Der Stern - 08.08.2019

(Ann) #1

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den jeweiligen Sphären etwas erreichen
oder bewegen zu können. Dadurch erfährt
sie sich auch selbst als beweglich, als be-
rührbar.“
Es geht also um Kontakt, Verbundenheit,
um Offenheit, um wechselseitiges Senden
und Empfangen. Auch im übertragenen
Sinne. Natürlich kann uns ein Musikstück
nicht im wortwörtlichen Sinn anfassen,
aber wir beschreiben unbewusst Resonanz,
wenn wir sagen: „Das Lied berührt mich“
oder „Dieses Bild spricht mich an“. Meist
geschieht das im Zustand eines unbewuss-

ten Zulassens. Man kann nicht beschließen,
dass einen der Garten erfüllt. Man kann nicht
wollen, dass einen ein Bild berührt. Und man
kann sich auch nicht vornehmen, sich zu
verlieben. Es geschieht. Resonanz ist, wenn
die Welt antwortet, obwohl man gar nicht
bemerkt hat, dass man gefragt hat.

Kontakt zum Lebendigen
Sehr viele Menschen suchen und finden
dieses Gefühl in der Natur. Im Kontakt zum
Lebendigen, Ursprünglichen. So wie Meike
Winnemuth, die „es wachsen ließ“, wie sie sagt.
Schrebergärten sind in, halb Deutschland
wandert, und spätestens seit uns der Förster
Peter Wohlleben in die Geheimnisse des
Waldes eingeweiht hat, ist der wieder ein
Sehnsuchtsort. 32 Prozent der Landfläche in
Deutschland sind mit Wald bedeckt. Die Welt
macht uns ein Angebot. Man muss es nur
annehmen. „Waldbaden“ nennt sich denn
auch ein aktueller Trend. Die Buchläden sind
voll von Büchern zu diesem Thema. Spötter
mögen jetzt einwenden, dass man so etwas
früher schlicht spazieren gehen nannte,
aber das trifft es nicht. „Waldbaden“ ist mehr.
Man läuft hier nicht einfach nur grummelig
durch den nächstgelegenen Forst, sondern
taucht bewusst ein in ein Biotop, in eine Welt
voller Bäume, anderer Düfte, wo der Boden
weich ist und die Luft rein, wo die Geräusche
der Wildnis vernehmbar sind – wenn wir
denn hinhören, statt Kopfhörer zu tragen.
Die in Deutschland lebende Japanerin und
Autorin Miki Sakamoto nennt das Wald-
baden-Phänomen eine „nach außen gerich-
tete Meditation“.
Man kann über derartige Trends lächeln
und sie für Eskapismus halten: Hey, lasst uns
alle Bäume umarmen! Aber hinter der Sehn-
sucht nach mehr Resonanz steckt eine tiefe
Krise unserer Gesellschaft.
Es ist die wachsende
Angst vor dem, was Hart-
mut Rosa das „Weltver-
stummen“ nennt: „Wenn
wir uns von nichts mehr
anrufen und verwandeln
lassen, oder wenn wir auf
die zahlreichen Stimmen da draußen nicht
mehr selbstwirksam zu antworten vermö-
gen, sind wir innerlich tot, versteinert, kurz:
resonanzunfähig.“ Es ist das Leben in den im-
mer gleichen Bahnen, das Rosa meint. Wir
funktionieren, statt zu leben. Wo sind die Be-
gegnungen, die Dinge, die uns anrühren und
verwandeln, unsere Stimmung aufhellen,
festgefahrene Haltungen infrage stellen?
Auch der Soziologe Harald Welzer sieht uns
in einer Sinnkrise. „Alexa kann ja alles bestel-
len und das Smartphone einem jedes Denken
abnehmen“, schrieb Welzer kürzlich im

Wir funktionieren,


statt zu


Hinsehen
Es ist Zeit,
wieder Raum
für das wirklich
Wichtige zu
schaffen, für
bewusstes Wahr-
nehmen und
ungeplanten Spaß

leben“



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