Der Spiegel - 17.08.2019

(singke) #1

fährten« einen Festakt. Zum Abschied
schenkten sie ihm eine Hitlerbüste. End-
lich würden »hohe Stellen mit National -
sozialisten und Frontkämpfern besetzt«.
Kellner hinterließ den Aufruf, »im Dienst
für Volk, Führer und Vaterland immer vo-
ranzugehen«.
In München stieg Kellner in der NSDAP-
Hierarchie zum Gauhauptstellenleiter auf.
1938 wirkte er als Beisitzer der Dienststraf-
kammer München an mindestens vier Ur-
teilen gegen Beamte mit, die sich angeblich
staatsfeindlich geäußert, die Partei beleidigt
oder Kontakte mit Juden gehabt hatten.
Alle Beklagten wurden schuldig gespro-
chen, ihr Gehalt oder ihre Pension gekürzt.
In einem Fall traf es einen Augsburger
Polizeihauptwachtmeister, der vier Schach-
teln Zigaretten vom jüdischen Inhaber eines
Tabakladens als Geschenk angenommen
und einem jüdischen Kaufmann eine Ein-
trittskarte für einen Ball zum Kauf angebo-
ten hatte. Zeugen hätten die Szene so auf-
gefasst, »dass ein Polizeibeamter zu einem
Juden zum Betteln geht«. Wegen eines
»schweren Dienstvergehens« kürzte die
Strafkammer das Gehalt des Beamten für
ein Jahr um zehn Prozent seiner Bezüge.
Das Urteil mit der Unterschrift Kellners
trägt das Datum des 28. September 1938.
Da war er seit gut zwei Monaten der Präsi-
dent des FC Bayern München. Auf der Jah-
reshauptversammlung hatten ihn die Mit-
glieder einstimmig zum Präsidenten gewählt.
Nach der Besetzung des Sudetengebiets
durch deutsche Soldaten im Herbst 1938
wurde der Bayern-Präsident zum Landrat
und damit obersten Kommunalbeamten
in Česká Lípa (Böhmisch Leipa) berufen,
einer Stadt 70 Kilometer südöstlich von
Dresden. Dort meldete sich Kellner mit
einem Doktortitel an. Fotografien zeigen
Kellner in Uniform mit nationalsozialisti-
schen Parteigrößen und Ministern, beim
Empfang deutscher Truppen in der Stadt.


In Česká Lípa gab es eine Synagoge, die
wie der größte Teil der jüdischen Gebets-
häuser in Deutschland während der No-
vemberpogrome 1938 geplündert und zer-
stört wurde. Eine Fotografie aus der Samm-
lung der Wissenschaftlichen Bibliothek in
Liberec zeigt Kellner zusammen mit Josef
Thurner, dem nationalsozialistischen Bür-
germeister der Stadt, vor dieser Synagoge.
Auf der Rückseite des Fotos steht in Blei-
stiftschrift: »Tempelbrand in Leipa




    1. 38«, ein verharmlosender Begriff für
      das Pogrom. Das Feuer im Gotteshaus hatte
      am 10. November noch gelöscht werden
      können. Daraufhin zündeten es die Natio-
      nalsozialisten einen Tag später erneut an.




An seiner neuen Wirkungsstätte lebte
Kellners zweite Ehefrau, eine Kreisfrauen-
schaftsleiterin der NSDAP, die ein Sport-
geschäft führte. Sie bewohnte in Česká
Lípa ein Haus, das jüdischen Textilunter-
nehmern gehört hatte und 1938 »arisiert«,
also von den Deutschen enteignet worden
war.
Nach weiteren Stationen in Łódź und
Poznań landete Kellner beim Reichsstadt-
halter des Sudetengaus in Liberec (Rei-
chenberg). Der befand, Kellners Beziehun-
gen zur Partei seien »gut und vertrauens-
voll«. Am Ende des Krieges wurde Kellner
von der tschechischen Polizei in Prag fest-
genommen. Den Behörden zufolge hatte
er sich »tyrannisch gegenüber den Tsche-
chen« verhalten und »sie um ihren Besitz
gebracht«. Kellner starb am 31. Dezember
1946 in Haft und wurde in einem Gemein-
schaftsgrab in Prag beigesetzt.

Für Kellner, der einen »Arierparagra-
fen« des FC Bayern unterschrieb, aber
überwiegend nicht in München war, führte
sein Stellvertreter Franz Paul Nusshart die
Geschäfte des Klubs. Nusshart war Volks-
schullehrer, der NSDAP trat er nicht bei.
Nach dem Krieg behauptete er wie so viele
Deutsche, als »entschiedener Gegner des
Nationalsozialismus« bekannt gewesen zu
sein und deshalb von der Gestapo »mehr-
stündig verhört« worden zu sein. Er habe
den Hitlergruß verweigert und seine Schü-
ler davon abgehalten, die Reden des »Füh-
rers« zu hören.
Zeitgenössische Quellen zeichnen auch
von Nusshart ein anderes Bild. Auf einer
Mitgliederversammlung des FC Bayern
München im April 1940 beklagte er das
»ruchlose Attentat«, das Georg Elser ein
halbes Jahr zuvor im Münchner Bürger-
bräukeller auf Hitler verübt hatte. Der
Zweite Weltkrieg hatte inzwischen begon-
nen, und 243 Vereinsmitglieder waren zur
Wehrmacht einberufen worden. Nusshart
war laut Protokoll »stolz darauf, dass so
viele Mitglieder unter den Waffen« stan-
den. Es sei »augenblicklich nicht wichtig,
dass Fußball gespielt werde, sondern dass
Deutschland den ihm aufgezwungenen
Kampf siegreich bestehe«.
Der FC Bayern hatte nach den ersten
Veröffentlichungen Herzogs das renom-
mierte Institut für Zeitgeschichte in Mün-
chen damit beauftragt, die Geschichte des
Klubs im Nationalsozialismus wissen-
schaftlich aufzuarbeiten. Das Projekt star-
tete im März vergangenen Jahres, es ist
auf drei Jahre angelegt. Der Verein trägt
die Kosten. Das Institut teilt mit, dass es
»dabei keinerlei Weisungen« durch den FC
Bayern München unterliege. Es wird sich
auch intensiv mit den Biografien Kellners
und Nussharts beschäftigen müssen.
Andreas Meyhoff

DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019 123

SAMPICS / PICTURE ALLIANCE
Fan-Choreografie im Andenken an den jüdischen Präsidenten Landauer 2014 in der Münchner Allianz-Arena: »Etwas Besonderes«

Kellner sympathisierte
mit den Nationalsozialis-
ten und beantragte seine
Aufnahme in die NSDAP.
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