Der Spiegel - 17.08.2019

(singke) #1

trittskarten für ein Testspiel gegen
Deutsch land im November im Wembley-
stadion verkauft worden. Das DFB-Team
spielt Ende August in der EM-Qualifikati-
on gegen Montenegro und wird das Kas-
seler Auestadion vermutlich nicht mal zur
Hälfte füllen.
Die Vermarktung der Frauennational-
mannschaft wird von vielen Experten kri-
tisiert. Es werde nicht mit dem gleichen
Aufwand gearbeitet wie bei den Männern,
der Verband gebe sich keine Mühe.
Bei einem Heimländerspiel der Frauen-
nationalmannschaft steht der sogenannte
Fanbus des DFB vor dem Stadion –
mit den Konterfeis männlicher National -
spieler.
Es gibt kaum eigene Ideen. Dabei böten
sich durchaus Möglichkeiten für kreative
Ansätze. In einem TV-Spot mit der deut-
schen Kapitänin Alexandra Popp anläss-
lich der WM wurde zum Beispiel mit Vor-
urteilen gegenüber Frauenfußball gespielt.
Die Spielerin sagte in dem Werbefilm:
»Weißt du eigentlich, wie ich heiße?« Hin-
ter dem Spot steckte allerdings nicht der
DFB, er wurde von einem Werbepartner
produziert.
Wie es besser gemacht wird, zeigt sich
in England: Dort flossen millionenschwere
Investitionen in den Sport, zur Bekannt-
gabe des WM-Kaders traten in einem Vi-
deo Prominente auf wie Prinz William
oder Schauspielerin Emma Watson. Beim
WM-Viertelfinale der Engländer saß Fuß-
ballikone David Beckham mit seiner
Tochter auf der Tribüne. Und am Piccadil-
ly Circus in London zeigten meterhohe
Banner Nationalspielerinnen. So erhält
der Frauen fußball eine ganz andere gesell-
schaftliche Relevanz.
Der DFB muss aufpassen, dass auf lange
Sicht nicht noch ein Nachwuchsproblem
hinzukommt. Wie die jährliche Bestands-
aufnahme des Deutschen Olympischen
Sportbunds zeigt, sank seit 2011, als die
Frauen-WM in Deutschland stattfand und
die Hoffnung auf einen Boom groß war,
die Zahl der Mädchen, die in Fußball -
vereinen spielen, in der Altersklasse von
7 bis 14 Jahren um über 85 000.
Für Giulia Gwinn gab es seit der frühen
Kindheit, als sie mit ihren Brüdern auf
einem Bolzplatz in Friedrichshafen kickte,
nur einen Wunsch: in einem Verein Fuß-
ball zu spielen. »Ich würde jeder jungen
Spielerin empfehlen, solange wie möglich
bei den Jungs mitzuspielen«, erzählt
Gwinn. »Da wird einem im Training schon
alles abverlangt. Die Jungs sind größer,
kräftiger, schneller. Da muss man auch im
Kopf schon zwei Schritte weiter sein.«
Zwei Schritte weiter sein. Das wäre auch
ein gutes Motto für die Entscheider im
deutschen Frauenfußball.
Jan Göbel, Marcus Krämer


Sport

F


ür Karl-Heinz Rummenigge, den
Vorstandsvorsitzenden des FC Bay-
ern München, war es ein ungewöhn-
licher Termin. Stolz und ergriffen schaute
der ehemalige Nationalspieler in die Ka-
meras, nachdem ihm der kalifornische
Senator Henry Stern eine goldgerahmte
Urkunde überreicht hatte.
Damit sollte vor einem Monat das große
Engagement des FC Bayern »bei der Sensi-
bilisierung für den Holocaust und andere
Formen des Rassismus« gewürdigt werden.
Gleichzeitig wurde im Holocaust-Museum
von Los Angeles eine Ausstellung eröffnet,
in der es um die Mitglieder des Vereins geht,
die im »Dritten Reich« von den National-
sozialisten ermordet und verfolgt worden
waren. Es sei »etwas Besonderes, dass so
ein Museum eine Ausstellung für Bayern
München macht«, sagte Rummenigge.
Die Bayern sehen sich selbst als Opfer
der Nationalsozialisten. Wegen seiner
jüdischen Wurzeln sei der Klub von den
Nazis benachteiligt worden, dem Regime
habe man länger als andere Vereine getrotzt.
Dafür steht besonders Kurt Landauer. Der
langjährige jüdische Präsident trat nach
der Machtübernahme der Nazis von sei-
nem Amt zurück. Er wurde 1938 im Kon-
zentrationslager Dachau interniert und
floh später in die Schweiz.
Vor drei Jahren veröffentlichte der His-
toriker Markwart Herzog seine Forschun-
gen, wonach es auch Täter beim FC Bay-
ern gegeben habe und der Verein keine
Sonderrolle für sich beanspruchen könne
(SPIEGEL21/2016). Die Bayern seien nach

kurzem Zögern besonders resolut gegen
die jüdischen Mitglieder vorgegangen und
hätten drei »Arierparagrafen« erlassen. Der
Beitrag schlug Wellen, manche Kritiker
warfen Herzog Übertreibungen vor. Jetzt
gefundene Dokumente zeigen aber, dass in
den Dreißiger- und Vierzigerjahren ein ein-
flussreicher Nazi den Verein geführt hat.
In Archiven und Bibliotheken in Berlin,
München und Dachau sowie in Tschechien,
in Česká Lípa, Liberec, Litoměřice und Prag,
konnte der Wissenschaftler Herzog den
Werdegang von Josef Kellner, Bayern-Prä-
sident von Juli 1938 bis April 1943, rekon-
struieren. Viele Puzzleteile fügen sich zu
einem Bild, das Kellner als überzeugten Na-
tionalsozialisten zeigt. Herzogs Forschungs-
ergebnisse erscheinen dieser Tage in einem
Aufsatz in der Zeitschrift »Stadion«**.
Bis heute ist über Kellner kaum etwas
bekannt, auf der Website des FC Bayern
und in manchen Klub-Chroniken steht
fälschlich »Dr. Franz Kellner«.
Kellner, 1891 im oberbayerischen Mies-
bach geboren, lebte vor dem Ersten Welt-
krieg in Schleißheim bei München, wo sei-
ne Eltern ein Lebensmittelgeschäft betrie-
ben. Er schlug eine Beamtenlaufbahn ein
und wurde 1910 Mitglied des FC Bayern
München. Nach der Rückkehr aus dem
Ersten Weltkrieg und einer Station als Be-
zirksamtmann in Marktheidenfeld wech-
selte er 1930 ins Bezirksamt nach Dachau
und wurde Polizeireferent.
Kellner sympathisierte mit den National-
sozialisten und beantragte seine Aufnahme
in die NSDAP. Die hielt ihn aber ohne Par-
teibuch für »wertvoller«, weil er den Fein-
den der Weimarer Republik Dienstgeheim-
nisse verriet. Wenn Parteigenossen »ein Zu-
greifen der Polizei« drohte, habe Kellner
»durch vorherige Warnung« geholfen, so
eine Parteistelle. Nach der Machtübernah-
me im Januar 1933 trat er innerhalb weni-
ger Wochen in den NS-Beamtenbund ein,
in die SA und zum 1. Mai in die NSDAP
(Mitgliedsnummer: 3 288 423).
Im NS-Staat machte Kellner schnell Kar-
riere und kehrte Mitte 1935 zurück nach
München. Die Dachauer Parteifreunde ga-
ben ihrem »treuen bewährten Kampfge-

* Mit Parteigenossen 1934 in Nürnberg.
** Markwart Herzog: »Der FC Bayern München im
›Dritten Reich‹. Ein Beitrag zur Geschichtspolitik des
deutschen Rekordmeisters«. In: »Stadion – Internatio-
nale Zeitschrift für Geschichte des Sports«. Band 43,
1/2019, Seite 18 bis 57.

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Penibler Tyrann


VereineDer FC Bayern München sieht sich selbst als Opfer des
Nationalsozialismus. Neue Dokumente belegen nun,
dass ein früherer Präsident ein einflussreicher Nazi war.

STAATARCHIV DACHAU

Nationalsozialist Kellner (M.)*
»Vorherige Warnung«
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