Die Zeit - 15.08.2019

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  1. August 2019 DIE ZEIT No 34


Die heiligen texte der alten Weltreligionen
waren bekanntlich schwer zu deuten, aber was
mehrfachen schriftsinn und andere schikanen
anlangt, sind die Pressemitteilungen moderner
Marketing-gurus auch nicht mehr so ohne –
sehr anspruchsvoll zum Beispiel die Verkündi-
gung einer gewissen Albina Haxhimusa, die
neulich den text »Asiks x Kiko Kostadinov
gel-sokat InfinitytM II« an uns mailte. schon
das x lässt stutzen. sollte da etwas multipliziert
werden? In Richtung Zahlenmystik oder so?
und im text kommt es noch dicker: »Der gel-
sokat InfinitytM II baut auf der ersten sokat-
silhouette von Asics und Kito Kostadinov aus
ss19 auf. Wie auch der Vorgänger ist dieser Re-
lease mit einer 360 grad geltM Mittelsohle
ausgestattet und verfügt über ein innovatives
upper.« Was ist ein upper? und was macht es
innovativ? Ist Mittelsohle so etwas wie Mittel-
erde, ein mythologischer schauplatz, vielleicht
von den geschwistern Asics und Kiko entwor-
fen, während eines gemeinsamen studiums im
sommersemester 2019? Rätselhaft auch die Fi-
gur des gel-sokat, vor allem, da man ihn sich
offenbar nicht als physisches Objekt vorstellen
darf, sondern nur als Release, also eine Veröf-
fentlichung von was auch immer, einer Bot-
schaft? Die ins unendliche (»Infinity«) weist?
Jedenfalls scheint die triviale Deutung des so-
kat als schuh ausgeschlossen, auch wenn es
weiter im text heißt: »Inspiriert von Asics
Basketball schuhen zeichnet sich der gel-sokat
InfinitytM II durch einen erhöhten schaft und
eine verlängerte Zunge aus.« Hier muss man
offenbar genau lesen – der sokat wird keines-
wegs mit dem Basketballschuh gleichgesetzt, er
ist von einem solchen nur »inspiriert«. Also un-
gefähr so, wie ein Ananasbonbon ja auch keine
Ananas ist, sondern nur von dem geschmack
der Ananas inspiriert wird? streckt der sokat
seine Zunge heraus, weil er den Irrtum ahnt
oder weil er sich nach dem Aroma des sport-
schuhs verzehrt? »Wie auf der Kiko Kostadinov
AW 19 Runway show erstmalig vorgeführt, er-
scheint der gel-sokat InfinitytM II in zwei
Farben Coffee/Coffee und Carrier grey/silver.
Die beiden Colorways greifen die sportiven
und eher dunkleren Momente der Kollektion
auf.« Dunklere Momente! Ist damit der beque-
me Weg gemeint, der in die Hölle führt? Of-
fenbar stellt auch der sokat mit seiner Frage
nach dem richtigen »Colorway« den Menschen
vor eine existenzielle Entscheidung, die jeder
für sich, aber hoffentlich eher sportiv, also für
den steilen Weg zum Himmel (»Carrier grey/
silver«) zu treffen hat. FINIS

M


arode Wohnhäuser, wind-
schiefe Werkstätten, damp-
fende Köfte-Buffets. Wer
direkt hinter den Luxusho-
tels an Istanbuls taksim-
Platz den gewundenen
gässchen die talsenke
hinab zum goldenen Horn folgt, fühlt sich in das
Istanbul der sechzigerjahre zurückversetzt. Bis er
plötzlich vor einem schimmernden Massiv steht.
In dem wuseligen Arbeiter- und Handwerker-
viertel Dolapdere erhebt sich unvermittelt ein
glänzendes Bauwerk, 40 Meter hoch, 70 Meter
breit, die Wäscheleinen der Nachbarn nur eine
Armlänge entfernt. Es ist das größte Kunstmu-
seum der türkei und wird von vielen mit span-
nung erwartet.
gegründet und finanziert wurde das gewaltige
Museum von einer der einflussreichsten Familien in
der türkei, der Industriellenfamilie Koç. schon seit
2010 hatten sie das »Arter – space for Art«
betrieben, einen vergleichsweise bescheidenen
Ausstellungsraum in Istanbuls Innenstadt. Dann
konnten sie den Londoner Architekten Nicholas
grim shaw gewinnen, bekannt für seine Liebe zu
technoiden Entwürfen und verantwortlich für den
gigantischen neuen Istanbuler Flughafen. Für die
Koçs hat er zwei raffiniert verschränkte großkuben
errichtet, verkleidet mit einer Art schuppenhaut,
einem hellbraunen Ornamentgitter aus konvexen
und konkaven 3-D-Paneelen, die dem kantigen
Bau zu glitzernder Leichtigkeit verhelfen. Die


Ein Haus als


sanfte Macht


Inmitten der politischen Krise wird in Istanbul das größte


Kunstmuseum der türkei eröffnet – ein Hoffnungszeichen?


VON INGO AREND


Das neue Museum Arter,
hineingestellt in ein
Arbeiterviertel

reflektierende Fassade verwandelt das grelle tages-
licht in ein ständig wechselndes Farbenspiel.
Mit dem neuen Arter erweitert der 1926 aus
einem gemischtwarenladen hervorgegangene groß-
konzern Koç sein gewaltiges Philanthropie-Portfolio
und bekommt für seine sammlung endlich den an-
gemessenen Rahmen. Erst 2007 gegründet, umfasst
sie mittlerweile fast 1300 Werke, von denen die
Hälfte von Künstlern aus der türkei und dem Nahen
Osten stammt. Die andere Hälfte kommt aus aller
Welt und unterstreicht den internationalen
Anspruch der sammlung.
Wer sich allerdings von der Eröffnung des
gebäudes einen politischen Knalleffekt erwartet,
wird enttäuscht sein. Als das Vorgängermuseum vor
neun Jahren seine Arbeit aufnahm, durfte Michael
sailstorfer im schaufenster an der Istiklâl Caddesi,
Istanbuls tag und Nacht pulsierender Einkaufs-
meile, einen grünen Plastikpanzer aufstellen. Der-
gleichen wird es dieses Mal nicht geben, wenngleich
der kunstvernarrte Koç-Clan durchaus als AKP-
kritisch gilt und also mit den gegenwärtigen politi-
schen Verhältnissen mehr als unglücklich sein
dürfte. Der Chefkurator des Arters, Emre Baykal,
hat mit seinem team aus der großen sammlung
sieben subtile Einzelschauen erarbeitet, die nun zur
Eröffnung des Neubaus gezeigt werden.
Wenig überraschend ist die solo-Ausstellung
für Ayşe Erkmen, die sich routiniert darauf ver-
steht, ortsspezifische Installationen in szene zu
setzen. Weit spannender dagegen die Prä sen ta-
tion für Altan gürman, einen vergessenen

Ready made-Pionier der siebzigerjahre. Mit sei-
nen Werken legen die Kuratoren eine histori-
sche Achse durch fünf der insgesamt vierzehn
stockwerke (sieben unter, sieben über der Erde).
In mancherlei Hinsicht wirkt die Architek-
tur wie eine Reprise der Neunziger, auch im
Inneren, wo sich weite weiße Hallen an ein an-
der rei hen. Dennoch muss man das Projekt als
ein soziales und sehr gegenwärtiges Experiment
verstehen. Anders als der Vorgängerbau auf der
Istiklâl Caddesi, wo ein konsumgeiles Laufpu-
blikum überwog, wagt sich das Arter vor in die
kunstferne untere Mittelschicht, auch wenn
sich das Viertel schon seit etwas längerer Zeit
verwandelt und sich links des Arters eine
schneise neuer Luxushotels und verspiegelter
Bürosilos bis zum goldenen Horn zieht. türki-
sche Zeitungen haben Dolapdere schon in
»Wynwood« umgetauft, nach dem Kunstbezirk
in Miami.
Die gentrifizierung ist also in vollem gan-
ge, allerdings ist der gründungsdirektor Melih
Fereli, ein versierter Fahrensmann des Istanbu-
ler Kulturmanagements, sehr darum bemüht,
die Nachbarschaft einzubinden, mit speziellen
Eintrittskarten und regelmäßigen treffs für die
Anwohner. Wer will, kann darin auch ein state-
ment sehen.
Private sponsoren wie Koç füllen in der tür-
kei das kunstpolitische Vakuum, wenngleich
ihr En gage ment von deutlichen selbstwider-
sprüchen durchzogen ist. Einerseits produziert

Koç Militärfahrzeuge und profitiert vom auto-
ritären Re gime. Andererseits verhilft die Fami-
lie der kritischen gegenwartskunst zu deutli-
cher sichtbarkeit und hält die Fahne der
Moderne hoch.
Hale tengers legendäre Arbeit We didn’t go
out side; we were always on the out side / We didn’t
go in side; we were always on the in side steht eben
nicht in einer öffentlichen sammlung, sondern
im Arter. Mit diesem Werk, einem von hohen
stacheldrahtzäunen eingefassten Wachhäus-
chen, hatte die Matadorin der neuen türkischen
Kunst 1995 das gefühl des Eingeschlossenseins
thematisiert, ein gefühl, das vielen Menschen
heute wieder bekannt vorkommt.
Mit Werken wie diesem erweist sich das
Arter, was auf türkisch auch Arterie bedeutet,
als schlag ader ästhetischer Zeitgenossenschaft.
Nicht zufällig spricht Melih Fereli von Kunst
als »soft power« und »nachhaltiger Plattform für
Meinungsfreiheit«. Dahinter steht das vitale
Interesse am Erhalt einer liberalen Öffentlich-
keit. so gesehen sind am Bosporus private Mu-
seumsbauten immer kulturpolitische Akte,
eröffnen sie doch visuelle Freiräume, in denen
Menschen lernen können, was die stunde
geschlagen hat. Der Künstler Cengiz Çekil hat
auf 48 Frontseiten türkischer tageszeitungen
die Frage gedruckt: »Saat Kaç?« (Wie spät ist
es?) Im neuen Museum, das am 13. september
eröffnet, werden diese seiten gleich in der Ein-
gangshalle zu sehen sein.

Letzte


Das


FEUILLETON 43


Abb.: Ayşe Erkmen »Blue Stone«, 2019 (Foto: FluFoto); Illustration: Pia Bublies für DIE ZEIT; Foto: Andreas Pein/laif

Z


wei Künstler aus meinem Bekanntenkreis
wollen Berlin verlassen. Eine österreichische
Autorin, die seit 20 Jahren in der Haupt-
stadt lebt, schätzt »das leichte Leben und die rei-
che Kultur« hier (ich übrigens auch). Nun kündig-
te sie an, nach Wien ziehen zu wollen. In ihrem
Berliner Viertel liegen die Mieten bei 2000 Euro,
in Wien kosten sie nur ein Drittel dieser summe.
Wer wie ich derzeit eine Wohnung sucht, versteht
sehr gut, warum man für das »reiche und prunkende«
Wien das »arme, aber sexy« Berlin aufgibt. Eine
kleine Wohnung in einem kulturell reichen Quartier
bezahlen zu können wird selbst für jene, die diesen
Reichtum produzieren, immer schwieriger. Ver-
gangene Woche musste ich bei einer Wohnungsbe-
sichtigung einen Lebenslauf wie auf Jobsuche vor-
legen, um unter 80 Bewerbern eine Chance zu haben.
Bei einem jährlichen Zuzug von 40.000 Men-
schen kommt der Wohnungsbau nicht nach, die
Mieten sind explodiert. und was die Multikultura-
lität angeht: Der chinesische Künstler Ai Weiwei

kündigte an, Berlin verlassen zu wollen. Wenn ein
Künstler, der nach seiner Haft in China sein schaf-
fen in Berlin fortsetzte, weggehen will, ist das für
mich, der nach seiner Haft in der türkei ebenfalls
sein schaffen hier fortsetzt, natürlich von Bedeu-
tung. Deshalb sah ich mir seine Worte genau an. Ai
Weiwei klagt, die deutsche kulturelle Hegemonie
lasse keinen Raum für abweichende stimmen. Er
erwähnt Diskriminierung durch taxifahrer, und der
Leitung der Berlinale wirft er vor, sich dem Druck
chinesischer Finanziers zu beugen und dissidente
Filme auszusperren. Die Leitung der Berlinale wie
auch andere nach Deutschland immigrierte Künst-
ler widersprechen ihm allerdings.
Es mag wie Luxus wirken, wenn Dissidenten aus
China oder der türkei über die grenzen der deut-
schen Debattenkultur klagen. Doch die meisten
haben in ihren Ländern für die Überwindung von
Diskursgrenzen gekämpft – und Berlin hat die
geflüchteten mit offenen Armen empfangen. Des-
halb sollte die »Hauptstadt der Exilierten« die Kritik

ernst nehmen, um diesen titel zu behalten. Für mich
gilt: seit ich hier bin, habe ich mich trotz »kulturel-
ler Differenzen« in der Berliner Intellektuellenwelt
und der bunten Diasporafamilie nie fremd gefühlt.
Doch es wäre unrealistisch, zu sagen, Berlin sei nicht
von den Problemen betroffen, die der gewaltige
Flüchtlingsstrom in aller Welt verursacht hat. Dis-
kriminierung durch taxifahrer ist ein häufig ge-
nanntes Beispiel. Kurz nach meiner Ankunft ver-
weigerte mir zum Beispiel ein Briefträger meine Post,
weil ich Englisch sprach: »Hier ist Deutschland, hier
spricht man Deutsch.« Egal wie anerkannt man ist


  • es ist verletzend, wenn sich jemand plötzlich derart
    diskriminierend verhält. Die Haut im Exil ist dünn.
    Ein Autor, der in der türkei ziemlich beliebt ist,
    kehrte nach einiger Zeit nach Berlin zurück. seine
    Begründung: »Die Verlage, bei denen ich mein Ma-
    nuskript einreichte, sagten: ›Wir hatten anderes von
    Ihnen erwartet.‹ Als ich nachhakte, wurde mir klar,
    dass die Erwartungen sich darauf beschränkten, von
    mir etwas über die türkei zu bekommen. Man gab


MEINE
TÜRKEI (153)

Dünn ist die


Haut im Exil


Berlin muss die Hauptstadt der


Exilierten bleiben VON CAN DÜNDAR


Can Dündar ist Chefredakteur
der Internetplattform »Özgürüz«.
Er schreibt für uns wöchentlich über
die Krise in der türkei

mir zu verstehen, nur deutsche Autoren hätten das
Privileg, universale themen zu bearbeiten.«
Obwohl die Offenheit der Bevölkerung und der
Intellektuellenkreise für abweichende Ideen groß ist,
stehen viele stiftungen und unternehmen aus Angst vor
den Reaktionen aus der türkei regierungskritischen
Projekten distanziert gegenüber. Ob Ai Weiwei in New
York, das er nun vermutlich Berlin vorzieht, ein toleran-
teres Klima vorfindet? Das bezweifle ich. Doch da die
Welt zunehmend in die Pranke der Intoleranz gerät,
wäre es gut, wenn Berlin über die gründe derer nach-
denken würde, die ihm den Rücken kehren. Die stadt
muss Zufluchtsort für Exilierte bleiben. Arm, aber sexy.

Aus dem türkischen von Sabine Adatape

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