Die Zeit - 15.08.2019

(Tuis.) #1
von ZEIT-A utorenkö nnenSieauch hören,donnerstags 7. 20 Uhr.

Filmkritiken


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  1. August 2019 DIE ZEIT No 34 FEUILLETON 39


An einem heißen Sommertag empfängt Roger
Daltrey in einem gut gekühlten Luxushotel im
Zentrum Londons. Schon von Weitem ist seine
Stimme zu hören, genauer gesagt sein donnern-
des Lachen. Seit einem halben Jahrhundert ist
der Brite berühmt als Sänger der Rockband
The Who, die mehr als 100 Millionen Platten
verkaufte mit Hits wie »My Generation«,
»I Can’t Explain« oder »Pinball Wizard«.
In diesem Jahrtausend sind Daltrey und der
Who-Gitarrist und -Songwriter Pete Towns-
hend die letzten Überlebenden der Band.
Zuletzt ver öffent lichte der verblüffend vitale
75-jährige Daltrey eine Neueinspielung des
Who-Klassikers »Tommy« als Orchesterversion.

DIE ZEIT: Mr. Daltrey, Ihre stimme ist immer
noch erstaunlich kräftig. Hatten sie eigentlich
jemals gesangsunterricht?
Roger Daltrey: Nein, den brauchte ich nie. Diese
stimme ist ein wildes tier, das ich immer ganz gut
im griff hatte.
ZEIT: Vor einem halben Jahrhundert erschien das
legendäre Who-Album Tommy, und sie traten
beim Woodstock-Festival auf. Brachten Festivals
eigentlich mehr spaß als normale Konzerte?
Daltrey: Ich habe da nie einen unterschied
gemacht: Hauptsache, wir wurden bezahlt.
ZEIT: War geld so wichtig?
Daltrey: Das kann man wohl sagen: Wir hatten
damals unglaublich viele schulden. und wenn
man kein geld hat, ist es ziemlich wichtig, sich für
seine Arbeit bezahlen zu lassen.
ZEIT: sie hatten Bestseller-Alben und spielten in
vollen Hallen: Wie konnten sie pleite sein?
Daltrey: Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir beka-
men in jenen Jahren um die 500 Pfund pro Auf-
tritt. Bekanntermaßen zertrümmerte Pete am
Ende jedes Konzerts seine gitarre, die aber dum-
merweise 600 Pfund kostete. Man muss kein
genie sein, um sich auszurechnen, dass diese
Rechnung nicht aufgeht. Natürlich wurde immer
mal wieder darüber diskutiert, ob wirklich jedes
Mal diese gitarre dran glauben muss, aber Pete
war da unbeirrbar.
ZEIT: Dass Pete townshend so letztlich einen
Mythos erschuf, ist aber unbezahlbar, oder?
Daltrey: Das wussten wir natürlich auch, und
irgendwann war der schuldenberg so immens
hoch, dass wir dachten, wir könnten ihn niemals
zurückzahlen, was letztlich nur noch absurd lustig
war. Wir hatten dann glück, dass die Verfilmung
unseres Albums Tommy eine Menge geld ein-
spielte. genug jedenfalls, dass wir danach schul-
denfrei waren.
ZEIT: Ihr damaliger Manager Kit Lambert wollte
Tommy angeblich mit großem Orchester einspielen
lassen, so wie sie es jetzt getan haben, was damals
nur daran gescheitert sei, dass es zu kostspielig
gewesen wäre. stimmt das?
Daltrey: Ich habe das als gerücht gehört. Es würde
aber passen, da Kit von Haus aus einen klassischen
Hintergrund hatte. Er wollte deshalb auch eine
Rockoper realisieren. Es ging uns damals schon
darum, zu beweisen, dass Rockmusik mehr sein
kann als eine dreiminütige single. Was im
umkehrschluss nicht bedeuten soll, dass drei-
minütige Rocksongs nicht großartig sind.
ZEIT: Mögen sie klassische Musik?
Daltrey: Manchmal schon. Es gibt da so viele hüb-
sche Melodien. Aber die texte bei Opern sind mir
immer ein Rätsel geblieben. Die Opern von Richard
Wagner finde ich allerdings besonders toll, und
manchmal haben die mich in ihrem Bombast ein
wenig an songs von Pete erinnert.
ZEIT: Haben sie Pete das jemals gesagt?
Daltrey: Natürlich nicht! sind sie verrückt? Aber
ich mag beide sehr.
ZEIT: sie haben gerade eine neue, live mit Orches-
ter eingespielte Ver sion des Who-Klassikers Tommy
veröffentlicht. Aufgenommen wurde das Album in
Bethel, dem Ort, an dem vor einem halben Jahr-
hundert das Woodstock-Festival über die Bühne
ging. War das ein Déjà-vu?
Daltrey: Ich erinnere mich vor allem an unsere
Reise dorthin. Damals sah es dort völlig anders
aus als heutzutage. Bethel war eine sehr ländliche

gegend, überall waren Farmen. Es war eine rich-
tige Wildnis. Ich erinnere mich weniger an unsere
Musik als an die Atmosphäre dort in jener Nacht.
Da lag tatsächlich etwas Besonderes in der Luft.
und unser Auftritt war magisch.
ZEIT: Was war denn so besonders damals?
Daltrey: Das erkläre ich immer den Leuten, die
mir sagen, the Who seien die stars von Wood-
stock gewesen, was unsinn ist. Der einzige star in
Wood stock war das Publikum, denn die Men-
schen, die sich auf den Weg zu diesem Festival
gemacht hatten, waren tatsächlich die Ersten, die
der amerikanischen Regierung klarmachten, dass
diese jungen Menschen nicht willens waren, sich
im Viet nam krieg verheizen zu lassen. und ich
glaube, dass damit ein umdenken in der amerika-
nischen Regierung einsetzte. Wood stock war
nicht der Beginn, aber sicher ein Meilenstein im
Prozess, diesen Krieg zu be enden. Davon bin ich
fest überzeugt.
ZEIT: Der Aktivist Abbie Hoffman stürmte wäh-
rend Ihres Auftritts auf die Bühne, um eine politi-
sche Rede zu halten ...
Daltrey: ... und ich schaute amüsiert zu, wie Pete
ihn ratzfatz wieder von unserer Bühne runterbeför-
derte. und dachte mir: Der typ sucht Ärger, den
soll er bekommen. Bekam er dann ja auch.
ZEIT: Bei Ihren Konzerten herrscht heutzutage
Rauchverbot. Ist das die Kehrtwende von Wood-
stock?
Daltrey: Das hat damit nichts zu tun, sondern mit
meinem gesundheitlichen Zustand. Ich muss mei-
ne stimme schonen. Ich reagiere völlig allergisch
auf den Rauch von Zigaretten und ganz besonders
Joints. Wenn ich den inhaliere, verabschiedet sich
meine stimme umgehend. Wenn also jemand bei
einem Konzert nahe der Bühne raucht, riskiert er,
dass die ganze show den Bach runtergeht.
ZEIT: sie waren aber auch nie ein Freund harter
Drogen, oder?
Daltrey: Nein, ich habe nie chemische substanzen
genutzt, nur ab und zu mal etwas gras geraucht.
und auch das eher selten, aber ich schäme mich
nicht dafür. Ich hatte damals einen Freund, der als
Chemiker unter anderem für die amerikanische
Regierung gearbeitet hat, und der beschwor mich,
die Finger von harten Drogen zu lassen, weil die
wirklich gefährlich seien. Er merkte dezent an, dass
ich ein eher aufbrausender Charakter sei, und
führte aus, dass es riskant sei, diese Eigenschaft
noch weiter zu entfachen. Er machte mir klar, dass
ich nie etwas Härteres als gras nehmen sollte, und
daran habe ich mich gehalten.
ZEIT: glauben sie, dass der geist von Woodstock
die gesellschaft verändert hat, wie es gerne
beschworen wird?
Daltrey: Das denke ich nicht. Die Dinge liefen
vorher nicht gut, und nach Wood stock mussten
wir uns mit dem gleichen Mist herumschlagen.
(lautes Gelächter)
ZEIT: Also wird Woodstock letztlich verklärt?
Daltrey: Das auch nicht. sehen sie, wir waren alle
jung, also in einem Alter, in dem die Welt viel
Magie bietet, die verfliegt, wenn man älter wird.
Damals war die Welt bunt und beschwingt. sie
hatten in Deutschland Ihre eigene Magie, ein
Land, das die tris tesse der Nachkriegsjahre ein-
drucksvoll abschüttelte. Die Nachkriegsjahre
waren in Europa wirklich finster. Es war eine
dunkle Welt, die nach den sechzigern und auch
dank Wood stock ein wenig farbiger geworden war.
Da hatte die Jugend endlich wieder das Licht ange-
macht. Es war ein magisches Jahrzehnt.
ZEIT: Wie machten die Jugendlichen das Licht an?
Daltrey: Diese generation hatte einfach nur das
richtige Alter erreicht. unsere Eltern waren noch
in der schockstarre nach dem Zweiten Weltkrieg
gefangen. Aber Ende der sechziger waren die Kin-
der endlich alt genug, um die Dinge zu ändern
und einfach darüber zu sprechen. unsere Eltern
hatten versucht, das alles totzuschweigen, aber das
funktionierte für ihre Kinder nun mal nicht. Ich
bin in einer schwarz-weißen Welt aufgewachsen,
manchmal gab es nach dem Krieg nichts zu essen,
aber wir kamen dennoch über die Runden. In den
sechzigern machte sich unsere generation dann
bemerkbar. Ich glaube, dass wir es leichter hatten

als die Jugend dieser tage, weil wir wussten, wo
wir hinwollten.
ZEIT: Wie haben sie gegen Ihre Eltern rebelliert?
Daltrey: Überhaupt nicht. Ich wollte, dass es denen
gut geht. Es waren wie gesagt andere Zeiten, das
Überleben stand an erster stelle. Wissen sie, wo
ich am ersten tag nach meinem 15. geburtstag
war? Ich war in einer Fabrik und habe gearbeitet.
so war das eben damals: Man nannte es Alltag. »I
was born with a plastic spoon in my mouth«, schrieb
Pete mal in dem song Sub sti tute. Das ist für mich
immer noch eine der besten Zeilen der Rock-’n’-
Roll-geschichte.
ZEIT: Haben Ihre Kinder gegen sie rebelliert?
Daltrey: Haben sie tatsächlich auch nicht. Ich habe
ihnen den Wind aus den segeln genommen,
indem ich zu ihnen sagte: Ich möchte, dass ihr alles
macht, was ich auch gemacht habe. Dann habt ihr
das, was man ein Leben nennt.
ZEIT: Hat Musik in diesem Jahrtausend noch die
Wucht, die sie zu Woodstock-Zeiten hatte?
Daltrey: Vermutlich nicht, weil auch die themen
für junge Leute so viel mehr geworden sind. Frü-
her sprach man über neue Alben, heute über neue
Netflix-serien. Das eine ist nicht besser oder
schlechter als das andere, es ist einfach nur anders.
Ich habe das gefühl, dass meine Enkel aus über
tausend tV-Kanälen wählen können, von denen
die meisten nur Müll bieten. Da bleibt jedenfalls
kaum Raum für Musik.
ZEIT: In den siebzigern veröffentlichten sie zu-
nehmend Konzeptalben. sind the Who mit
Wood stock und Tommy erwachsen geworden?
Daltrey: Erwachsen? Ich weiß nicht. Wird man je
erwachsen? Nach Woodstock und Tommy hatten

wir jedenfalls ein sehr viel größeres Publikum.
Aber die sache war zwiespältig, denn von da an
stand Pete unter enormem Druck, das »nächste
große Ding« liefern zu müssen. Andererseits gaben
ihm diese triumphe ein enormes selbstbewusst-
sein. the Who hatten sich von einer »single-Band«
in eine »Album-Band« verwandelt.
ZEIT: In diesem Jahrtausend gilt Rockmusik als
Auslaufmodell. sehen sie das auch so?
Daltrey: Nein, damit stimme ich absolut nicht
überein. Das sind subjektive sichtweisen. Aller-
dings hat sich die Rockkultur eben verändert, die
tricks sind nun alle bekannt, alles hat schon mal
irgendwer ausprobiert. Aber tot ist der Rock ’n’
Roll deshalb noch lange nicht. the Who gibt es ja
auch noch. unser neues Album wird noch im Lau-
fe des Jahres erscheinen.
ZEIT: Wie altert man in Würde?
Daltrey: Das frage ich mich auch. Ich war ziemlich
skeptisch, bevor mir Pete die neuen songs vorstell-
te. und, nun ja, es sind großartige songs, aber eher
für ein towns hend- solo album als für the Who.
Ich habe mich gefragt, wie ich mich in diesen
songs einbringen kann. Da war einiges, was mir
weniger gut gefiel, wo ich mir nicht vorstellen
konnte, dass ich es singen könnte. Wir hatten
dann ausgiebige gespräche und änderten hier und
da etwas, damit ich mit dieser Musik klarkomme.
und nun sind wir an einem Punkt, der ziemlich
spannend ist und der these, dass Rock tot sei,
ziemlich widerspricht.
ZEIT: Wie hat sich Ihr stets angespanntes Verhält-
nis zu Ihrem Who-Partner Pete towns hend mit
den Jahren entwickelt?
Daltrey: Wir brüllen uns immer noch regelmäßig
an, dass der andere sich zum teufel scheren möge.
Aber das ist doch das Wunderbare an unserer Be-
ziehung, dass wir uns gegenseitig an die Kehle
gehen können und dennoch immer ein gutes Ver-
hältnis zu ein an der gehabt haben.

Das gespräch führte Christoph Dallach

»Wird man je


erwachsen?«


Roger Daltrey, sänger der britischen Band The Who,


über die Musik von Richard Wagner, das Publikum von


Woodstock und das Zertrümmern teurer gitarren


Roger Daltrey
beim Woodstock-
Festival im
August 1969

Foto (Ausschnitt): Intertopics/ddp

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