Focus - 16.08.2019

(Sean Pound) #1
VERKEHR

um 1.53 Uhr an das Ministerium, dass der
Mauteinführung nichts im Weg steht: „Wir
konnten kein kritisches Defizit identifizie-
ren, das gegen eine Fortsetzung des Pro-
jektes nach Plan spräche.“ Zugleich weist
der Gutachter auf 42 mittelschwere Defi-
zite hin, „die kurzfristig behoben werden
sollten“. Die Betreiber versicherten ihrer-
seits in einer E-Mail am 17. Juni um 18.41
Uhr, also am Vorabend des EuGH-Urteils,
dass die beanstandeten Punkte fristge-
recht abgearbeitet werden.
Scheuer kündigte trotzdem – wegen
der angeblichen „Schlechtleistung“. Sei-
ne Hoffnung: Der Bund muss mit dieser
Begründung keinen Schadensersatz zah-
len, weil die Betreiber selbst schuld an der
Kündigung sind.
Doch dann machte Scheuer eine Kehrt-
wende. In der Sondersitzung des Ver-
kehrsausschusses Ende Juli erklärte er
plötzlich: Hätten die EuGH-Richter die
Maut nicht gekippt, hätte er die Verträ-
ge auch nicht gekündigt. Laut Sitzungs-
protokoll sagte Scheuer: „Werfe man die
Frage auf, ob er (der Vertrag mit den
Betreibern, Anm. der Red.) durch den
Bund auch gekündigt worden
wäre, wenn das Urteil anders
ausgefallen wäre, lautet die
Antwort: Nein.“
Was stimmt denn nun? Hat
Scheuer die Mautverträge ge-
kündigt, weil das Projekt von
EU-Richtern gestoppt wurde?
Oder war die Arbeit der Betrei-
ber zu schlecht?
Der renommierte Verwal-
tungswissenschaftler Joachim
Wieland von der Universität

Speyer ist überzeugt, Scheuer habe mit
seiner Aussage im Ausschuss die Rechts-
position des Bundes geschwächt. Es wer-
de „der Eindruck verstärkt, eigentlicher
Grund für die Kündigung sei nicht eine
Schlechtleistung der Betreiber, sondern
das Urteil gewesen“. Scheuers Ministe-
rium will dazu keine Stellung nehmen.

Die Opposition droht Scheuer mit einem
Untersuchungsausschuss
So oder so entstehen dem Bund hohe
Kosten. Bis Jahresende wird allein die
Mautvorbereitung auf staatlicher Seite
rund 81 Millionen Euro verschlungen
haben. Der FDP-Verkehrspolitiker Oliver
Luksic spricht schon von einem „Scheuer-
Euro“, den quasi jeder Steuerzahler dafür
berappen muss.
Immer wieder verweist der
Minister darauf, dass die
Betreiberfirmen Kapsch und
Eventim, denen die Verträge
gekündigt wurden, noch gar
keine offiziellen Schadens-
ersatzansprüche eingereicht
haben. Dabei gibt es sehr
wohl Kosten, die die Betreiber
nennen. Am 4. Juli schrieben
sie an das Kraftfahrt-Bundes-
amt, eine nachgeordnete Be-
hörde des Verkehrsministe-

riums: „Entsprechend unserer Ankün-
digung, Ihnen höhere Einzelkosten im
Voraus anzuzeigen, informieren wir Sie
hiermit über den Stand der Abstimmun-
gen mit den finanzierenden Banken.“
3,8 Millionen Euro Nichtabnahmeent-
schädigung würden fällig, weil ein Kre-
dit über 175 Millionen Euro nicht in
Anspruch genommen wird – zu tragen
vom Auftraggeber, dem Staat.
3,8 Millionen sind angesichts der Sum-
men, die sonst im Raum stehen, niedrig.
Von 300 Millionen bis zwei Milliarden Euro
reichen die Schätzungen. „Dass Minister
Scheuer mehrfach erklärt hat, dass ihm
keine Ansprüche der Betreiber vorlägen,
entspricht offensichtlich nicht der Wahr-
heit“, kritisiert Grünen-Verkehrsexperte
Stephan Kühn. „Es ist unfassbar, dass der
Minister alle Nachfragen nach Forderun-
gen der Betreiber stets als ,pure Speku-
lation‘ abgetan hat und die tatsächlichen
Kosten des Maut-Desasters verschweigt.“
Kühn droht mit einem Untersuchungsaus-
schuss ab Herbst.
Scheuer spielt jetzt erst einmal auf Zeit.
Verkehrspolitiker monieren, dass er noch
nicht alle Unterlagen vorgelegt hat. Hofft
er etwa, dass er die Probleme auf seinen
Nachfolger abwälzen kann? n

JAN GARVERT

Milliarden Euro
könnte das
Maut-Desaster
den Steuerzahler
kosten, schätzen
Politiker

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Das Dokument
Mautbetreiber
rechnen Minister
Scheuer vor,
was die Kündigung
kostet

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