Der Spiegel - 17.08.2019

(singke) #1
Gesellschaft

mit dessen Stellvertreter und einer Pro -
fessorin für Kirchenrecht. Sie achten da-
rauf, ob er Sätze zu Ende führt und Blick-
kontakt hält. Weiß er, worauf er sich
einlässt? Hat er sich mit den Gelübden
Gehorsam und Ehelosigkeit auseinander-
gesetzt? Ist er sich seiner sexuellen Orien-
tierung sicher?
Der Regens des Borromaeums heißt
Hartmut Niehues und ist 47 Jahre alt. Wei-
cher Händedruck, Strickjacke, Turnschu-
he. Niehues war selbst Seminarist in Müns-
ter, seit 2011 ist er der Chef.
Um 12.15 Uhr treffen sich Strei-
tenbürger und die anderen in der
Marienkapelle zur Sext, die zum
Stundengebet gehört, das sie täg-
lich sprechen sollen. Danach be-
ginnt das Mittagessen.
Niehues sitzt am ersten Tisch ne-
ben einem Spiritual. Ein Spiritual
ist ein Priester, dem sich die Semi-
naristen anvertrauen können, ohne
dass der Regens es erfährt. Ein
Beichtvater. René Streitenbürger
redet mit Jan Sienert, die beiden
sind so was wie die Klassenspre-
cher der Kandidaten. Halbwegs
voll ist der Saal nur, weil 25 indi-
sche Priester, die im Bistum Müns-
ter ihren Dienst verrichten, im Bor-
romaeum eine Fortbildung ma-
chen: Gastarbeiter Gottes.
Es gibt Salat vom Büfett, Möh-
rengemüse mit Bratwurst, dazu stil-
les Wasser. Man muss schnell essen,
denn nach einer halben Stunde ist
die Mittagspause beendet.
Danach stellen sich die Priester-
anwärter im Kreis auf.
»Aus der Kühlung in der Haus-
wirtschaft wurde Hackfleisch ge-
klaut«, sagt Streitenbürger.
»Internatskram«, sagt der Regens.
»Das Internet auf dem Zimmer
bricht ständig ab«, sagt ein Semi-
narist.
»Haben wir auf dem Zettel«, ant-
wortet Jan Sienert.
An einem anderen Tag läuft Sienert
nachmittags in die vierte Etage, er muss
zur Stimmbildung, gemeinsam mit Lukas
Mey. Ihr Lehrer, ein Kirchenmusiker im
Kurzarmhemd, sitzt am Klavier. Um lo-
cker zu werden, sollen sich Sienert und
Mey auf die Brust trommeln. Sie singen:
»Herr, wie zahlreich sind deine Werke! Mit
Weisheit hast du sie alle gemacht, die Erde
ist voll von deinen Geschöpfen.« 30 Mi-
nuten dauert der Unterricht, anschließend
setzen sich die beiden Seminaristen an den
Schreibtisch, sie müssen noch lernen.
Jan Sienert will seine Magisterarbeit
über Dogmatik und Pastoraltheologie
schreiben. In drei Jahren, wenn alles nor-
mal läuft, wird ihn der Essener Bischof
zum Priester weihen.


Sienert ist 28, er stammt aus Gladbeck,
vor seiner Tür liegt eine Matte mit der
Aufschrift »Ruhrpott«. Auf dem Kleider-
schrank: Gin-Flaschen. An der Wand: ein
Foto der Christusstatue in Rio de Janeiro.
Schon während der Schulzeit wusste Sie-
nert, dass er Priester werden wollte. Er war
Messdiener und Pfadfinder, später absol-
vierte er eine Lehre zum Erzieher. Am Bor-
romaeum waren sie in seinem Jahrgang zu
zwölft, fünf sind noch übrig. Fast alle Kan-
didaten steigen aus, weil sie eine Frau ken-
nenlernen. Oder einen Mann.

Jan Sienert ist ein vorsichtiger Ge-
sprächspartner. Als Seminarist hat man
keinen Ausbildungsvertrag, der Regens
kann einen jederzeit rauswerfen.
Fragt man Sienert, ob die katholische
Kirche noch zeitgemäß sei, antwortet er,
sie werde auf jeden Fall zeitgemäß geführt.
Jeder Konzern habe Hierarchiestufen, und
an der Spitze stehe überall ein Boss, der
bestimme, wo es langgeht.
Wieso will er Priester werden?
»Weil ich den Leuten beweisen möchte,
dass die katholische Kirche auch ohne
Missbrauch und Machtspiele funktioniert.«
Er wundert sich, dass Priester zwar
Traktoren segnen, aber keine homosexu-
ellen Paare. Er findet, auch Schwule soll-
ten Priester werden dürfen. Entscheidend

sei, ob man »keusch bleiben will und
kann«. In der Rahmenordnung des Vati-
kans für die Priesterausbildung heißt es,
Männer mit »tief sitzenden homosexuel-
len Tendenzen« würden nicht zur Weihe
zugelassen. Was »tief sitzend« bedeutet,
ist Interpretationssache.
Mittwochs ist im Borromaeum »Coeli-
Bar«-Abend. Die Coeli-Bar ist der Party-
keller im Priesterseminar. Der Name
kommt vom lateinischen Wort »coelum«,
Himmel. Ein gelb gestrichener Raum mit
blauer Sofagarnitur. Das Bier kostet einen
Euro. Lukas Mey schraubt an der
Zapfanlage rum, irgendwas mit
dem Gasdruck. Der Regens spielt
Tischfußball.
An der Theke wartet ein Semi-
narist mit Einstecktuch im Jackett
auf ein Pils. Ein anderer bestellt ein
Kölsch. Einige Kandidaten disku-
tieren über die Initiative Maria 2.0,
die fordert, dass Frauen alle kirch-
lichen Ämter einnehmen dürfen.
»Weibliche Priester, das geht
nicht«, sagt einer. »Gott hat seinen
Sohn zu den Menschen geschickt –
einen Mann. Jesus hat laut Bibel
zwölf Apostel erwählt – Männer.
In dieser Tradition lebt die katho-
lische Kirche.«
Lukas Mey ist anderer Meinung:
»Ich könnte mir durchaus auch vor-
stellen, dass mir später eine Frau
vorgesetzt wäre.«
Drei Wochen später findet im
Borromaeum ein Gästeabend statt,
das Wetter ist so gut, dass man
draußen feiern kann.
Über Facebook haben sich 136
Leute angemeldet – Freunde, Be-
kannte, Kommilitonen. Auf dem
Hof stehen zehn Tische und ein
Bierwagen mit 180 Humpen. Beim
letzten Gästeabend hat einer in den
Regenschirmständer gekotzt.
Der Abend beginnt mit einem
Gottesdienst, René Streitenbürger
und Lukas Mey sind die Ministran-
ten. Streitenbürger streift sich in der Sa-
kristei einen Talar über, der nicht bis zu
den Knöcheln reicht. Er betrachtet sich im
Spiegel. »Hochwasser mag ich nicht«, sagt
er. »Aber die Leute sollen auch nicht auf
mich achten.«
»Sondern auf den Herrn«, sagt Lukas
Mey. Beide lachen.
Kurz darauf stehen sie auf dem Hof in
der Sonne und verteilen schwitzend Obla-
ten an Männer in Cargohosen und an Frau-
en, die barfuß laufen. Für die Musik sorgt
eine Band aus Keyboarder, Schlagzeuger
und einem Gitarristen in Tarnfleckhose.
Dann wird gegrillt. René Streitenbürger
öffnet eine Flasche Augustiner Hell. Er
erzählt, dass er in den Ferien nach Paris
wolle.

48 DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019

Priestergewand: Die Gefühle mitnehmen ins Gebet
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