eine. Egal, ob wir gegen
Bayern München oder Real Madrid spielen und er mich
erst eine Minute vor dem Spielbeginn anruft – Markus
Münch bekommt eine Karte. Und wenn kein Platz mehr
frei sein sollte, dann kriegt er meinen.

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