Die Welt Kompakt - 19.08.2019

(Steven Felgate) #1

2 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,19.AUGUST


Jane vor 22 Jahren. Auch seine
beiden Brüder leben inzwischen
nicht mehr: John, Manager bei
Alfa Romeo, starb im Jahr 2012,
und 2014 dann Richard, der Os-
car-prämierte Schauspieler und
Regisseur (“Gandhi“).
David Attenborough arbeitet
und reist unermüdlich weiter.
Jüngst war er in Glastonbury,
dem größten Musikfestival Euro-
pas, wo er wie ein Rockstar auf
die Bühne kam, um die 150.
Konzertbesucher zu loben, weil
sie in diesem Jahr auf dem Festi-
val auf Plastikflaschen verzichtet
hatten.

WELT: Sir David, wie war es auf
dem Festival?
SIR DAVID ATTENBOROUGH:
Was für seltsame Gestalten. So
viele Leute. Ich mag keine Men-
schenmassen.

Wegen Ihrer Theorien zur ge-
fährlichen Übervölkerung der

Wegen Ihrer Theorien zur ge-
fährlichen Übervölkerung der

Wegen Ihrer Theorien zur ge-

Welt?
Menschen in einer Masse sind
neugierige, unbeholfene Kreatu-
ren. Man weiß nie, wie sie reagie-
ren werden.

Sie standen fast zehn Minuten
auf der Bühne und haben die
Menge unterhalten.
Im Grunde habe ich doch nur
zwei Sätze gesagt. Danke, dass

S


eine Tochter Susan öff-
net die pastellfarbene
Tür von David Attenbo-
roughs Haus im idylli-
schen Richmond. „Bitte seien Sie
zurückhaltend mit Fotos und Vi-
deos“, sagt sie. „Es darf auf kei-
nen Fall erkennbar sein, wo und
wie wir wohnen.“ „Halloooo!“
Plötzlich erscheint Sir David, der
ewige Weltenbummler, aus-
nahmsweise einmal daheim im
Londoner Vorort.


VON ANTONELLO GUERRERA
AUS LONDON

Hellblaues Hemd, smaragdgrü-
ne Augen, volles weißes Haar.
Körperbau und Lächeln eines 70-
Jährigen, obwohl er 93 Jahre alt
ist, geboren 1926, zwei Wochen
nach Ihrer Majestät Königin Eli-
zabeth II., die ihn für seine For-
schung und Filme über die Natur
bereits 1985 zum Ritter schlug. In
einer diesjährigen Umfrage von
Yougov lag er in der Rangliste der
von den Briten am meisten be-
wunderten Menschen knapp vor
der Queen auf Platz eins.
Sir David führt uns in sein hel-
les, zweistöckiges Wohnzimmer.
Überall Bücher, auf beiden Eta-
gen. Afrikanische und ozeanische
Skulpturen. David Attenborough
ist hier wohnen geblieben nach
dem Tod seiner geliebten Frau


Sie erkannt haben, dass Kunst-
stoff ein Problem ist, und danke,
dass auf diesem Festival nun
nicht mehr eine Million Plastik-
flaschen Wasser gekauft wurden.
Eine Million nicht verkaufte
Wasserflaschen sind eine Menge.
Oft heißt es, es gebe nichts, was
wir tun können. Nun, natürlich
gibt es Dinge, die man tun kann.
Ich bin so erstaunt, wenn selbst
Naturschutzorganisationen, de-
ren Mitarbeiter ich für vernünfti-
ge Menschen halten würde, mir
Briefe in Plastikmappen schi-
cken. Warum? Nur weil es wich-
tig aussieht oder so. Es ist lächer-
lich. Und in denselben Briefen
steht dann, wie wichtig es ist, die
Welt zu retten. Es ist verrückt!

Sind Kunststoffe wirklich eine
so zentrale Bedrohung für die
Menschheit?
Heutzutage gibt es kurzfristige
und langfristige Bedrohungen.
Die größte langfristige Bedro-
hung ist das Wachstum der Welt-
bevölkerung, über das ich seit
vielen Jahren spreche. Aber das
Dringlichste im Moment ist der
Temperaturanstieg. Ich würde
nicht sagen, dass dies das Ende
der Welt ist, aber es sind sehr
großen Veränderungen, weil sie
so schnell ablaufen. Im Allgemei-
nen klingt ein Anstieg der Durch-
schnittstemperaturen der Welt

um zwei Grad nach nicht sehr
viel. Wenn es sich über 500, über
200 Jahre oder über 100 Jahre ab-
spielte, würde man sich anpas-
sen, Städte würden etwas anders
wachsen, man würde Landwirt-
schaft nach und nach anders be-
treiben, und so weiter. Aber
wenn es so schnell wie in 20 Jah-
ren geht, geht das nicht. So könn-
te es zu riesigen Völkerwande-
rungen aus den Teilen der Erde
kommen, die unbewohnbar wer-
den. Die heutigen Veränderun-
gen sind viel größer als je zuvor.

Sie sind pessimistisch?
Der Zeitgeist wandelt sich im-
merhin, kein Zweifel. Ich spreche
darüber seit 50 Jahren oder
mehr. Und vor Jahrzehnten dach-
te man: „Ach, dieser liebenswerte
Mann, der Schmetterlinge und
Vögel mag“, und nahm es nicht
wirklich ernst. Jetzt beginnt je-
der zu erkennen, dass wir Teil
der Natur sind und von dieser ab-
hängig. Was tun wir, wenn ganze
Teile Nordafrikas unbewohnbar
werden? Wo werden die Men-
schen hingehen? Man sieht die
Anfänge jetzt, in anderen euro-
päischen Ländern wie Italien
mehr als in meinem Land. Es ist
gut und einfach, barmherzig sein,
wenn es darum geht, dass hun-
dert oder tausend Flüchtlinge
kommen. Aber wenn es um fünf

Millionen Menschen geht, was
werden wir dann tun?

Finden Sie die neuen radikalen
Umweltbewegungen wie Fri-
daysForFuture und Aktivisten
wie Greta Thunberg gut?
Ja, man muss die Menschen mit-
nehmen, egal welcher Art und
welchen Alters und Tempera-
ments und mit welchem Grad an
Leidenschaft. Die Jugendlichen
sehen die Dinge schwarz-weiß,
sehr deutlich. Sie kennen noch
nicht alle Abers und Vielleichts
wie ältere Menschen, die womög-
lich von der Realität, von der rea-
len Welt, geläutert sind. Viel-
leicht sehen die jungen Men-
schen nicht die Komplexität der
zu lösenden Probleme und wie
man auf eine vernünftige demo-
kratische Weise damit umgehen
kann. Die gesamte Bevölkerung
demokratisch mitzunehmen ist
ein großes Problem.

Nicht alle wollen akzeptieren,
dass der Klimawandel über-
haupt ein Problem ist. US-Prä-
sident Donald Trump hat das
Pariser Klimaabkommen aufge-
kündigt.
Das Pariser Abkommen haben
wir wirklich sehr gut hingekriegt.
Es ist traurig, dass Trump sich
zurückgezogen hat, aber es gibt
viele Leute in Amerika, die damit

David Attenborough ist ein Weltstar –


und bei den Briten noch einen Tick beliebter


als die Queen. Der Naturfilmer warnt


seit Jahrzehnten vor Umweltzerstörung.


Interviews gibt der 93-Jährige selten,


nun hat er eine Ausnahme gemacht


„Die Welt geht vor


die Hunde und wir


beschäftigen uns


mit dem Brexit“


Sir David Attenborough (2.v.l.) im April 2019 mit Prince William,
Prinz Charles und Prinz Harry (v.l.) bei der Weltpremiere der Netflix-Serie
„Unser Planet“ vor dem Britischen Naturkundemuseum in London
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