Die Welt - 12.08.2019

(vip2019) #1
dungsverträge von Frauen gingen 2018
um ein Prozent zurück, die von Männern
stiegen hingegen um 2,6 Prozent.
2018 haben 25 Prozent weniger Frau-
en eine duale Ausbildung begonnen als


  1. Das Institut der Deutschen Wirt-
    schaft (IW) hat für WELT Berechnun-
    gen auf der Basis von Daten des Bundes-
    instituts für Berufsbildung und des Sta-
    tistischen Bundesamtes zu den vergan-
    genen fünf Jahren angestellt. Von 2013
    bis 2018 gab es demnach etwa 18.300 we-
    niger neu abgeschlossene Ausbildungs-
    verträge mit Frauen in der dualen Be-
    rufsausbildung (ein Minus von 8,7 Pro-
    zent). Bei Männern ist die Zahl der Aus-
    bildungsanfänger im dualen System da-
    gegen sogar gestiegen (plus 20.800 be-
    ziehungsweise 6,7 Prozent im gleichen
    Zeitraum).
    „Frauen zeigen eine starke Tendenz,
    höhere Bildungsabschlüsse zu erwerben
    als Männer, das gilt sowohl bei den mitt-
    leren Schulabschlüssen als auch in Abi-
    tur und Studium“, sagt Michaela Kuhn-
    henne, Referentin für Bildung in der Ar-
    beitswelt bei der Hans-Böckler-Stiftung.


A


ls vor wenigen Tagen die
neuen Zahlen zum Ausbil-
dungsjahr 2018 veröffent-
licht wurden, erschienen
die Presseberichte oft mit
Fotos, die Männer an einer Maschine
zeigten. Ein Klischee. Eines, das nur
noch dadurch übertroffen wurde, dass
diese Männer häufig arabisch oder süd-
ländisch aussahen. Im Prinzip werden
damit unbewusst zwei gesellschaftliche
Denkmuster weiter gefestigt. Das erste
besagt, dass Ausländer – oder die, die
man dafür hält – generell Berufsausbil-
dungenmachen und nicht studieren.

VON THOMAS VITZTHUM

Das zweite – und wesentlich wirk-
mächtigere – zielt darauf ab, dass Ausbil-
dung eher was für Männer sei, die an Ma-
schinen in besonderem Maße. Diese
Denkmuster ändern sich offenbar nicht,
im Gegenteil. Laut den Zahlen des Statis-
tischen Bundesamts ergreifen Frauen im-
mer seltener einen dualen Ausbildungs-
beruf. Die neu abgeschlossenen Ausbil-

Tatsächlich zeigt sich bei den Studien-
anfängern ein ganz anderes Bild als in
den Ausbildungsberufen. Hier geht der
Frauenanteil nicht runter – er steigt.
Laut den aktuellsten Zahlen der Hoch-
schulrektorenkonferenz fingen im Stu-
dienjahr 2019 rund 262.000 Frauen ein
Studium an, aber nur 248.000 Männer.
Das ist auch keine neue Entwicklung
mehr, wie sich beim Blick auf die Absol-
ventenzahlen offenbart. Auch hier über-
wiegen bereits die Frauen mit 255.
gegenüber 246.000 Männern. Nur bei
den Promotionen sind die Frauen noch
deutlich im Rückstand.
Ludger Wößmann, Bildungsökonom
vom Ifo-Institut in München, macht
auch politische Entscheidungen für die
Entwicklung verantwortlich. „Es wurde
viel dafür getan, dass Frauen heute we-
gen der Familienplanungnicht mehr
den langfristigen Ausstieg aus dem Be-
ruf mitdenken müssen.“ Früher hätten
Frauen oft Berufe ergriffen, bei denen
ihrer Meinung nach der Verlust an Le-
benszeit oder Geld für die Ausbildung
nicht so schwer wog, wenn sie diesen

dann für die Kindererziehung aufgaben.
Das waren dann häufig klassische Büro-
Jobs oder der Einzelhandel. Genau hier
spürt die Wirtschaft denn auch die
größten Rückgänge. Laut IW geht der
Rückgang weiblicher Auszubildender
im dualen System primär auf Rückgänge
in kaufmännischen Berufen zurück (mi-
nus 21.000 seit 2013, was 16,1 Prozent
entspricht). Oft bleiben diese Stellen
unbesetzt, die Männer rücken nicht
entsprechend nach.
Auch in Berufen im Einkauf, Vertrieb
und Handel gibt es heute 20 Prozent
weniger neue weibliche Azubis als noch
vor fünf Jahren. Hier haben die Männer
mit einem Plus von fünf Prozent für ei-
nen geringfügigen Ausgleich gesorgt.
„Frauen lassen sich die wenig lukrativen
Berufe mit geringem Einkommen und
wenig Aufstiegschancen heute nicht
mehr so einfach gefallen wie früher“,
stellt Wößmann fest. „Die Ansprüche
von Frauen an ihre Berufstätigkeit und
auch an ihr Einkommen sind gestie-
gen“, sagte Kuhnhenne.
So erleben etwa medizinische Beru-
fffe, die an Fachschulen gelehrt werden,e, die an Fachschulen gelehrt werden,
einen Aufschwung bei den Frauen. Die
Löhne dieser Berufe liegen deutlich
über jenen im dualen System ausgebil-
deten Gesundheitsberufen. Laut dem
Berufsbildungsbericht der Bundesre-
gierung sind 76,2 Prozent der Auszubil-
denden im Gesundheitswesen Frauen.
Die Frauen, die der dualen Ausbildung
also verloren gehen, landen häufig in
diesem Bereich und nicht nur an den
Universitäten.
Dass Frauen heute zu höheren Bil-
dungsabschlüssen tendieren, hängt
auch damit zusammen, dass Gesell-
schaft und Politik dies über viele Jahre
eingefordert haben. Als die Zahl der
Frauen an den Unis mit den Männern
gleichzog, galt dies als Errungenschaft.
Doch inzwischen stellt sich ein Missver-
hältnis ein. Schon an den Gymnasien
sind mehr Mädchen als Jungs vertreten.
Das Streben nach immer höheren Ab-
schlüssen hat inzwischen seinen Preis,
den auch die Frauen bezahlen. So ist es
keinesfalls garantiert, dass etwa ein
Chemie-Studium zu einem höheren
Einkommen führt als eine Ausbildung
in der chemischen Industrie. „Frauen
wählen weiterhin häufig Studienfächer
mit unterdurchschnittlichen Jobchan-
cen wie etwa Germanistik, Anglistik,
Biologie, die jeweils einen Frauenanteil
von 67 bis 80 Prozent haben, während
ihr Anteil in stärker benötigten Fächern
wie Informatik nur langsam steigt“, sagt
IW-Referent Alexander Burstedde.
Der Fachkräftemangel schlägt sich in
der besseren Entlohnungfür Berufe
nieder, die aus einer dualen Ausbildung
hervorgehen. Geschlechterparität bei
den nachgefragten Ausbildungsberufen
wäre für die Wirtschaft besser als ein
weiterer Zulauf an den Universitäten.
Doch die Entwicklung dürfte erst ein-
mal so weitergehen. „Das Berufswahl-
verhalten ist ziemlich träge. Es ändert
sich wenig“, sagt Burstedde.
AAAuch Kuhnhenne von der Böckler-uch Kuhnhenne von der Böckler-
Stiftung ist überzeugt: „Die Zuschrei-
bung von Berufen für Männer und für
Frauen muss endlich durchbrochen
werden.“ Vielleicht sollte man also zur
AAAbwechslung einmal eine Frau an einerbwechslung einmal eine Frau an einer
Maschine zeigen – und einen Mann in
der Kita.

Frauen lassen


Männer in den


Ausbildungsberufen


allein


Seit Jahren sinkt hierzulande der Frauenanteil in


der dualen Berufsausbildung. Was steckt hinter


der Entwicklung, die weitreichende Konsequenzen


für die Arbeits- und Berufswelt hat?


5


12.08.19 Montag, 12. August 2019DWBE-HP


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DIE WELT MONTAG,12.AUGUST2019* POLITIK 5


AAAugust Bebel hatten das vor. Also inugust Bebel hatten das vor. Also in
dem Haus, in dem wir uns befinden.
Das hieß damals „Goldener Löwe“ und
war ein Gasthaus. Aber dann gab es da
einen Riesenrabatz, und man ging rü-
ber inss Hotel „Zum Mohren“. Das wa-
ren schon eine Menge Leute. 262 Dele-
gierte aus Deutschland, Österreich, Un-
garn, Frankreich und der Schweiz. Und
es gab noch eine andere Arbeitergrup-
pe, die sich Schweitzerianer nannte.
Ist eigentlich auch egal. Jedenfalls
wwwurde am 8. August 1869 das Eisen-urde am 8. August 1869 das Eisen-
acher Programm beschlossen, das
Gründungsprogramm der Sozialdemo-
kratischen Arbeiterpartei. Das war der
VVVorgänger der SPD, und deswegen wirdorgänger der SPD, und deswegen wird
historisch eher großzügig ausgelegt
heute 150 Jahre SPD gefeiert.
Der Musiker von der Musikhoch-
schule Weimar sitzt im Obergeschoss
der Gedenkstätte „Goldener Löwe“
quietschfidel hinter seinem E-Piano.
An der Wand hängt ein goldener Löwe.
Und auch Bilder von Wilhelm Lieb-
knecht, der übrigens der Vater von Karl
Liebknecht war, und August Bebel.
Der Musiker spielt also ein Lied, in
dem sich das lyrische Ich den Arbeits-
tag eines knallharten Kapitalisten vor-
stellt. „Ich sitze im Büro, ganz nach
oben kam ich schnell“, singt er zu tän-
zelnden Akkorden. Und stellt dann fest,

D


ass die Feier so richtig gut wird,
kann man in dem Moment ah-
nen, als der Ansager mit der
Fliege verkündet, dass der Musiker von
der Musikhochschule Weimar auch ge-
kommen ist. Und dann meint der Ansa-
ger: „Wir werden deinen Stücken lau-
schen.“ Wir sind in Eisenach (Thürin-
gen), um 150 Jahre SPD zu feiern. Die
Friedrich-Ebert-Stiftung und die Au-
gust-Bebel-Gesellschaft haben dazu
eingeladen. Das Programm hat, wie es
sich für ein Festival gehört, auch einen
strikten Zeitplan. 17 Uhr: Eröffnung mit
Musik. Dann spricht der Vorsitzende
der August-Bebel-Gesellschaft, Michael
Klostermann, also der nette Mann mit
der Fliege, den den Musiker ankündigt.
Als Festredner hat man Babette Winter
eingeladen, Thüringer Staatssekretä-
rin, und Michael Roth, den Staatsminis-
ter der Bundesregierung für Europa.
Natürlich beide SPD-Mitglieder.

VON FRÉDÉRIC SCHWILDEN
AUS EISENACH

Das mit der 150-Jahr-Feier ist ein
bisschen kompliziert. Weil 1869 in Ei-
senach streng genommen gar nicht die
SPD gegründet wurde, sondern die
SDAP, die Sozialdemokratische Arbei-
terpartei. Also Wilhelm Liebknecht und

dass er für diese Karriere absolut nichts
tun muss. Auf „Ich, männlich, weiß, he-
tero und cis“ reimt er „haben viele Vor-
urteile, weil das mal so ist“.
Die Festgemeinschaft ist eine Mi-
schung aus Rentnern, Alt-Sozialdemo-
kraten und Eisenacher Prominenz wie
dem parteilosen Bürgermeister Uwe
Möller. Der sieht aus wie die noch
knuddelbärigere Variante von Martin
Schulz.
Die Staatssekretärin Babette Winter
sitzt in ihrem weißen Kostüm mit
dunklen Ziernähten da, und dann ist da
noch Michael Roth. Der trägt einen
wirklich fabelhaft sitzenden Anzug in
Dunkelblau. Also der passt wirklich gut
zu ihm. Es ist nicht so wie bei den An-
zügen von Heiko Maas, die viel zu eng
und viel zu klein sind und vor allen Din-
gen auch aussehen, als ob er sich ver-
kleiden würde. Michael Roth, 48, wirkt
kein bisschen verkleidet, sondern ein-
fffach nur richtig. Weil der Saal so kleinach nur richtig. Weil der Saal so klein
ist, haben sie noch einen zweiten Saal
daneben geöffnet, wo eher jüngere Leu-
te sitzen und das Geschehen auf einer
Leinwand verfolgen können. Für Si-
cherheit sorgen zwei Männer der örtli-
chen Feuerwehr.
Sie sitzen in ihren Feuerwehroutfits
vor einer holzvertäfelten Wand, auf der
ein Zitat von August Bebel steht. „Frie-

den soll an die Stelle des Krieges treten,
gegenseitige Dienste und Sympathie an
die Stelle streitenden Eigenwillens und
die Solidarität der Interessen an die
Stelle der Selbstsucht.“ Ist natürlich
nicht so catchy wie „If life gives you le-
mons, make lemonade“ oder „Save wa-
ter, drink champagne“, aber interessant
ist das natürlich schon.
WWWahrscheinlich haben die Sozialde-ahrscheinlich haben die Sozialde-
mokraten nicht nur die Sozialdemokra-
tie, sondern auch witzige Nachdenksprü-
che für die Wand erfunden. Aber genau
wie in der großen Koalition bekommt je-
mand anders den Applaus dafür.
In einer aktuellen Umfrage für „Bild“
kam heraus, dass, wenn morgen Bun-
destagswahl wäre, die SPD nur noch auf
1 1,5 Prozent käme. 1972 kam die SPD auf
4 5,8 Prozent. Die SPD knackt gerade ei-
nen Negativrekord nach dem anderen.
Nachdem die Partei innerhalb von
nur zwei Jahren Sigmar Gabriel, Martin
Schulz und Andrea Nahles als Partei-
vorsitzende davongejagt hat, sucht sie
nach einer neuen Doppelspitze. Und
wenn man darüber nachdenkt, ist es
noch absurder, dass sie in Eisenach ge-
rade ein Theaterstück aufführen, in
dem August Bebel wiederauferstanden
ist und der Bebel-Darsteller, sich auf
den Hitler-Roman von Timur Vermes
beziehend, sagt: „Ich bin wieder da.“

Da stehen tatsächlich zwei Schau-
spieler im „Goldenen Löwen“. Ein
Mann im Gehrock und mit Backenbart
und eine Frau in weißer Bluse mit blau-
en Vögeln drauf. Mit großen Gesten
ffführen sie Kleinkunst auf. „Meine Da-ühren sie Kleinkunst auf. „Meine Da-
me“, sagt Bebel, „ich bin seit dem 13.
AAAugust 1913 tot.“ „Sind Sie vielleicht einugust 1913 tot.“ „Sind Sie vielleicht ein
Klon?“, fragt die Dame. „Aber ich bin
doch kein Clown“, antwortet Bebel.
Natürlich weiß Bebel nichts vom
Klonen. Das Stück dauert vielleicht 20
Minuten, fühlt sich aber wie Jahrtau-
sende an. Die Tochter der Frau, die mit
dem wiederauferstandenen Bebel da
steht, ist übrigens Schuh-Influencerin.
Bebel denkt natürlich an Influenza und
kondoliert. Tatsächlich gibt es keine
bessere Beschreibung für die derzeitige
SPD: hilflos und den Anschluss an die
Zeit verloren.
Als Michael Roth dann seine Festre-
de beginnt, ist das anders. Da steht ein
junger, schöner, schwuler Mann. Er
steht aufrecht da. So steht keiner da,
der in der Vergangenheit lebt, so steht
einer, der in die Zukunft gehen will. Er
ist einer derjenigen, die sich für die
neue geschlechtergemischte Doppel-
spitze der SPD bewerben. Bis zum 1.
September können Bewerbungen abge-
geben werden. Zusammen mit Christi-
na Kampmann, einer Landtagsabgeord-

neten aus Nordrhein-Westfalen, möch-
te Roth die SPD anführen.
Roth, der als Staatsminister bisher
einen guten, weil unauffälligen Job in
Berlin gemacht hat, tastet sich auf der
1 50-Jahr-Feier in Eisenach an die kleine
Bühne heran, um bald die große zu be-
treten. Roth könnte der Löwe sein, den
die SPD so dringend braucht: „Wir wa-
ren immer Bündnispartner der Frei-
heit, der Demokratie, der Menschen-
rechte und des Friedens. Das kann uns
niemand absprechen, weder Monar-
chisten noch Kommunisten, noch Fa-
schisten, die uns verfolgt haben, die uns
ins KZ gebracht haben.“ Er tischt groß
auf, weiß aber, dass er recht hat.
Roth ruft: „Die Zeiten sind vorbei,
wo die Männer von ihren Frauen den
Rücken freigehalten bekommen und die
dafür alle 30 Jahre einen Blumenstrauß
bekommen haben.“ Er sagt: „Digitali-
sierung muss die große Chance sein, die
alle zusammenbringt.“ Roth sagt nicht
den Weltuntergang voraus. Den Kapita-
lismus will er auch nicht abschaffen. Er
will ihm ein „menschliches Antlitz ver-
leihen“. Er schaut positiv in eine Zu-
kunft, die er gestalten will.
Rauch und Dunst vom Bratwurstgrill
ziehen von unten in den Saal nach
oben. Roth kriegt lang anhaltenden Ap-
plaus. Der goldene Löwe hat gebrüllt.

Es brüllt der Löwe, den die SPD so dringend braucht


In Eisenach feiert die kriselnde Partei ihr 150-jähriges Bestehen. Mit Michael Roth präsentiert sich ein vielversprechender Kandidat für das Amt des Vorsitzenden


HONGKONG

Friedliche Proteste


schlagen in Gewalt um


In Hongkong haben Tausende Men-
schen das zehnte Wochenende in Folge
gegen die pekingtreue Regierung von
Carrie Lam protestiert. Am Sonntag
schlugen die meist friedlichen Kund-
gebungen zum Teil in Gewalt um. Im
Stadtteil Sham Shui Po versammelten
sich überwiegend junge Leute vor einer
Polizeiwache. Die Polizei setzte Trä-
nengas gegen sie ein und versuchte
vergeblich, die Menge zu zerstreuen.
Im nahe gelegenen Stadtteil Cheung
Sha Wan bewarfen einige Demons-
tranten Polizisten mit Gegenständen,
die mit dem Einsatz von Tränengas
reagierte. Mehr als 1000 schwarz ge-
kleidete Demonstranten füllten den
dritten Tag in Folge die Ankunftshallen
des internationalen Flughafens in der
chinesischen Sonderwirtschaftszone
und forderten in Sprechchören: „Be-
freit Hongkong!“

NORWEGEN

Terroranschlag auf
Moschee bei Oslo

In einem Vorort von Oslo hat ein of-
fenbar rechtsextrem und ausländer-
feindlich motivierter junger Norweger
schwer bewaffnet einen Angriff auf
eine Moschee verübt. Die Polizei
sprach von einem „versuchten Terror-
anschlag“ des etwa 20-jährigen Man-
nes, der in der Nähe der Al-Nur-Mo-
schee seinen Wohnsitz hat. In seiner
Wohnung fand die Polizei die Leiche
einer Frau, die mit dem Angreifer ver-
wandt war. Ein Moscheebesucher hatte
diesen überwältigt und dabei „leichte
Verletzungen“ erlitten. Zum Zeitpunkt
der Attacke befanden sich nur drei
Menschen in der Al-Nur-Moschee, wie
der Leiter des Gotteshauses, Irfan
Mushtaq, sagte. Den Angreifer be-
schrieb er in norwegischen Medien als
„weißen Mann“, der schwarz gekleidet
war und ein Gewehr und mehrere Pis-
tolen bei sich gehabt habe. Der Mann
habe einen Helm und eine kugelsichere
Weste getragen. Er habe um sich ge-
schossen.

JEMEN

4 0 Menschen bei
Kämpfen getötet

Bei den seit Tagen anhaltenden Kämp-
fen um die südjemenitische Hafenstadt
Aden sind nach Angaben der Vereinten
Nationen (UN) bislang 40 Menschen
getötet und 260 verletzt worden. Am
Mittwoch hatten Separatisten die Kon-
trolle über Aden übernommen, wo
Präsident Abd-Rabbu Mansur Hadi
seinen Regierungssitz hat. Hadi selbst
hält sich in der saudi-arabischen
Hauptstadt Riad auf. Eine von Saudi-
Arabien angeführte Koalition griff an
der Seite Hadis in die Kämpfe ein.

MITTELMEER

Helfer nehmen mehr als


4 00 Migranten an Bord


Im Mittelmeer ist mit dem Einsatz
eines neuen Rettungsschiffs die Zahl
der geborgenen Bootsflüchtlinge wie-
der deutlich gestiegen. Die von den
Hilfsorganisationen SOS Méditerranée
und Ärzte ohne Grenzen erstmals ein-
gesetzte „Ocean Viking“ nahm in weni-
ger als 24 Stunden 170 Migranten aus
zwei Schlauchbooten an Bord. Am
Sonntag kamen 81 weitere hinzu. Die
„Ocean Viking“ hat nun insgesamt 251
Migranten an Bord. Zunächst war un-
klar, ob das Schiff weiter in der Ret-
tungszone vor Libyen bleiben wird
oder sich auf den Weg nach Europa
macht. Die seit über einer Woche mit
121 Geretteten an Bord ausharrende
„Open Arms“ einer spanischen Hilfs-
organisation nahm vor Malta weitere
39 Menschen auf. Unklar ist, wohin
beide Schiffe fahren werden. Denn die
beiden europäischen Länder Italien
und Malta haben ihre Häfen für Flücht-
lingsschiffe dichtgemacht.

ITALIEN

Salvini will schnell
Datum für Neuwahlen

Nach seinem Bruch mit dem Regie-
rungspartner hat Italiens Innenminis-
ter Matteo Salvini auf einer vorgezoge-
nen Wahlkampftour mit Nachdruck
baldige Neuwahlen gefordert. „Das
Einzige, woran ich interessiert bin, ist,
dass wir ein Datum für die Wahl fest-
legen“, sagte der Parteivorsitzende der
rechtsextremen Lega. In Rom wurde
unterdessen über eine mögliche Re-
gierungsumbildung ohne Salvinis Lega
spekuliert. Salvini hatte am Donners-
tag die Koalition seiner rassistischen
Lega und der populistischen Fünf-
Sterne-Bewegung von Vizeregierung-
schef Luigi Di Maio nach nur 14 Mona-
ten für gescheitert erklärt, angeblich
wegen Unstimmigkeiten bei einem
großen Infrastrukturprojekt.

GROSSBRITANNIEN

Schatzkanzler plant
eine Brexit-Münze

Der britische Finanzminister Sajid
Javid will eine Brexit-Gedenkmünze in
Umlauf bringen, berichtete der „Sun-
day Telegraph“. Das 50-Penny-Geld-
stück sollte bereits zum ursprüng-
lichen EU-Austrittsdatum am 29. März
als limitiertes Sammlerstück heraus-
gegeben werden. Doch der Brexit wur-
de mehrfach verschoben, weil sich das
Parlament nicht auf das mit der EU
ausgehandelte Austrittsabkommen
einigen konnte. Nun soll die Münze
mit der Aufschrift „Frieden, Wohlstand
und Freundschaft mit allen Nationen“
nach dem Willen Javids zum neuen
Brexit-Datum am 31. Oktober millio-
nenfach in Umlauf gebracht werden.

KOMPAKT


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