Und plötzlich sind wir am Mittelmeer.
Nicht wirklich, natürlich. Aber die Über-
raschung ist doch gelungen: Kommt man
von der Oranienburger Straße und tritt
aus dem Durchgang in die Heck-
mann-Höfe, wähnt man sich tatsächlich
in einem mediterranen Städtchen. Und
das nicht, weil da ein „Ristorante Garda“
wartet. Grund sind eher die hell gestri-
chene zweistöckigen Häuschen, die klei-
nen Läden, die Vegetation, überhaupt die
intime, freundliche Atmosphäre. Simone
Kermes kommt gern hierher. Die Sopra-
nistin wohnt nicht weit weg am Wein-
bergspark in der
Brunnenstraße.
„Man tritt in die-
senHofund istvöl-
lig woanders“,
sagt sie. Dabei
blinzelt sie ihrem
Gegenüber ver-
schmitztin die Au-
gen. Auch in ihren
Konzerten hält sie
es so, flirtet mit
dem Publikum,
zieht die Hörer
ganzinihre Perfor-
mance hinein, gibt
alles. Ihre Fans
sind regelmäßig
begeistert. „Man kann die Menschen mit
Tönen ungeheuer berühren“, sagt sie,
„aber trotzdem geht es nicht ohne Demut
gegenüber der Musik.“ Sonst würde es in
bloße Effekthascherei münden.
SimoneKermessingt hauptsächlich Ba-
rockarien. „Barock ist das A und O, die
stupende Gesangstechnik des Belcanto
ist die Basis“, erklärt sie, „kannst du Ba-
rock singen,kannstdu alles singen.“ Hän-
del ist ihr Favorit. Mit seiner Musik be-
gann ihre Laufbahn: Als 14-Jährige sang
sie im Gewandhaus zu Leipzig eine Arie -
war sofort verliebt in seine Kompositio-
nen. „Händel ist mein Seelenverwandter,
er hat mir immer Glück gebracht, mein
ganzes Leben musikalisch begleitet.“ So
trägt auch ihre aktuelle CD den Titel
„Mio Caro Händel“.
Aber Kermes’ Repertoire reicht bis in
dieGegenwart: Jacques Brel, Marlene Die-
trich, Romy Schneider. Was sie mindes-
tens genauso schätzt wie die Musik, sind
Pflanzen – sie ist Gärtnerin aus Liebe auf
ihrer eigenen Terrasse. In den Heck-
mann-Höfen stehen gerade prachtvolle
Rosenstöcke in voller Blüte. Der Wind
nimmt die Blätter, drapiert sie auf dem
Stein eines plätschernden Springbrun-
nens, als sei ein Bühnenbildner am Werk
gewesen. Ihre Lieblingsrose ist die „Al-
brecht Dürer“, sagt Kermes. Nein, nicht
der „Händel“ – auch den gibt es als Rose.
Aber er dufte nicht gut, leider.
Die Stimmen der Besucher murmeln
im Hof. Ein Gebäude aus Backstein sticht
heraus. Weil es so gar nicht mediterran
wirkt, eher preußisch, nüchtern. Was die
Erzählerin Simone Kermes gleich wieder
richtig in Fahrt bringt. Denn zu Preußen
hat sie eine besondere Beziehung. Georg
Friedrich vonPreußenund seine Frau So-
phie hat sie auf Schloss Hohenzollern in
Baden-Württemberg kennengelernt, als
sie dort bei einem Benefizkonzert auf-
trat. Sie hat beide zum Essen zu sich in
die Brunnenstraße eingeladen. Das war
vor der aktuellen Diskussion um die
Rückgabe von Schlössern und Kunstwer-
ken. „Ich habe alle möglichen Kochbü-
cher studiert, um herauszufinden, was
Friedrich der Große gern gegessen hat,
einVorfahrvon Prinz Georg.“Eswar Aal-
und Selleriesuppe, eher nichts für den
Gast. So wurde es dann doch etwas ganz
Unpreußisches: Ossobuco, geschmorte
Kalbshaxe, schön mediterran.
Das „Ristorante Garda“ lassen wir
trotzdem links liegen treten hinaus aus
den Heckmann-Höfen auf die August-
straße. Wir sprechen über die Anfänge
einer Karriere. Die begann für Simone
Kermes gar nicht weit entfernt vom Ge-
burtshaus Richard Wagners: Dort haute
sieschon früh in die Tasten – der Schreib-
maschine. Als „Facharbeiterin für
Schreibtechnik“, eine DDR-Berufsbe-
zeichnung. Später sattelte sie noch eine
Ausbildung zur Sekretärin drauf. „Ich be-
reue diese Ausbildung nicht im gerings-
ten“, sagte sie, „dadurch weiß ich, wie
man organisiert.“ Das kommt ihr heute
zugute. Denn anders als viele Sängerin-
nenist Simone Kermes ihre eigeneMana-
gerin, veranstaltet mit ihrer eigenen
Agentur Konzerte in der Philharmoniein-
klusive Ticketverkauf und Promotion,
kreiert die Lichtregie und entwirft die
Programmhefte.
„Ich habe immer schon gern gesun-
gen“, erzählt sie. Mit sieben im Kinder-
chor, mit 14 im Privatunterricht, mit 19
im Studium an der Leipziger Musikhoch-
schule „Felix Mendelssohn Bartholdy“.
Fest engagiert in einem Ensemble war sie
nur einmal, für drei Jahre am Theater Ko-
blenz, sofort nach ihrem Studium. Da-
nach startete sie freischaffend ihre inter-
nationale Karriere. Seit sechs Jahren lebt
sie in Berlin. Warum hier? Es hat, wie so
oft, mit Liebe zu tun: „Ich habe mich da-
mals privat neu entschieden .“
Wir biegen ein auf den Hof von Clär-
chens Ballhaus. Wieder Stimmengemur-
mel,Gläserklirren imSchatten grüner Bü-
sche, undvorallem: mehrere Stöckeherr-
licher Rosen. Simone Kermes führt gern
Gäste hierher, sie ist auch schon mal im
Ballhaus aufgetreten. Herrlich plaudern
lässt sich’s hier: über Sachsen, Dresden,
Leipzig, Kultur und Politik. Und über den
Opernbetrieb, dem sich Simone Kermes
mehr und mehr entzogen hat. „Ich kre-
iere meine eigene Oper: mit Konzept,
Kostümen und Kulissen. Und vor allem
mit meinem Orchester, den ,Amici Vene-
ziani’. Wir sind eine Großfamilie, ich ko-
che sogar für meine Jungs. Alles klingt
ganz anders, wenn man sich gegenseitig
respektiert und liebt. Das glatte Gegen-
teil von Intrigantenstadel.“
Das nächstes Album erscheint im Feb-
ruar 2020: „Inferno e Paradiso“, 14 Stü-
cke über die sieben Todsünden und die
sieben Tugenden. Arien von Vivaldi,
Bach, Bononcini, Hasse und Händel.
„Und weil man mich ja die Lady Gaga der
Barockmusiknennt, habe ich auch‚Poker-
face’ aufgenommen, als Symbol für Wol-
lust. Rock und Barock sind enge Ver-
wandte.“ Offizielle Premiere ist das Kon-
zert in der Philharmonie am 15. März
- Aber wer Simone Kermes schon
früher hören will: Am 24. August tritt sie
aufmit demBrandenburgischen Staatsor-
chester beim Choriner Musiksommer
auf, mit einem Mozart-Programm.
Beim Abschied vor dem Ballhaus
winkt sie noch einmal und eilt davon.
Eine Frau, die mit sich und der Welt im
Reinen ist.
CD SERIE
Den Berliner Presseball gab es erstmals
auch als Sommergala im Schloss Charlot-
tenburg. Veranstalter Mario Koss be-
grüßte am Samstagabend auch VIPs zum
erstenelegantenFestinderOrangerievon
Schloss Charlottenburg. Ehrenbürgerin
Margot Friedländer etwa wurde immer
wiederum Fotos gebeten, bevor sie inder
GroßenOrangerie Platz nehmenkonnte.
Der Regierende Bürgermeister Mi-
chael Müller war sich in dem Grußwort,
das er geschickt hatte, sicher, dass dort,
wo schon zu höfischen Zeiten gefeiert
wurde, sich auch die Berliner Stadtgesell-
schaft königlich amüsieren werde. Die
rheinland-pfälzische Ministerpräsiden-
tin Malu Dreyer ging in ihrer Gruß-
adresse auf die beiden Jubiläen ein, die
im Mittelpunkt stehen sollten: 30 Jahre
Mauerfall und 70 Jahre Grundgesetz. De-
mokratie seinicht selbstverständlich, son-
dern müsse gelebt werden und dürfe
nicht in Ritualen erstarren, gab sie den
Galagästen mit auf den Weg. Unter ande-
rem die Schauspieler Jürgen Prochnow,
Hardy Krüger Jr. und Jenny Elvers waren
gekommen sowie Sänger Gil Ofarim und
Rechtsanwältin Seyran Ates.
Ashok Sridharan, Oberbürgermeister
von Bonn, hatte viele Tipps für das Beet-
hoven-Jahr 2020 mitgebracht und gab ei-
nenÜberblick überdie umfassenden Auf-
gaben, die seine Stadt seit dem Regie-
rungsumzug übernommen hat. Die Kul-
turbürgermeisterin von Leipzig, Skadi
Jennicke, warb für Leipzig als Konzert-
stadt und für das Clara-Schumann-Fest-
jahr. Geplant waren im Laufe der Som-
mernacht zudem noch musikalische Auf-
tritte von Andrej Hermlin und seiner
Swing Dance Band sowie von Kate Ryan
und Leo Rojas.
Bis zu 1000 Euro zahlten Gäste für die
Karten zur Gala. Dafür konnten sie auf
1000 Quadratmetern Schlossgelände fla-
nieren. Zu denen zählte auch der Garten,
in dem ein großes Büfett aufgebaut war.
Das eröffnete der frühere Presseball-Ver-
anstalter Andreas Dorfmann gerade noch
rechtzeitig, bevor eine temperamentvolle
Tropicana-Show den Saal eroberte.
Zu Beginn hatte Harfenspielerin am ro-
ten Teppich die Gäste auf Klassik-Erleb-
nisseeingestimmt.EtlicheMännerhatten
sich leicht verwegen vom Sommer zu
leuchtend farbigen Anzügen inspirieren
lassen. Knapp 600 Gäste insgesamt wur-
den erwartet. Auch die Präsidentin der
Europäischen Bewegung Deutschland,
Linn Selle, hatte ein Grußwort vorberei-
tet und den Gästen einen politischen
Gedankenanstoß für ihre Gespräche mit
auf den Flanierweg gegeben: „Demokra-
tie ist keine Party, zu der man eingela-
den wird, sondern eine, die man selbst
ausrichtet.“ Elisabeth Binder
Eine Runde
Berlin
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Die schönste Mitte-Arie
Preußisch-mediterraner Spaziergang mit der Opernsängerin Simone Kermes
Eine Gala für die Demokratie
Berliner Presseball feierte im Schloss Charlottenburg Jahrestag des Mauerfalls
Streifzüge
durch die Kieze
- AUGUST 2019 / NR. 23 918 DER TAGESSPIEGELSTADTLEBEN 11
Von Udo Badelt
MITTEMITTEMITTEMITTEMITTEMITTEMITTE
Tsp/Klöpfel Spree
Torstr.Torstr.
Invalidenstr.Invalidenstr.
SSophienophien
Friedrichstr.Friedrichstr. str.str.
Oranienburger TorOranienburger Tor
Rosenthaler
Platz
Rosenthaler
Platz
Volkspark am WeinbergVolkspark am Weinberg
Heckmann-HöfeHeckmann-Höfe
Clärchens BallhausClärchens Ballhaus
Oranienburger Str.
Auguststr.
Brunnenstr.
SynagogeSynagoge
Monbijou
Park
Monbijou
Park
Hackescher
Markt
Hackescher
Markt
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Berlin
Kulturelles Pflaster.Simone Kermes hat schon an vielen großen Opernhäusern der Welt gesungen. In Clärchens Ballhaus in Mitte ist sie
aber auch schon aufgetreten. Foto: Mike Wolff